Schnee.

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Das ehemals elegant anmutende Wohnzimmer war zu einer notdürftigen Sanitäranlage umfunktioniert worden. Die schweren Möbel lagen verstreut herum, manche waren beschädigt, andere wiederrum vollkommen zerstört. Klapprige Liegen waren aufgestellt worden. Gale bemerkte, dass nur wenige von ihnen besetzt waren. Er drehte den Kopf und wand sich an den Mann mit den schulterlangen Haaren, der sich mittlerweile als Laurin vorgestellt hatte. „Sammelt ihr Überlebende auf und verarztet sie hier?“, verlangte er zu wissen, während er sich ebenfalls auf einer der Liegen niederließ. Laurin blieb vor ihm stehen. „Ja das stimmt, wir helfen wo wir können. Allerdings haben wir noch nicht viele gefunden, die der Katastrophe hatten standhalten können“, meinte er und setzte sich vor ihm auf den Boden. „Laurin…das kommt dir jetzt vielleicht merkwürdig vor aber ich kann mich an keine Katastrophe erinnern! Ich kenne mein Leben nur so, wie es in den letzten Wochen verlaufen ist“, sagte Gale. Ein trauriges Lächeln stahl sich auf das Gesicht des Sanitäters. „Ich glaube allen ging es so. Ich habe mein Gedächtnis auch verloren, doch die Erinnerungen kommen nach und nach zurück. Wenn du möchtest erzähle ich dir, was vorgefallen ist aber ich warne dich; es wird dir nicht gefallen!“ Gale überlegte kurz, dann nickte er. Er war es leid, im Dunkeln zu tappen. Laurin machte es sich bequemer. „Also gut. Alles begann vor mehreren Monaten. Unsere jetzige Situation setzt sich aus mehreren verhängnissvollen Ereignissen zusammen, die teilweise unerklärbar sind.  Da wären beispielsweise die vielen Atomkraftwerke, deren Brennstäbe gleichzeitig durchschmolzen. Aus irgendeinem geheimnisvollen Grund fielen die Reaktorkühlsysteme aus und es kam zu wiederholten Kernschmelzen. Die Kraftwerke verwüsteten viele Landstriche und Städte auf der ganzen Welt und ihnen fielen mehrere Hunderttausend  Menschen zum Opfer.“ Gales Augen weiteten sich vor Schreck, als er diese Worte hörte. Das würde die viele Asche erklären, dachte er, doch im nächsten Moment kam ihm der Gedanke, dass es vollkommen unrealistisch war. Atomexplosionen verursachten in der Regel nicht diese riesigen Mengen an Staub und Asche. Laurin sprach weiter: „Das war allerdings noch nicht alles…wie gesagt, diese Geschichte hat mehrere Handlungsstränge. Hier in Schweden gab es nämlich ein völlig anderes Problem: Die vielen Tiere, Adler, Elche, Bären, Wölfe und Luchse erkrankten an Tollwut. Diese Welle kam so überraschend und aus dem Nichts wie die Explosionen. Wären sie in ihren Wäldern geblieben, hätten wir wahrscheinlich überhaupt nichts davon mitbekommen. Doch dann begann die Katastrophe…Spaziergänger wurden am helllichten Tag von ihnen angegriffen und teilweise getötet, die die überlebten trugen die Krankheit nach Hause und steckten ihre Mitmenschen an. Viele Mediziner versuchten, ein Heilmittel dagegen zu finden, doch vergebens. Mehr Menschen starben und die Krankheit verbreitete sich wie ein Lauffeuer.“ Gale wurde plötzlich ganz heiß. Er erinnerte sich an den Traum in dem er in einem Labor gestanden hatte. Hatte er dort nicht auch gegen diese Krankheit gekämpft? Und wenn ja- wie war er dann in dieses Labor gelangt? Er erinnerte sich nicht daran, jemals etwas mit Medizin zu tun gehabt zu haben. Dann kam ihm ein neuerlicher Gedanke. „Und woher kommen diese Kreaturen? Und was hat es mit den Gedächnissverlusten auf sich?“ Laurin seufzte. Anscheinend belastete ihn dieses Thema. „Nun… diese Kreaturen nennen wir Hasser.“ Gale musste verwirrt ausgesehen haben, denn sein gegenüber hob eine Augenbraue. „Was ist?“ „Dagna und ich haben diese Kreaturen Willenlose getauft, deswegen bin ich verwirrt.“ Laurin lachte kurz auf.  Es war ein freudloses Lachen. „Willenlose? Schön wäre es. Nein, diese Dinger besitzen in der Tat einen eigenen Willen- und eine unbeschreibliche Intelligenz noch dazu. Vielleicht ist dir das schon mal aufgefallen“, fügte er trocken hinzu. Erschaudernd dachte Gale an den Vorfall in der Hütte des alten Mannes, der ihn zusammengeflickt hatte. Dieses Biest, welches ihn angegriffen hatte, hatte in der Tat sehr intelligent ausgesehen… „Wie seid ihr auf den Namen Hasser gekommen?“, wollte er wissen und der ältere Mann antwortete bereitwillig. „Wir haben sie beobachtet und Informationen gesammelt um ihnen nicht gänzlich unterlegen sein. Diese Informationen hatten zwar ihren Preis, aber es hat sich mehr oder weniger gelohnt.“ Abwesend blickte Laurin auf einen unsichtbaren Fleck hinter Gale. Als er wieder sprach war seine Stimme kalt vor Zorn. „Diese Expedition habe nur ich überlebt. All meine Kollegen gehören nun auch zu den Hassern. Diese Kreaturen hassen alles, was einen Hauch von Leben in sich trägt. Sie verfolgen und töten alle Lebewesen, die sie ausfindig machen können und es hat den Anschein, als ob es ihnen eine Art Freude bereitet. Sie konkurrieren untereinander, wer die meisten Leben auslöscht. Und das Schlimmste ist, dass dies alles einmal lebende Menschen gewesen sind.“


Plötzlich unterbrach sich Laurin und lauschte. Die Stimmen um sie herum waren verklungen und eine eisige Kälte hatte sich im Raum verteilt. Es roch nach frisch gefallenem Schnee. Und mit einem Mal begann Gales rechtes Ohr heftig zu fiepen.

TodeswispernWo Geschichten leben. Entdecke jetzt