Das erste und letzte Mal.

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Morgen würde es losgehen, auf die große Reise nach Montana. Mom war bereits heute Nacht los gefahren mit dem Umzugsunternehmen und Ben. Zurückblieben Lynn, ich und die Pferde. Während Lynn heute mit Rocky noch ein Ausritt machen würde und Harmony und Peter Pan ein letztes Mal mit ihren Pferdefreunden auf der Weide grasen dürften, ging es für mich und Jonny nicht ganz so entspannt zu. Die letzten Wochen voller Training und Disziplin hatten ihn zu einem neuen Pferd gemacht. Jonny wurde mehr und mehr zu einem Nightwish. Ein Pferd, das genug Selbstvertrauen hatte und in der Menge nicht mehr allzu schnell unterging. Er war zu einem richtigen Pferd herangewachsen und ließ sein Fohlenverhalten, zumindest im Training, auf der Weide. Ich hätte Jonny auch gerne eine Auszeit gegönnt, doch ich sah es nur als fair an, wenn Sven das erste richtig Training von Jonny und mir leiten würde. Ich habe Sven so ziemlich alles zu verdanken, was ich mit Pferden kann und auch die Erziehung von Jonny. Jetzt sollte Sven mir auch den Grundstein für das weitere Springtraining mit Jonny geben. Damit ich ein Gefühl dafür bekam, wie es sich anfühlt auf einem richtigen Springpferd zu sitzen, das souverän springt, drehte ich meine ersten Runden im Parcours auf der Stute von Sven. Jonny sah die ganze Zeit von der Mitte aus zu und wirkte neugierig, aber auch nicht aufdringlich. Er tänzelte ab und zu auf der Stelle rum und hatte wohl ein wenig zu viel Energie in sich.

Nachdem ich ein Gefühl für das richtige Springen bekommen hatte, wechselte ich die Pferde. Jonny ging zügig im Schritt über den Platz und es fühlte sich deutlich sicherer an, als vor ein paar Wochen noch. Die Hindernisse wirkten auch nicht mehr ganz so unheimlich für ihn, wie anfangs noch. Auch seine komplett negative Einstellung hatte sich zu einer eher skeptischen entwickelt. Bis er Spaß daran finden würde, würde es wohl noch dauern.

„Er wird am Anfang auf alle Fälle versuchen stehen zu bleiben, oder wieder so komisch springen. Lass dich davon nicht abschrecken oder runter ziehen. Die Arbeit der letzten Wochen war dann nicht umsonst. Du hast ihn jetzt zwar schon ohne Reiter über die großen Hindernisse springen lassen, aber beim ersten Mal wird es mit dir auf dem Rücken für ihn komisch werden, weil er viel mehr Sprungkraft benötigt als sonst. Darum nimm ihn kurz, übernehme die Führung und spring erst das kleine Hindernis, damit er ein Gefühl dafür bekommt. Er kann deutlich mehr, aber die ersten drei Sprünge sind zum Eingewöhnen. Der wird heute noch hoch springen, versprochen", wies mich Sven in das Training ein und ich ritt Jonny langsam warm. Ich befolgte die Anweisungen von Sven und ließ Jonny am kurzen Zügel über das Hindernis springen. Er war so verunsichert, durch das zusätzliche Gewicht, weswegen er niedrig sprang und die Stange mitnahm.

„Lob ihn trotzdem, die letzten Springversuche hat er dich schließlich immer runter geworfen oder ist stehen geblieben", meinte Sven und baute das Hindernis wieder auf.

„Soll ich ihn sonst erstmal die Stangen am Boden traben lassen, damit er ein Gefühl dafür bekommt?", warf ich als Vorschlag ein.

„Ja kannst du machen. Bei ihm muss man ja Babysteps machen", erwiderte Sven und machte uns den Weg frei, damit ich Jonny im Trab über die Stangen reiten konnte. Es vergingen 25 Minuten, in denen wir Jonny immer wieder über das kleine Hindernis und die Stangen schickten und ihn jedes Mal lobten, egal ob er die Stangen berührte oder abwarf. Hauptsache ich saß im Sattel und er verweigerte die Arbeit nicht. Als Jonny dann beim Anreiten des kleinen Sprungs das Tempo erhöhte und viel zu hoch sprang, sah mich Sven grinsend an.

„Der ist soweit für die richtigen Hindernisse", grinste er zufrieden und baute ein Hindernis für uns auf. Jonny und ich verschnauften eine kurze Zeit im Schritt und sahen Sven beim Arbeiten zu.

