Epilog.

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Ruhe lag im Raum. Ich atmete zweimal tief durch und trat auf die kleine hölzerne Bühne in dem Konferenzraum von Spruce Meadows. Auf den vielen Stühlen vor mir saßen Leute unterschiedlichsten Alters. Junge Mädchen, erwachsene Männer, ältere Damen, Kinder. Alle vereinte sie eins – die Liebe zu Pferden. Es waren Reitanfänger, Pferdezüchter, Hobbyreiter und Profi-Reitsportler. Sie alle saßen hier, um mir zuzuhören. Mein Blick schweifte kurz über die Menschen und ich baute mit einigen Blickkontakt auf. Ein kleines Seufzen entfuhr mir und ich setzte mich gerade hin. Ich räusperte mich und begann dann das zu tun, weswegen alle gekommen waren – reden.

„Es ist kein Geheimnis, das Mensch und Pferd sich im Laufe der Zeit immer näher stehen. Für Außenstehende mag es schwer zu verstehen sein, was das genau zwischen Reiter und Pferd ist, aber wir dürfen uns glücklich schätzen, diese besondere Bindung erleben zu dürfen. Es ist normal geworden, dass ein einzelner Reiter in seiner Laufbahn zeitweise mehrere Pferde zur selben Zeit hat, und das ist auch okay so, solange er für alle sorgen kann und jedem gleich viel Liebe und Zuneigung schenkt. Aber ich glaube, jeder Reiter hat ein Pferd in seinem Leben, welches das Pferd ist. Das Pferd seines Lebens. Das Pferd mit dem er sich blind versteht. Wo die Chemie auf Anhieb stimmt. Das Pferd, mit welchem man durch gute wie auch durch schlechte Zeiten geht. Das Pferd, bei welchem man sich wünscht, es würde für immer leben, für immer bei einem sein. Das Pferd, das Familie wird. Dieses Pferd war für mich Nightwish. Nightwish hatte zwei Namen. Einmal Jonny und einmal Nightwish. In seinen Papieren steht Nightwish, es war sein Geburtsname. Den Name Jonny bekam er, als Hommage an einen alten Mann, welcher in unserem Stall beliebt war, durch seine fröhliche und verrückte Art. Jonny war ein Geschenk meines Vaters, und ich sage jetzt ganz bewusst Jonny, weil mein Pferd in jungen Jahren zu einem Problempferd heranwuchs. Er war Mister X's Sohn und das hat gesehen, gehört und gespürt. So wirklich zu dem Nightwish, den die Welt gesehen hat, wurde er erst sehr spät. Ich bekam damals also ein Problempferd geschenkt und es war mir so egal. Ich wollte keine Turniere mit ihm gehen, ich wollte nicht trainieren, ich wollte einfach nur ein glückliches Pferd. Jonny war glücklich wenn er im Gelände. Man hat uns kaum gesehen am Stall, wir waren nur in der Natur. Irgendwann kam dann der Ernst des Lebens, ich begann mit ihm zu trainieren und die ersten kleinen Fortschritte zu erzielen, immer mit dem Hintergedanken, er sollte Spaß dabei haben. Innerhalb kurzer Zeit wurde aus Jonny der erfolgreiche Nightwish. Ich gewann mit ihm etliche Turniere, wurde bekannter und bekam mehr Ansehen, ja, aber am Ende des Tages brachte ihn in seine Box und sah vor mir nicht nur Nightwish, so wie ihn alle kannten, sondern auch Jonny, das Pferd mit dem ich groß wurde.

Nun ja, ich bekam im Januar die Diagnose mit drei Möglichkeiten, wie wir das Problem angehen könnten. Einschläfern, Krankheit ganz normal mit all den Schmerzen verlaufen lassen oder ihn bis zum Eintreten des Endstadiums mit Tabletten am Leben halten und dann einschläfern. Alle drei Methoden würde mit dem frühen Tod meines Pferdes enden", erzählte ich und machte eine kurze Pause. Mein Blick schweifte durch das aufmerksam zuhörende Publikum, welches sehr still da saß und darauf wartete, dass ich fortfuhr. Ich atmete tief durch und sah auf die Tiefplatte vor mir.

