Henry
Weihnachten in meiner Familie ist sicherlich anders, als in normalen Familien. Bei uns spielt Geld keine Rolle und so können wir alles kaufen, was wir wollen. Mein Vater schenkt seiner furchtbaren Ehefrau einen Diamantring im Wert von mehreren Tausend Pfund. William hat für Kate ein Haus in Schweden gekauft, weil sie dort noch keines haben. Kate hat uns alle – o Wunder – mit einem Schwangerschaftstest überrascht, der positiv ausfiel. Sie bekommen also demnächst ihr drittes Kind. Die Queen hat jedem Kind und Enkel eine beträchtliche Summe Geld geschenkt.
Und ich halte mich aus alledem raus. Ich habe niemand zum Beschenken.
Das Schlimmste an Weihnachten ist ja, dass die Verwandtschaft eingeladen wird. Und da ich viele Onkel und Tanten habe, ist viel los im Palast.
Leider ist Lou noch immer in der Entzugsklinik, wohin ihr Vater sie nach der Party zu ihrem Geburtstag verfrachtete. Der Rest meiner Cousins ist nur halb so toll wie sie. Alles langweilige Spießer und Moralapostel. Sie passen vielmehr zu Will als zu mir. Also friste ich die Tage zwischen meinen Verwandten und frage mich, was Tori wohl macht.
Ihre Familie ist sicherlich besser als meine.
Ob sie an mich denkt? Oder hat sie schon jemand anderen?
Doch das will ich mir lieber nicht ausmalen.
Eva hat mich zu einer Entscheidung gedrängt und ich habe sie getroffen: ich will Tori wiedersehen und ihr alles erklären. Sie muss die Wahrheit kennen und mir verzeihen. Die Therapeutin war erfreut über meine Antwort und versprach, mich zu begleiten. Ich habe Tori zu Weihnachten eine Rose geschickt und hoffe, dass sie sich gefreut hat. Mit ihr an meiner Seite könnte ich dieses Fest besser ertragen.Und weil das Leben nicht schon schlimm genug ist, wird mein Bruder gleich vor die Presse treten und die Weihnachtsansprache halten.
Er wird der ganzen Welt und der buckeligen Verwandtschaft verkünden, dass ich König werden soll. Will nimmt auf einem roten Samtsessel Platz und sieht in die Kameras. Als das Licht angeht,setzt er sein schönstes Lächeln auf und sagt die auswendig gelernten Worte. Er kann viel besser reden, als ich es je könnte. Sein Charme kommt voll zur Geltung. Will spricht die belanglosen Floskeln von wegen Fest der Liebe, Nächstenliebe und so weiter. Schließlich kommt er zum Hauptteil seiner Ansprache.„Wie Sie sehen halte ich die alljährliche Weihnachtsansprache und nicht meine werte Großmutter. Das Alter macht ihr zu schaffen und sie ist der Meinung, dass es Zeit wird, zugehen und jemand Jüngerem den Thron zu überlassen." Will macht eine Pause und lächelt in die Kameras.
„Auf ihren deutlichen Wunsch hin, wird mein Bruder Henry dieses Amt übernehmen. Die Abdankung und die Neukrönung werden Anfang des neuen Jahres stattfinden..."
Ich schließe die Augen. Nun wissen es alle. Wie zu erwarten, sehen mich die Verwandten fragend an. Will wird bemitleidet, dass er den Thron nicht besteigen darf.
„Ruhe", sagt die Queen und augenblicklich wird es still. „Es wird so geschehen, wie William es verkündet hat. Ich halte Henry durchaus für fähig, ein würdiger König zu sein. Also zollt ihm den nötigen Respekt!"
Meine Tanten und Onkel ziehen die Köpfe ein und entschuldigen sich bei mir für ihre Worte.Aber sie prallen an mir ab, da sie nicht ernst gemeint sind. Wie ich selbst halten auch sie mich nicht dafür geeignet.„Möchten Sie darüber reden?", fragt Eva, die mich auf Schritt und Tritt begleitet. Natürlich auf Wunsch der Queen. Ich könnte gut und gern auf ihren Körpergeruch verzichten.
„Nein, danke. Aber wie Sie sehen, sind meine Familie und ich einer Meinung, was meine Eignung angeht."Eva nickt traurig.
„Das mag stimmen. Doch in Ihnen steckt mehr, als alle sehen. Vertrauen Sie sich selbst, Henry."Einer meiner vielen Cousins kommt auf mich zu und zieht mich beiseite.
„Ich finde es gut, dass du König wirst", teilt er mir mit einem schleimigen Grinsen mit. „Da kommt endlich frischer Wind ins Königshaus, findest du nicht? Großmutter kann man ja schon beim Verrotten zusehen." Er lacht laut über seinen geschmacklosen Witz. Ich schüttle seine Hand von meiner Schulter ab und suche das Weite.
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Story of my Life - Verlassen
De TodoJetzt ist es offiziell: Tori ist ein Mitglied des englischen Königshauses. Damit beginnen auch die Probleme. Tori ist verschwunden und weiß am Anfang selbst nichts davon. Aber alle anderen machen sich große Sorgen, vor allem Henry. Wo ist Tori? Was...