Ein Tag um Großes zu schaffen.

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Ich ritt nun schon eine ganze Weile auf dem Abreiteplatz und so langsam kam der Zeitpunkt, wenn ich dran wäre. Dann müsste ich mich beweisen. Zu den Spruce Meadows Masters kamen immer die besten Pferde der Welt zusammen und heute war ich schon das dritte Mal hier. Ein Mann, der dick und fett ‚Staff' auf seinem Shirt stehen hatte, kam auf mich zu. Ich parierte Nightwish zum Stehen durch, damit er den unschuldigen Mann nicht über den Haufen lief.

„Luna Michaels?", richtete er sich an mich. Ich nickte.

„Sie können schon einmal mitkommen", meinte er und ging vor. Ich folgte ihm auf dem Rücken meines Pferdes. Der Typ hatte ein Art Knopf im Ohr, über welchen er scheinbar die ganze Zeit Infos bekam. Wir näherten uns der Schranke, die zu der großen Arena führte. Ich konnte die große Grasfläche mit den hohen Zuschauerrängen schon sehen und den Parcours. Ein Reiter kam auf seinem Fuchs auf die Schranke zu und ritt mit seinem schnaubenden Pferd im zügigen Schritt an uns vorbei.

„Okay. Viel Erfolg", meinte der Typ vom Staff und ein anderer Mann machte die Schranke auf. Ich trabte in die Arena und grüßte die Kampfrichter.

„Und nun sehen wir ein Paar, das wir schon zweimal hier bei den Spruce Meadows Masters gesehen haben. Luna Michaels und Nightwish. Ein Paar, dass die letzte zwei Jahre beängstigend erfolgreich war und auf vielen internationalen Turnieren gefürchtete Gegner sind. Letztes Jahr haben die beiden es auf den dritten Platz geschafft. Es gilt die Zeit von 73.5 Sekunden zu unterbieten", ertönte es durch die Lautsprecher.

Ich galoppierte an, peilte den ersten Sprung an und übersprang ihn sauber mit Nightwish. Und da war es wieder, das Publikum, welches mit meinem Pferd mitfühlte. Wir ritten eine gute Runde und unterboten die Zeit mit der neuen Bestzeit von 69.8 Sekunden.

Der Tag zog sich leider in die Länge, bis nur noch drei Reiter übrig waren. Einer aus Großbritannien, einer aus Belgien und ich. Dass ich als einzige Frau unter Männern übrig blieb, gefiel mir gar nicht. Es war schon ziemlich einschüchternd zu sehen, dass deine Gegner 25 und 30 Jahre alt waren, viel länger große Turniere ritten als du und um einiges teurere Pferde besaßen als man selbst. Adam redete mir gut zu und ich erinnerte mich wieder an meine Gedanken vor dem Turnier. Heute ist ein guter Tag, um etwas Großes zu schaffen. Ich müsste als nächstes reiten. Momentan hatten beide Reiter vor mir haargenau dieselbe Zeit erreicht. 68.5 Sekunden. Das musste ich jetzt unterbieten. Egal wie.

„Nun sehen wir die einzige Frau, die hier noch mitstreiten darf, um den Spruce Meadows Master Titel. Ihr Pferd Nightwish ist ja bekannt für seine rebellischen und verrückten Aktionen im Stall. Viele behaupten er sei sehr kindlich und genau diese Tatsache lässt einen verwundern, dass er jetzt noch hier steht. Unter den Top 3. Soweit waren die beiden schon einmal vor zwei Jahren. Jetzt haben die beiden die Chance. Top oder flopp? Entweder sie unterbieten jetzt die Zeit 68.5 Sekunden mit mindestens einer Millisekunde, oder sie sind eine Millisekunde langsamer und belegen erneut den dritten Platz. An eine dritte Reiterin mit derselben Zeit wie die beiden vorherigen Reiter glaube ich nicht. Mal sehen was Luna Michaels aus ihrer Runde macht, einen kleinen Heimvorteil hat sie schließlich, da Nightwish ein absoluter Publikumsliebling ist", schallte es aus den Lautsprechern. Ich grüßte die Kampfrichter, setzte zum Angaloppieren an und schaltete mein Gehirn aus. Dieselbe Runde ein weiteres Mal, wie die letzten zwei Runden. Einfach nur durchkommen. Nightwish lief an und übersprang das Hindernis. Das Publikum klatschte und ich lenkte in Richtung des zweiten Hindernisses. Ich musste es schräg anreiten und traf die kleinen Fähnchen, die rechts und links das Hindernis markierten. Mein Fehler interessierte Nightwish herzlich wenig. Er bügelte ihn einfach aus und lief weiter. Ich nahm etwas Tempo weg. Die Abfolge der drei dicht hintereinander stehenden Hindernisse. Genau drei Galoppsprünge pro Zwischenraum. Eins. Zwei. Drei. Von Hindernis zu Hindernis wurde das Publikum lauter. Sie jubelten bei jedem Sprung. Ich ritt meine Runde weiter und das Publikum wurde immer lauter. Sie wollten, dass Nightwish es schaffte. Der Oxer, kein Problem für mein Pferd. Ich bekam mehr und mehr das Gefühl, dass Nightwish gewinnen wollte. Er wollte es einfach. Ich wusste wie müde seine Beine sein mussten und wie sehr seine Ausdauer nachgelassen hatte von Runde zu Runde, doch ich hatte auch das Gefühl, dass ich mehr und mehr zum Passagier meines Pferdes wurde. Er nahm überhand über unseren Ritt. Dennoch ließ ich ihn nicht ganz alleine laufen und kürzte eine Wendung drastisch ab, sodass Nightwish Tempo wegnehmen musste. Es brachte uns ein wenig Zeit an und Nightwish lief im richtigen Tempo den Steilsprung an. Wäre er zu schnell gewesen, hätte er gerissen. Eine letzte links Kurve und dann tat ich das, was uns so oft den Sieg geholt hatte. Ich ließ die Zügel länger und mein Pferd laufen. Nightwish streckte sie regelrecht, verlängerte seine Galoppsprünge und übersprang weit und flach den Wassergraben. Es war das letzte Hindernis und lautstark tobte das Stadion. Nightwish setzte seinen Freudensbuckler hinterher und ich ließ mein Pferd strahlend ausgaloppieren. Ich hatte keine Ahnung welche Zeit ich hatte und es war mir ehrlich gesagt auch egal. Ich war einfach nur unfassbar stolz auf die Leistung meines Pferdes. Auf einmal wurde das Publikum noch lauter. Einhändig versuchte ich mein Pferd durch zu parieren und mich dabei umzudrehen, um die Anzeigetafel zu sehen.