„Übernehm du wieder beim ersten Mal die Führung, dann gucken wir mal wie es läuft", erläuterte der Reitlehrer und stellte sich so neben das Hindernis, sodass Jonny nicht auf die Idee kommen konnte, kurz vorher zur Seite auszubrechen. Ich ließ Jonny angaloppieren, ritt einen Zirkel und lenkte ihn dann auf das Hindernis zu. Seine Vorderhand blockiert leicht den Galoppschwung ab, sodass ich ihn vorwärtstreiben musste. Er war sich seiner Sache unsicher. Ich lehnte mich nach vorne und forderte Jonny damit zum Springen auf. Ich realisierte erst dass wir das Hindernis übersprungen hatten, als ich spürte, wie mein Pferd erst mit den Vorderhufen und dann mit den Hinterhufen den Sand berührte und weiter galoppierte. Mit einem breiten Lächeln parierte ich erst in den Trab und dann in den Schritt.

„Die letzten Wochen haben was gebracht", lobte Sven uns und klopfte Jonnys Hals.

„Ich hätte gedacht er blockiert. Er hat abgebremst beim Anreiten", meinte ich außer Atem

„Er hätte blockiert, aber er ist gesprungen weil er dir vertraut, dass du weißt was du tust", entgegnete Sven.

„Er macht mich gerade einfach so glücklich", grinste ich.

„Einmal springt ihr noch, damit er das in seinem Kopf verankert. Dann ist genug für heute", ordnete Sven an. Ich nahm die Zügel wieder auf und ließ Jonny wieder angaloppieren.

„Lass ihn ein bisschen länger", befahl der Reitlehrer. Ich gehorchte und ritt das Hindernis an. Jonny spitzte die Ohren und tat etwas, was ich nie für möglich hielt. Er zog das Tempo an, ich gab das Kommando zum Springen und er überflog regelrecht das Hindernis. Sicher landete er wieder und setzte einen Freundensbuckler hinterher.

„Ihr könnt stolz auf euch sein. Da ist gerade ein Held wach geworden", gab Sven sichtlich erstaunt von sich. Ich konnte gar nicht mehr aufhören zu grinsen. Dass Jonny innerhalb von drei Wochen so eine Veränderung hinlegt, war unglaublich. Ich wusste, dass er irgendwann in alte Muster zurück verfallen wird, aber ich wusste auch, wie gegen diese Vorgehen musste.

Im Schritt ritt ich zur Stallgasse und saß ab. Ich nahm meinem Pferd Sattel und Trense ab und brachte beides in die Sattelkammer. Mit Jonny am Strick ging ich zum Waschplatz und hielt den Wasserschlauch auf das durchgeschwitzte Pferd. Der Braune spielte mit der Oberlippe mit dem Wasserstrahl und prustete immer wieder ein lautes Schnauben aus. Da die Reise anstrengend werden würde, durfte er sich noch ein wenig auf der Weide bei seinen Pferdefreunden vergnügen. Ich kümmerte mich in der Zwischenzeit um sein Sattelzeug. In der Sattelkammer traf ich Lynn an. Wir nahmen die Sättel von Harmony, Rocky, Peter Pan und Nightwish und legten sie draußen über die Anbindebalken, wo immer die Ponys standen. Alle Sättel und Trensen mussten gesäubert und gefettet werden. Das konnte einige Zeit in Anspruch nehmen. Wir unterhielten uns gerade über das letzte Turnier, auf welchem Lynn geritten war, als Sven mit einigen seiner Pferde und Peter Pan am Strick an uns vorbei lief.

„Lynn, du solltest mal Harmony und Rocky rein holen. Die anderen von der Weide werden auch gerade geholt", meinte er.

„Oh Gott, ich beeil mich", rief sie und joggte zu der Weide.

„Und du Luna, hol dein Pferd rein, pack deine Sachen und bring ihn dorthin, wo er hingehört", gab Sven leicht seufzend von sich.

„In die Box?", fragte ich.

„Nein, in einen Stall wo Legenden geboren werden. Jonny wird irgendwann ein ganz großer werden. Du musst nur an ihn glauben, auch dann, wenn es kein anderer tut", entgegnete Sven mit einem warmen Lächeln und setzte seinen Weg in Richtung Stallung fort. Lächelnd ging ich zu der kleinen Weide, auf der Jonny nur noch mit einem weiteren Pferd stand. Ich nahm die beiden Stricke und kletterte unter dem Zaun durch. Glücklich ging ich auf die beiden Pferde zu und harkte Jonnys Karabiner im Halfter ein. Er schnaubte zufrieden und folgte mir zu dem zweiten Pferd. Um die Augen und auf der Stirn waren bereits vereinzelte kleine weiße Haare zwischen dem schwarzen Fell zu sehen. Mister X hob den Kopf und ich konnte auch ihn fest machen. Mit Vater und Sohn am Strick ging zurück zur Stallung und brachte erst Jonny in seine Box. Ein kleines tiefes Wiehern entwich ihm. Ein Geräusch, welches er jeden Morgen machte, wenn ich die Stallgasse betrat. Jetzt tat er es, als ich ihn mit Mister X zusammen wegbrachte. Ich sah es als ein „Auf Widersehen" von Jonny an, auch wenn der in diesem Moment noch nicht wusste, dass er Morgen diesen Stall verlassen würde.

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