Kapitel 6

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  Als wir beim Palast vorfahren, steht die gesamte Königsfamilie zur Begrüßung draußen. Mit Personal und allem Drum und Dran.
Ich will nicht aussteigen, sondern mich in meinem Bett verkriechen und warten, bis Henry kommt und mich in den Arm nimmt. Wenn ich Carla schon sehe!
„Tori, du musst jetzt aussteigen", erinnert mich Jule. Als ich mich nicht bewege, geht sie vor.Das macht es auch nicht besser, aber immerhin zieht sie erstmal alle Blicke auf sich. Mitgesenktem Kopf steige ich aus. Es ist mir furchtbar unangenehm, in einem schmutzigen Kleid und mit verfilzten Haaren vor die Queen zu treten. Ein erschrockenes Murmeln geht durch die Reihen und ich will alles so schnell wie möglich hinter mich bringen.Schritt für Schritt gehe ich voran, meine Freundinnen als Rückendeckung. Der Blick der Queen ist undurchschaubar, während alle anderen mich mitleidig anstarren. Ich bleibe an der untersten Treppenstufe stehen, wo jeder Gast stehen muss, wenn er der Queen gegenübertritt.
„Du bist wieder da", sagt sie. Es klingt nicht freundlich, nicht boshaft, sondern einfach nur nach einer Feststellung.
„Ja", bringe ich heraus und hebe vorsichtig meinen Blick.
„Wie ich sehe, hast du viel durchmachen müssen. Es ist furchtbar und sollte eigentlich keinem von uns geschehen", sagt sie. „Ich sorge dafür, dass Pete die härteste Strafe erhält."Woher weiß sie, dass es Pete war? Aber gut, sie ist die Queen, sie weiß alles.
„Danke", murmele ich. Der Wind lässt mich frösteln. Auf einen Wink hin bringen mir Diener eine Decke und helfen mir die Stufen hinauf, wie einer alten Frau.
„Wärme dich auf und finde deinen Frieden", sagt die Queen mild. „Und dann will ich dich sprechen."Wie soll ich meinen Frieden finden, wenn sie mich nachher sehen will? Da steckt doch nichts Gutes dahinter.Sie wendet sich zum Gehen und alle anderen folgen ihr in den Palast hinein.
Will klopft mir aufmunternd auf die Schulter und Kate lächelt mich freundlich an. Drinnen ist es angenehm warm und eine Dienerin teilt mir mit, dass sie mir ein heißes Bad einlässt.

„Wir lassen dich jetzt mal allein", sagt Katha, nachdem sie mich zu meinem Zimmer begleitet hatten.
„Danke", sage ich und schließe die Tür hinter mir. Aber bevor ich mich überhaupt umdrehen kann, klopft es schon wieder.

Es ist Jake. Er schlüpft ins Zimmer und überprüft, dass auch sonst ja keiner da ist. Dann setzt er sich auf mein Bett und sieht mich nachdenklich an.
„Es ist meine Schuld", sagt er unvermittelt. „Wegen mir kam Pete auf diese blöde Idee."
„Wie bitte?", frage ich verwirrt. Steckt Jake mit ihm unter einer Decke? Soll ich die Wachen rufen?Er fuchtelt mit seinen Händen in der Luft herum.
„Erinnerst du dich noch an den einen Trinkabend?"Ich nicke. Worauf will er hinaus?
„Als ihr im Bett wart, wollte ich Pete beim Aufräumen helfen. Er war total dicht und dazunicht mehr fähig. Ständig sprach er davon, wie genervt er von dir ist und dass Henry dich nicht verdient hat. Ich sollte ihm immer zustimmen, doch das tat ich nicht. Pete wurde richtig wütend und malte in allen Farben aus, wie es wäre, wenn Henry jemand anderen an seiner Seite hätte. Da wusste ich nicht, dass er sich selbst meint. Irgendwann war ich so genervt von seinem Schimpfen, dass ich ihm vorschlug, dich doch einfach zu entführen und so zu verstecken, dass dich niemand mehr findet, damit Pete seine Ruhe hat."