„Luna Michaels auf Nightwish, vom Reitzentrum Thompson mit einer unglaublichen Zeit von 67.9 Sekunden und damit dem Sieg. Herzlichen Glückwunsch. Eine 20 jährige Reiterin mit ihrem 11 jährigen Hengst gewinnt in Spruce Meadows", ertönte es aus dem Lautsprecher. Mehr als glücklich parierte ich endlich in den Schritt durch, lobte unermüdlich mein Pferd und ließ die Zügel lang. Ich biss  mir auf meine Unterlippe, schüttelte unterbewusst den Kopf und konnte es einfach nicht wahrhaben. Mehre Menschen kamen auf mich zu. Hingen Nightwish etwas um, legten ihm eine Decke auf, überreichten mir ein Pokal. Mehrere Fotografen klickten vor sich hin ihre Fotos und es fühlte sich als so unreal an. Ich scannte die Tribüne direkt vor mir. Ich fand die Loge in welcher Mom, Peter, Lynn und Daniel saßen. Mom lehnte sich glücklich an Peter. Beide klatschten. Lynn sprang wie ein kleines Kind rum und klatschte fröhlich kreischend. Daniel klatschte nur und lächelte breit. Mein Blick fiel auf den Reiter Ein- und Ausgang. Dort stand Jason, angelehnt an eine Mauer und lächelte zufrieden. Ich schloss kurz die Augen, nahm dann die Zügel von Nightwish kürzer und atmete tief durch.

„Luna Michaels, herzlichen Glückwunsch zu deinem Sieg. Dreimal warst du hier, bei dritten Mal hat es geklappt. Wie fühlst du dich?", fragte mich ein Mann in schickem Anzug mit Mikrophon.

„Erschöpft, aber glücklich", erwiderte ich nur.

„Hättest du gedacht, dass du es heute zu so viel schaffen wirst?", wollte er wissen.

„Ich nicht, aber er glaube ich", meinte ich und zeigte auf Nightwish.

„Dein Pferd hat zwei Namen. Nightwish und Jonny. Du behauptest, es seien zwei verschiedene Pferde. Welches Pferd haben wir heute denn gesehen?", hakte er nach.

„Nightwish. Definitiv Nightwish. Jonny ist ein Chaospferd, das nur Schwachsinn macht und einem das Leben zur Hölle machen kann. Das heute war Nightwish, ein echtes Springpferd", erwiderte ich.

„Dieses Pferd ist heute offiziell eines der besten Pferde der Welt, wenn nicht sogar das beste aktive Springpferd der Welt. Wie fühlt sich das an, so ein Pferd zu besitzen?", fragte er.

„Wie soll man sagen? Ich denke gar nicht an diesen Aspekt. Ich bin die letzten vier Jahre mit diesem Pferd durch Höhen und Tiefen gegangen. Ich hatte damals ein Pferd, das nicht gesprungen ist, wenn man es wollte, sondern wenn es wollte. Er war immer ein Springer, er wird immer ein Springer sein. Ich habe jede Sekunde mit ihm geschätzt, weil das Pferd liebe wie es ist. Dass ich die letzten vier Jahre diese Entwicklung mit ihm erleben durfte, habe ich vielen Menschen in meinem Umfeld zu verdanken, ins besondere meiner Mutter Susann, Peter, meiner Schwester Lynn, Jason und Adam. Alle Menschen in meinem Umfeld haben ihn beeinflusst und sind heute der Grund, warum ich diesen Pokal in der Hand halte", erklärte ich.

„Dann nehme ich dir diesen Pokal mal wieder ab und fordere dich auf, die Ehrenrunde anzuführen", meinte der Mann und nahm mir den Pokal ab. Musik ertönte, die Menschen erhoben sich von ihren Plätzen und begannen im Takt zu klatschen. Ich schickte Nightwish vorwärts und galoppierte die Außenrunde auf dem Platz. Nightwish setzte vier Freudensbuckler hinter her. Für jedes anstrengende Trainingsjahr einen.

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