In sich zusammengesunken kauerte Gale an der verbeulten Innenwand des Helikopters. Seit mehr als vierundzwanzig Stunden segelte dieser nun schon durch die Lüfte, unter sich nichts als ein graues Wolkenmeer. Der Pilot hatte sich bereits von dem Schreck erholt und steuerte die Maschine mit beruhigender Normalität. Hin und wieder blickte er nach hinten, um sich zu vergewissern, dass Gale noch immer im Helikopter war. Gale hatte sich seit dem Angriff der Hasser auf den Helikopter kaum bewegt. Seine Knie schmerzten höllisch und seine Kehle war wie ausgedörrt, doch er kam den Bedürfnissen seines Körpers nicht nach. Betrübt starrte er auf die Kratzer, welche die Krallen der verhassten Kreaturen auf der gegenüberliegenden Wand hinterlassen hatten. Zum trauern fehlte ihm die Kraft, seine Tränen schienen versiegt. An der Stelle tagte nun eine Leere, welche alles in ihm zu betäuben schien. Seit Stunden war kein einziger Laut über seine Lippen gekommen, seine Stimme hatte ihre Kraft verloren. Wie ein Häufchen Elend saß er da, zusammengekrümmt und hilflos.
Es schien, als wäre der Lebenswille gänzlich von ihm gewichen.Nach weiteren zwei Stunden drehte sich der Pilot erneut zu ihm. „Wir müssen in Kürze landen, der Helikopter hat so gut wie keinen Treibstoff mehr. Wie müssen dann auf einen Geländewagen oder so etwas ähnliches umsteigen.“ Gale nickte nur einmal kurz, doch damit gab sich der Mann zufrieden. Bald darauf neigte sich der Helikopter leicht nach unten und Gale spürte den Unterschied des Drucks als ein Stechen in beiden Ohren. Mehr oder weniger sanft traf das Gefährt auf dem Boden auf und die Geräusche des laufenden Motors verstummten, Ruhe trat ein.
Einen Moment lang rührte sich keiner der Beiden, dann jedoch stand der Pilot auf, lief zu Gale hinüber und hockte sich neben ihn.
„Ich weiß das ist jetzt komisch, aber wir hatten kaum eine Möglichkeit uns einander vorzustellen... auch wenn ich ursprünglich allein fliehen wollte, bin ich froh, dass ich jetzt jemanden dabei habe. Ich bin Björn“, meinte er und wartete darauf, dass sein Gegenüber ebenfalls seinen Namen nannte. Nach einigen Minuten schien Gale aus seiner Starre zu erwachen. Als er Björn den Kopf zuwand, leuchteten seine Augen weißlich in der Dämmerung des hereinfallenden Tageslichts. „Ich wüsste nicht, warum ich Ihnen vertrauen sollte. Immerhin ist Dagna durch Ihre mangelhaften Flugkünste ums Leben gekommen.“, knurrte er, stand auf und verließ mit polternden Schritten die Flugmaschine. Auf der kleinen Leiter wäre er fast zusammengebrochen, seine Beine schmerzten durch das viele Sitzen. Stolpernd lief er in den Abend hinein, er wusste nicht wohin er wollte. Hinter ihm erklangen Björns Rufe, dann erfasste ihn der Strahl einer Taschenlampe. „Nun warten Sie doch! Ich konnte nichts dafür, dass sich diese Biester an den Helikopter gehängt haben!“, keuchte er und lief hinter Gale her. Dieser wirbelte herum und versuchte dabei, sein Gleichgewicht wiederzuerlangen. „Sie waren für den Flug verantwortlich, da Sie nämlich der Pilot sind. Sie hätten die Hasser sehen müssen, bevor sie die Gelegenheit haben konnten, meine letzte Tochter mit in den Tod zu reißen!“, schrie er und spuckte aus. Björns Augen weiteten sich geschockt. „Da- das wusste ich nicht“, stammelte er und blickte zerstreut zu Boden. Gale schnaubte angewiedert und setzte seinen Weg in die Dunkelheit fort. „Ich hatte auch Kinder, wissen Sie“, rief ihm Björn hinterher. Gale antwortete nicht sondern stampfte weiter. „Ich musste sie töten.“
Nun blieb er doch stehen, denn das, was Björn sagte traf ihn wie eine Schockwelle. Entsetzt atmete er aus, dann drehte er sich um. Aus Björns Augen flossen Tränen. „Warum?“, fragte Gale, doch er lief nicht zurück sondern blieb in einiger Entfernung stehen.
Björn schniefte.
„Ich weiß nicht, wie sich die beiden den Virus eingefangen haben. Wie waren im Krankenhaus weil sich mein Sohn den Fuß beim Bolzen gebrochen hatte. Meine kleinere Tochter Astrid und meine Frau Marlene waren mit mir zusammen dort, um ihn zu besuchen. Nach ungefähr zwei Stunden gingen Marlene und ich in die Cafeteria um uns einen Kaffee zu holen. Ich musste auf dem Rückweg nochmal zur Krankenschwester um mit ihr ein paar Ding zu klären. Als ich zurückkam hörte ich schon aus dem Flur merkwürdige Geräusche. Als ich das Zimmer betrat...“, Björn rang sichtlich mit der Fassung. „Marlene lag am Boden, Astrid beugte sich gerade über sie und mein Sohn Lukas hielt ihre Arme fest. Meine Frau schrie voller Angst Astrids Namen. Als ich eingriff und sie von Marlenes Brust zerren wollte, blickte ich in diese....weißen, toten Augen die nur die Hasser besitzen. Astrid griff mich sofort an, sie war nicht mehr sie selbst. Ich konnte sie davon abhalten, mich zu verletzen. In der Zwischenzeit hatte Lukas meiner Frau die Kehle durchgebissen.“ Schluchzend wischte er sich über das Gesicht. „Ich musste sie b-beide umbringen, damit s-sie nicht auch noch d-die anderen Patienten kaltmachten! Ich musste m-meine eigenen Kinder töten!“
Sorachlos vor Entsetzen stand Gale da und blickte den vor Trauer bebenden Mann an. Die Geschichte, welche er soeben vernommen hatte klang für ihn so grauenvoll, dass ihm Björn mit einem Mal furchtbar leid tat. Sein Zorn war wie weggeblasen. Langsam setzte er sich in Bewegung um Björn zu beruhigen.
Mitten in der Bewegung veränderte sich der Luftstrom, sodass der faule Geruch Gale mitten im Gesicht traf.
Der Schatten hinter dem Piloten begann lebendig zu werden.
Gales Blick schärfte sich in der Sekunde, als der Hasser hinter Björn auftauchte, die krallenbewehrte Hand zum Schlag erhoben.
Gale erkannte ihn sofort.
Mit den einsetzenden Fiepen in beiden Ohren schlug in ihm die Erkenntnis ein, das Wesen vor Augen zu haben, welches sich an die Füße seiner Tochter geklammert und sie von Helikopter gerissen hatte.
DU LIEST GERADE
Todeswispern
Mystery / Thriller„Zu spät. Die Zähne gruben sich scharf in seine Kehle. Gleich darauf riss ein gleißender Schmerz seinen Körper samt Seele entzwei. Das Messer in seiner Hand fühlte sich mit einem Mal tonnenschwer an. So ließ er es fallen. 'Ich habe verloren.' Alle...