„Ich wollte im Sinne von Nightwish handeln und ich sah, wie viel Lebensfreude in ihm steckte, als entschied ich mich für all die Medikamente. Ja, ich durfte also zusehen wie mein Pferd langsam starb. Die Krankheit zerstörte langsam seine Organe und die Medikamente verlangsamten den Prozess nur. Das war das, was ich wusste und mit welchem Wissen, ich die ganze Zeit leben musste. Mir wurde gesagt, dass Nightwish jedoch so ein Kämpferherz hatte, dass er problemlos mit den Medikamenten die er nahm, weiterhin Turniere gehen hätte können. Dennoch zog ich ihn aus der Saisonvorbereitung und der anschließenden Saison zurück. Ich hab mir gedacht, wenn das seine letzten Monate, Wochen, Tage oder Stunden wären, solle er sie anders verbringen, als im Parcours, auch wenn er das Springen vor Menschenmassen geliebt hat. Es sollte einfach Pferd sein. Mich plagten also jeden Tag die Gedanken um seine Gesundheit und wisst ihr, was ich jeden Tag im Stall gesehen hab? Ich sah sowohl Jonny, als auch Nightwish. Mein Pferd ließ es sich nicht nehmen, durch den Parcours zu rennen und übermütig über Hindernisse zu springen. Er trainierte normal weiter, verbrachte aber viel mehr Zeit auf der Weide, im Gelände oder mit anderen Pferden auf dem Paddock. Er durfte Pferd sein und Leute, die uns nah standen haben immer wieder gesagt, wie er glücklich er doch wirkte. Ja, das war er. In seinen letzten Monaten war er glücklich. Der 3. Januar war der Tag, an dem sein und mein Leben sich änderte, durch eine Diagnose und die Krankheit. Knapp 9 Monate hatte mein Pferd danach noch, dann setzte das Endstadium ein und ich musste ihn gehen lassen. Es Freitagabend und wir mit all den Menschen und Pferden, die uns durch unsere Karriere begleitet hatten, in einem Camp in Montana. Ich bekam am Tag davor morgens die Information, dass er am nächsten Tag hätte eingeschläfert werden müssen. Es waren weniger als 48 Stunden und wir taten all das, was er liebte. Ich kann sagen, Nightwish, oder Jonny, starb in Frieden. Und dadurch, dass ich die letzten 9 Monate wirklich nur Dinge getan habe, die mir und ihm Spaß machten, ganz ohne Stress, wuchsen wir in dieser Zeit noch enger zusammen. Für mich waren die letzten Monate seines Lebens, die besten Monate meines Lebens. Sie waren einfach perfekt. Er war immer noch der kleine Clown, aber er war kein Problempferd mehr. Jeden Morgen begrüßte er mich mit einem herzlichen Wiehern, jeden Abend rieb er die Stirn an meiner Schulter. Ich wusste immer, er ist da. Ich verlor mein Vater früh und ich musste es mir sogar ansehen. Dieser Verlust hat meiner Familie schwer zu schaffen gemacht und unsere Pferde Harmony und Rocky Rubin waren eine starke Stütze. Doch Nightwish heilte quasi unsere ‚Wunde'. Als das Letzte, was uns von Steve Michaels blieb, konfrontierte er uns mit der Wahrheit und brachte uns alle ein Stück mehr zusammen. Wir lernten durch ihn all die Menschen kennen, die heute uns nahe stehen und teilweise Familie geworden sind.

Ja, und dann ging er. Er ging und hinterließ ein Loch. Ein großes. Er hinterließ Loch in unserem Leben, im Reitsport und quasi in der Welt. Es gab viele Leute, die Nightwish ein Vorbild sahen. Vom Außenseiter zum Star. Die perfekte Erfolgsstory, mit der dunklen Seite in Form einer Krankheit. Niemand ist perfekt, auch er nicht. Wie es für mich weiter geht? Ich weiß es nicht. Er hinterlässt in meinem Leben tolle Erinnerungen und viel Leere. Ja, ich habe in den zahlreichen Interviews der letzten Wochen gesagt, es gibt keinen weiteren Nightwish, aber damit meine ich nicht, es gibt kein weiteres Leben. Ich meine damit, ich werde mir nie wieder ein Pferd zulegen, um an den Erfolg mit Nightwish anzuknüpfen. Nightwish war ein Problempferd und ich sah in ihm ein Traumpferd. Wenn ich je ein Pferd treffen werde, mit derselben schwierigen Basis wie Nightwish damals, würde ich das alles erneut durchstehen. Einfach nur um diesem Pferd ein Leben zu ermöglichen. Ein Reiter zu sein bedeutet nicht, Erfolg zu haben, Schleifen und Pokale zu gewinnen, Angesehen zu sein, Geld mit den Tieren zu verdienen und dadurch in Ruhm und Ehren zu leben. Das sind alles Dinge, die man mit Glück und dem richtigen Pferd erreichen könnte, aber am Ende des Tages, zählt die Seele die man in die Box bringt. Ein Reiter zu sein bedeutet, seinem Pferd zu geben, was es verdient hat und das ist ein artgerechtes Leben, Freude, Liebe und Zuneigung. Die Dinge, die du zurückbekommen wirst von deinem Pferd, werden all deine Taten übertrumpfen. Als ein Reiter sollte dir nichts wichtiger sein, als das dein Pferd dich liebt."

NightwishWo Geschichten leben. Entdecke jetzt