Entschuldigend sieht er mich an. Es klingt plausibel, was er sagt.

„Hätte ich gewusst, dass er auch durchzieht, hätte ich ihm das nie erzählt. Aber er war besoffen und ich nahm ihn gar nicht ernst", redet Jake weiter. „Bist du jetzt sauer auf mich?"
„Nein, bin ich nicht. Aber vielleicht solltest du es Henry auch erzählen", schlage ich vor. Jake sieht erleichtert aus, als er mein Zimmer verlässt.
Ich weiß, dass es schwer für ihn gewesen sein muss, zu erleben, dass die von ihm gegebene Idee auch umgesetzt wird. Aber ich verzeihe ihm, denn er tat es nicht mit Absicht.Ich ziehe das Kleid aus und schmeiße es mit Schwung in eine Ecke. Es erinnert mich an all die schlimmen Stunden, die ich am liebsten vergessen möchte.Die Dienerin gibt mir Bescheid, dass ich nun baden kann. Schnell steige ich in das warme Wasser und schließe die Augen.Ich schrubbe mich so gründlich es geht. Der Dreck und die Erinnerungen sollen sich im Wasser auflösen und in den Abgrund gespült werden, wo sie hingehören.
Nach einer halben Stunde steige ich aus der Wanne. Es liegen bereits neue Kleider für mich bereit und Lilly wartet schon, um mein Haar zu föhnen.
„Ich bin froh, dich wieder zu sehen", freut sie sich und ich ziehe sie in eine herzliche Umarmung. Sonst mache ich sowas eher nicht so gern, außer bei meinen besten Freunden.Aber Lilly könnte so eine werden...
„Ich freue mich auch, dich und alle anderen wieder zu sehen", sage ich. „Bitte trockne und frisiere mein Haar, denn ich muss nachher noch zur Queen."Lilly widmet sich gründlich ihrer Aufgabe und stellt keine unangenehmen Fragen, um ihre Neugier zu befriedigen, wofür ich sehr dankbar bin. Mit Sicherheit werde ich der Königin Rede und Antwort stehen müssen und ich hoffe, sie fragt nicht nach Claudia. Wenn sie herausfindet, dass ich ihr Gewalt angetan hatte, dann schmeißt sie mich aus dem Palast.
„Möchtest du wirklich gleich zur Queen? Sie hat bestimmt Verständnis, wenn du dich erstmal ausruhst", meint Lilly fürsorglich.
„Nein, ich lasse sie besser nicht warten", lautet meine Antwort. Egal, wie müde ich bin. Ich muss da jetzt durch.Ich ziehe mein Kleid an, nehme die aufrechteste Haltung ein, die ich zu Stande bringe undg ehe durch die Flure zu den Gemächern der Queen. Unterwegs begegnen mir immer wieder Diener, die sich tatsächlich vor mir verbeugen. Das ist mir völlig neu, denn vorher taten sie das nicht. Was habe ich verpasst?Simon erwartet mich bereits.
„Willkommen zurück, Viktoria", sagt er freundlich. „Bitte tritt ein."Ich gehe durch die geöffnete Tür in den kleinen Salon, wo die Queen auf ihrem Sessel sitzt und Tee trinkt. Ihr gegenüber sitzt Henry, den ich hier gar nicht erwartet hätte.
„Ah, da ist sie ja", sagt seine Großmutter und ich kann das unausgesprochene endlich heraushören.
„Nimm neben Henry Platz."Ich setze mich neben ihn und er schenkt mir sein wunderbares Lächeln. Also ist alles gut zwischen uns, wenn ich das richtig interpretiere.
„Zunächst einmal möchte ich euch beiden mitteilen, dass Pete und Claudia einen gerechten Prozess erfahren werden, auch wenn ihre Schuld schon bewiesen ist."Das ist schlecht. Denn es bedeutet auch, dass Claudia ihre Version erzählen kann, in welcher ich sehr schlecht wegkommen werde. Leider kann ich das der Queen jetzt nicht erzählen,denn nicht mal Henry weiß davon. Und er sollte es vor allen anderen wissen.

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