Schmerz.

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Er dachte er hatte das Schlimmste hinter sich gebracht.
Er dachte er hätte das alles nur noch so lange ertragen müssen, bis er vor Schmerz und Durst starb.
Er hatte alles mögliche in Betracht gezogen.
Aber mit einer langen, äußerst qualvollen Behandlung hatte er nicht gerechnet.
Der Rum brannte ihn vollkommen aus. Er brannte klaffende Löcher in seinen Körper und seine Seele.
Der scharfe brennende Schmerz rollte in abartigen Wellen über ihn,
sie schwappten immer wieder in unregelmäßigen Abständen über ihm zusammen und verzerrten ihn.
Der alte Mann hatte es für nötig befunden, ihn auf solch eine schmerzvolle Art zu heilen.
Er brabbelte wärend der Behandlung ununterbrochen vor sich hin.
Dabei viel immer wieder ein Wort.
Sie.
Wer Sie waren wusste er nicht.
Sie durften die Hütte nicht erreichen.
Sie durften sie nicht finden.
Sie wurden von Blut und Gedärmen, eben von lebenden Körpern angelockt.
Und deshalb hatte der Alte nicht mit sich reden lassen, ihn auf einen klapprigen, feucht-vermoderten Holztisch mit alten Ledergürteln festgeschnallt und damit begonnen, seine Wunde zu heilen.
Mit Nadel, Faden und einer nicht viel versprechenden, staubigen alten Rumflasche war er ans Werk gegangen.
Er war dem Alten hilflos ausgeliefert.
Die Stiche waren wackelig und der Rum wurde von seinen dreckigen Kleidern aufgesogen.
Der Geruch des Alkohols stach ihm scharf in die Nase.
Der erste Stich war für ihn noch halbwegs verträglich gewesen.
Es pickste nur leicht.
Aber dann setzte der Alte die Rumflasche an.
Ein grelles Feuer wogte durch seinen Körper, begonnen in seinem Unterleib.
Es breitete sich aus, floss als Lava durch seine Adern und verätzte alles.
Seine Schreie verklungen unerhört.
Nun waren selbst die Nadelstiche die reinste Hölle.
Jeder einzelne Stich war ein Schwerthieb, jedes Festziehen der Fäden ein Srtick um den Hals.
Es war als wäre sein Körper ein einsames Blatt, welches von unten herauf verbrannte, zu Asche zerfiel und vom Wind hinweggetragen wurde.
Doch das Schlimmste war noch nicht überstanden.
Zu allem Überfluss hatte der Alte festgestellt, dass die meisten seiner Knochen zerbrochen und schief wieder zusammengewachsen waren. Seine rechte Schulter, sein linkes Handgelenk und beide Kniescheiben waren betroffen.
Als der Alte durch den dick wogenden Schleier aus Übelkeit und Schmerz verkündete dass er nun all die Knochen brechen und erneut verbinden müsse, schrie erneut auf.
"NEIN! ICH SCHAFFE DAS NICHT MEHR, BITTE LASSEN SIE MICH EINFACH STERBEN, ES IST BESSER FÜR UNS BEIDE, ICH-"
Knack.
Eine neuerliche Welle Übelkeit und stechenden Schmerz wog über ihn hinweg, drang in jede Pore, jeden Fitzel seines Körpers und reizte ihn bis es nicht mehr ging.
Knack.
Und dann war da nichts mehr.

Schwärze.
Ein Schrei.
Ein grelles Licht.
Ein Knall.
Durch die wabernde, flüssige Dunkelheit vernahm er einige Faktoren, die darauf hinwiesen, dass etwas nicht stimmte.
Und da.
Direkt neben ihm ein Röcheln.
Mit einem Mal fand er sich in einer verwüsteten Großstadt wieder.
Überall sah er Explosionen.
Sterbende und verletzte Menschen,
ineinanderrasende Autos.
Es sah aus als wäre Krieg.
Die Wolkenkratzer standen in hellen Flammen, die einen sehr starken Kontrast zu den dunklen Wolken bildeten, die am Himmel zu sehen waren.
Das züngelnde Feuer belichtete das Szenario, das sich innerhalb der Straßen und Parks abspielte.
Ein Mensch rannte.
Er rannte schneller als alles, was er bis zu diesem Zeitpunkt kannte.
Er spurtete zu einer Mutter, die sich schützend vor ihr Kind stellte, die Augen flehendlich und verständnislos auf ihn gerichtet.
Ihre Lippen formten lautlos ein Wort.
Gale.
Der Mensch rannte auf sie zu, sie schrie gellend auf, dann stürzte er sich auf sie und vergrub seine spitzen Zähne in ihrem Hals. Das Blut spritzte heraus und traf den Wahnsinnigen mitten im Gesicht.
Es war ihm egal.
Er hatte ein williges Opfer.
Er fraß.
Das Kind war wärend der Attacke zu Boden gestürzt und schrie.
Ein Stich durchbohrte sein Herz bei diesem qualvollen Anblick, doch er blieb stehen und beobachtete.
Der Mensch hatte von der Jungen Frau abgelassen und war weitergehetzt, seinen Blick wahnsinnig auf irgendetwas Lebendes gerichtet.
Die Frau lag am Boden, röchelte und schrie gleichzeitig.
Das Kind neben ihr schrie ebenfalls. "Mammaaaa!"
Plötzlich ging ein Ruck durch ihren zierlichen Körper. Sie blickte auf.
Ihre Augen waren nun von einem blendenden Weiß, die Zähne bis ans Äußerste gespitzt und die Haut bleich und durchsichtig. Knochen, Adern und sogar Gehirn waren zu erkennen.
Das Herz der ehemals wunderschönen Frau schlug nicht mehr.
Sie richtete ihren toten Blick auf das Kind neben ihr.
"Mama?"

Kurz darauf besprenkte das Blut des Kindes die ohnehin schon nasse Straße.

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