Freunde.

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Ein Vorteil am Leben hier im Camp war, dass es Sontag gab. Der Tag, an dem keiner trainieren musste oder Dienst hatte. Quasi Freizeit. Ein Nachteil an Sonntagen war, dass ständig Besuch da war, was bedeutete, dass wir uns ordentlich kleiden mussten. Ich verbrachte meinen Sonntag mit Mia, Grace, David und Calvin. Wir gingen gemeinsam über die Anlage, die in der herbstlichen Sonnen erstrahlte. Überall standen große Kombis und Geländewagen. Wie gesagt, hier wohnte die Elite und ich war hier irgendwie reingerutscht.

„Wann habt ihr eigentlich euer nächstes Turnier?", fragte Grace und sah die beiden Jungs über ihre Schulter hinweg an.

„Morgen", seufzte David

„Ich Mittwoch und Freitag", meinte Calvin und runzelte die Stirn.

„Das haltet ihr durch?", gab Mia verwundert von sich.

„Das halten die Pferde durch", korrigierte Calvin sie.

„Und ihr habt jeder schon zwei bis drei Pferde im Turnier", stellte ich fest. Er nickte.

„Wenn es Winter wird, wird es entspannter. Dann kommen nur noch die Fun-Turniere", meinte David. Wir gingen über den Sandweg unter den Bäumen hindurch, die sich schon leicht rot färbten und braun-rotes Laub an ihren Ästen trugen.

„Wie geht es mit euren Pferden vorwärts?", fragte Calvin und sah uns nacheinander an.

„Ziemlich gut. Willow ist zwar immer noch eine Zicke, aber sie ist im Durchschnitt echt besser geworden.", antwortete Mia.

„Und Snowflake?", wandte er sich an Grace. Die braunhaarige seufzte und nickte in Gedanken.

„Seit unserem Sturz hat sich viel geändert. Sie ist endlich nicht mehr so übermütig", gab sie zögerlich von sich, „aber sie hat es leicht an der Schulter erwischt. In ein paar Tagen trainiere ich erst wieder"

„Und Nightwish?", wollte David wissen und legte seinen Arm über meine Schulter. Ich wiegte den Kopf von links nach rechts und dachte nach.

„Er ist toll. Unfassbar toll. Er wirkt fast gezähmt, aber außerhalb des Parcours ist er immer noch Jonny. Wenn er sich weiter so entwickelt, will ich gar nicht mehr als das.", meinte ich.

„Er hat echt Fortschritte gemacht. Er verdient Erfolg", stimmte Mia zu

„Komm doch nächstes Wochenende mit zu dem Turnier. Da starten nicht nur Dressurpferde", schlug David vor.

„Er ist zuletzt vor zwei Jahren ein Turnier gelaufen und das war grausam.", widersprach ich.

„Irgendwann wird es euch zurück auf Turniere schlagen, das war dir doch wohl klar", wandte Calvin ein.

„Ja, aber warum hier?", konterte ich

„Hier kennt dich niemand, falls es schief läuft", erwiderte David.

„Und was wenn nicht?", entgegnete ich

„Dann wird diese Reitanlage dafür sorgen, dass jeder es wissen wird", meinte Calvin. Ich dachte nach und war mir ziemlich unschlüssig.

„Was soll schon passieren? Du hast dich lange genug durchquält und solltest euch jetzt endlich mal belohnen dafür. Jonny kann es", ermutigte mich David.

„Ich weiß nicht", zögerte ich.

„Wir sprechen mit Adam, okay? Ich hab noch einen Platz im Hänger frei", meinte er und klopfte mir auf die Schulter. Ich nickte und schlug mich innerlich selbst. Worauf hatte ich mich hier bitte eingelassen?

„Lass und dahinten hinsetzen und all den Leuten zugucken, dass ist immer spannend", schlug Calvin vor und niemand wandte etwas ein. Wir setzten uns gemeinsam ins Gras und ließen unseren Blick über die Reitplätze schweifen. Überall ritten Mädchen und zeigten ihren Eltern, was sie alles konnten. Sie wollten Lob ernten. Die Trainer unterhielten sich mit den streng und vornehmend angezogenen Elternteilen und man sah, dass einige der Trainer keine Lust darauf hatten. Einige Eltern brachten neue Pferde mit und luden die alten ein. Es war ein wöchentlicher Boxenwechsel der steinreichen Kinder. Weiter hinten, nur noch schwach zu sehen, standen die Pferde auf Weide und nahmen Abstand von dem Trubel. Sie genossen ihre Zeit auf der Weide, bevor der Winter bald einziehen würde. Wie ich hier saß und den Stimmen meiner neuen Freunde lauschte, musste ich feststellen, wie glücklich mein Pferd hier war. Jonny hatte Spaß am Training, an der Bodenarbeit, an den Stunden in welchen ich ihm Tricks bei brachte. Er hatte Spaß auf der Weide mit den anderen Pferden und begrüßte mich jeden Morgen mit einem kleinen Wiehern. Er war einfach glücklich und viel ausgeglichener als vor ein paar Monaten noch.

Aber so wie ich hier saß, kreisten meine Gedanken auch in Montana. Wie es Mom und Peter wohl ging? Und ob Harmony noch immer so gut im Training war? Ging es Peter Pan besser? Durfte er wieder mit Schmiddi auf die Weide? Was macht der alte Ben wohl? Hat unser Hund wieder Knochenprobleme? Doch in erster Linie fragte ich mich, wie es Jason wohl ging. Was er tat. Mit wem er sich traf und ob er wohl auch an mich denken würde. Umso mehr Zeit ich mit den Jungs hier verbrachte, desto öfter dachte ich an Jason. Ich nahm mein Handy und scrollte durch die Kontakte. Bei Jason blieb ich hängen. Sollte ich ihm schreiben? Wohlmöglich war er gerade bei Freunden. Oder bei einem anderen Mädchen? Vielleicht zockte er aber auch oder wurde zu Arbeiten auf dem Hof verdonnert. Zögerlich tippte ich eine Nachricht ein und packte danach wieder mein Handy weg. Es tat gut ihm zu schreiben, auch wenn er mir noch nicht geantwortet hatte.

„Sag mal Luna", begann Calvin und ich sah ihn fragend an, „hattest du eigentlich vor, deine alte Heimat mal wieder zu besuchen?"

„Ich weiß nicht, ich bin ja erst seit ein paar Monaten weg. Aber bestimmt irgendwann, wenn es sich so ergibt.", entgegnete ich.

„Was ist eigentlich aus dem gefürchteten Mister X geworden?", harkte Mia vorsichtig nach.

„Er ist in meinem alten Zuhause", erwiderte ich.

„Und wo ist das?", wollte David wissen. Ich musste anfangen zu grinsen, bei dem Gedanken an die Sonne, das Meer und der Wärme.

„Daytona Beach", gab ich wehmütig von mir. Wir schwiegen und redeten später über belangloses Zeug. Beim Abendessen setzte ich mich neben David und Grace. Die meiste Zeit sah ich trübselig vor mich hin, bis das Vibrieren meines Handys mich aus meiner Starre weckte.

‚Ich komm bald nach Olympia. Schmiddi soll ins Training aufgenommen werden. Jason'

Einerseits musste ich grinsen, weil ich den permanent schlecht gelaunten Jason bald noch einmal sehen könnte, auch wenn ich nicht wusste, warum ich mich darauf freute. Anderseits war es komisch, wenn Jason auf den Freundschaftskreis hier treffen würde. Die Leute hier waren so anders als er.

NightwishWo Geschichten leben. Entdecke jetzt