Erster Teil
Die Asche war weiß.
Sie schwebte in der kalten Luft, bedeckte verbrannte Bäume und verkohlte Häuser wie Schnee und verhinderte das normale Einatmen. Der Wind pfiff unheimlich durch die gähnend leere Landschaft und brachte den Geruch von Staub mit sich.
Alles lag still da, unberührt, wie ein lange nicht mehr aufgeschlagenes Buch.
Das Licht war gedämpft und eigentlich kaum wahrnehmbar, denn die Sonne hatte nicht die Kraft, den in der Luft schwebenden Dreck zu durchdringen und für wärmende, lebensnotwendige Strahlen zu sorgen.
Seit das große Feuer die Wälder, Felder und Städte Schwedens vernichtet hatte, war es still gewesen.
Kein Geräusch war erklungen und keine Bewegung hatte für Aufruhr gesorgt.
Weder Tiere noch Menschen schienen das Land zu bevölkern. Die Asche war das einzig Bewegliche und schien zu regieren. Sie hielt die Zeit in ihrem trockenen Griff und erlaubte dem Leben nicht, wieder Besitz von dem nordischen Land zu ergreifen.Es war, wie wenn ein einziger, eiskalter Wassertropfen die spiegelglatte Oberfläche eines Sees durchdrang und sich das Wasser ringartig ausbreitete.
Eine Bewegung die alles in Gang setzte, was die Zeit stillgelegt hatte.Der spitze Schrei hallte durch einen kalten Spätnachmittag im November. Weißer, giftiger Nebel waberte umher und tauche die Landschaft in eine kalte Atmosphäre.
Ein grauschwarzer Rabe segelte über den verbrannten Wald hinweg und landete auf einem abgebrochenen, verkohlten Stein. Der rechte Flügel des Tiers war merkwürdig verdreht und auch sonst schien es ihm nicht gut zu gehen.
Kroak.
Der Vogel schaute mit starrem Blick umher, dann fing er an seinen Schnabel an dem scharfkantigen schwarzen Gestein abzuwätzen. Knirschend brach ein kleiner Brocken ab und fiel zu Boden.
Kroak.
Verdutzt blickte der Rabe dem hinwegrollenden Steinchen hinterher. Dann fing er wieder an, seinen Schnabel zu verwöhnen.
Der kleine Stein rollte immer weiter durch den trockenen Morast. Irgendwann blieb er in einer kleinen Mulde zwischen zwei abgebrannten Bäumen liegen.
Ein seichter Windstoß lies das zu Asche verbrannte Lauf erzittern. Der Nebel lichtete sich ein wenig.
Plötzlich bewegte sich die Mulde.
Sie krümmte sich und schloss sich um den kleinen Stein, wie eine Faust.
Es knackte leise.
Von dem unangenehmen Geräusch angelockt hüpfte der Rabe herbei.
Er sah die soeben noch eine seichte Mulde gewesene Kugel an-
und pickte kräftig zu.
Ein rotes Rinnsal schoss aus der Kugel und traf den Raben. Voller Entsetzen stieß dieser ein weiteres kehliges Kroak aus und floh.
Die Kugel bewegte sich ruckartig und ein anderes Geräusch war zu hören, diesmal in Form eines Stöhnens.
Noch immer floss die rote Flüssigkeit aus der faustgroßen Kugel heraus und färbte die Asche.
Da erzitterte sie erneut und schließlich erhob sie sich.
Der seit knapp drei Wochen unter der dicken Schicht Asche vergrabenen Körper befreite sich aus der staubigen Umklammerung.
Die Asche löste sich größtenteils und segelte leise raschelnd zu Boden.
Als das Gesicht zum Vorschein kamen wurden kantige Züge sichtbar, die eindeutig männlicher Herkunft waren.
Sie verkraften sich schmerzverzerrt und eine zweite Hand drückte sich auf die Wunde.
Das sprudelnde Blut erstickte unter dem Druck.Der junge Mann schaute sich um.
Er erkannte so gut wie nichts, sein Blick war verschwommen. Mühsam richtete er sich vollkommen auf.
Im nächsten Moment war das Geräusch von reißendem Papier zu vernehmen.
Er zuckte heftig zusammen als ein segender Schmerz durch seinen Unterleib schoss und ihn innerlich verbrannte.
Um ihn herum färbte sich die Asche weiter und weiter in einem blutroten Ton.
Voller Entsetzen blickte der junge Mann auf einen frischen Riss oberhalb seines Bauchnabels.
Die Wunde schien alt zu sein, der dunkle Schorf war noch eindeutig zu erkennen. Seine plötzliche Bewegung schien sie erneut aufgerissen zu haben.
Er blickte sich um, diesmal schärfte sich sein Blick.
Er saß zwischen zwei abgebrannten Bäumen in einem Loch voller Asche und Ruß.
Vor ihm in etwa zehn Metern Entfernung ragte ein schwarzer Stein aus dem weißen Aschemeer.
Und auf diesem Stein saß der Rabe und blickte ihn aus kohlschwarzen Augen an. Aus ihnen war keine Regung zu erkennen.
Der Mann stierte das Tier an.
Kroak.
Bei dem Klang der tiefen Stimme des Tiers zuckte er zusammen und ein weiterer, jäher Schmerz zerschnitt ihn.
Stöhnend sank er zurück auf den kalten, staubigen Boden.
Die Asche knisterte.
Der Rabe legte den Kopf schief und humpelte Vorsichtig heran.
Der Mann bemerkte es und blickte auf.
Der Rabe war um sechs Meter herangetrabt und sah ihn nun herausfordernd an.
"Was..."
Sein Hals fühlte sich heiß und trocken an.
Jedes Wort war wie ein Feuerstoß, es brannte höllisch.
"Was...willst du mir sagen?"
Argwohn spiegelte sich in dem Blick des Tiers.
Langsam breitete er die Flügel aus.
"Dein Flügel."
Die linke Schwinge war eingeknickt, der Rabe schrie auf vor Schmerz.
"Was ist hier passiert?"
Beim Klang der Kratzigen Stimme blickte der Rabe erneut auf. Dann hoppelte er paar Schritte zurück und blickte sich wieder zu dem Mensch um.
"Du weißt es auch nicht, oder?", fragte er und sank zurück auf den harten Boden.
Ihm war übel, schwarze Punkte tanzten vor seinen Augen und die Wunde in seinem Unterleib pochte unerträglich.
Warmes Blut sickerte zu Boden und wurde gierig von der grauweißen Masse aufgesaugt.
Der metallische Geruch erhob sich und wurde unweigerlich vom Wind kilometerweit davongetragen.
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Todeswispern
Mystery / Thriller„Zu spät. Die Zähne gruben sich scharf in seine Kehle. Gleich darauf riss ein gleißender Schmerz seinen Körper samt Seele entzwei. Das Messer in seiner Hand fühlte sich mit einem Mal tonnenschwer an. So ließ er es fallen. 'Ich habe verloren.' Alle...