Leid.

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Schweißgebadet erwachte Gale aus seinem Schlaf. Die gesprochenen Worte hallten in seinen Gedanken nach und warfen ein unheimliches Echo.
Wie ein stürmisches Gewitter jagten die Bilder wie Blitze an seinem inneren Auge vorbei und erschütterten ihn bis ins Mark. Diese Frau in seinem Traum die sich Ava nannte...sie war ihm auf unerklärliche Weise vertraut. Und sie hatte ein Kind erwartet...von ihm.
Das kann nicht sein, das kann einfach nicht sein! Ich kenne diese Frau nicht, ich habe sie noch nie gesehen!
Doch etwas sagte ihm dass er da komplett falsch lag.

Als sich die Monsterwölfe nach dem feurigen Tod ihres Alphatiers schnellstens zurückgezogen hatten, hatte Gale nicht lange gefackelt, sich Rucksack und Axt gegriffen und war auf geradem Wege nach Westen gerannt. Nach Stunden war die Dämmerung auf den Wald herabgesunken und hatte dem jungen Mann mit ihrer nebligen Schwärze Orientierungssinn und Sicht geraubt, sodass er gezwungen war, sich einen nahen Baum zu suchen, hinaufzuklettern und ein notdürftiges Lager auf den morschen Ästen zu errichten. Nach wenigen Minuten war er eingeschlafen, geschunden und erschöpft von seinem langen Fußmarsch. Nun lag er bäuchlings in einer flachen Kuhle, die die knorrigen Äste bildeten und starrte das vertrocknete Blätterdach über ihm an, verzweifelt angestrengt um seine Erinnerungen zusammen zu halten.
Der Wind frischte auf und brachte weißen Staub, blaues Eis und silbernen Schnee mit sich. Die zerbrochenen Eiskristalle wirbelten um sich selbst und vollbrachten zusammen eine wundervolle Choreografie in der trockenen Luft.
Gale betrachtete das Schauspiel traurig und fragte sich plötzlich, ob er solche wundervollen Dinge eines Tages sorglos genießen konnte.
Da zerriss ein schauerlicher Schrei die Luft.

Der junge Mann fuhr hoch, Adrenalin schoss durch seine Adern und Angst klammerte sich um sein Herz. Mit zitternden Händen packte er seine Habseligkeiten zusammen und zog sein Messer. Er blickte sich suchend um.
Der übelkeiterregende Gestank erreichte ihn, bevor er das Monster sehen konnte. Geruch von faulem Fleisch und Eiter erfüllte seine Nase. Mühsam konnte er seine Magensäure zurückhalten, die sich schmerzhaft ihren Weg in seinen Mund bahnen wollte. Krampfhaft überlegte er was er tun sollte.
Hilfe! Hiilfe!"
Erschrocken zuckte Gale zusammen.
Die hilflose Stimme war eindeutig weiblich. Und sie hörte sich nicht untot an.
In einem Moment verzweifelten Dranges zu helfen, sprang der junge Mann von seinem Baum und rannte in die Richtung, aus der der Schrei erklungen war.
Die Ascheblätter wirbelten um ihn herum als er durch den Wald stürmte.
Er ließ seine Sinne los und schickte sie voraus.
Er roch den Staub und das Blut.
Er sah das graue Weiß, das auf den Bäumen haftete.
Er spürte die reißende Kälte auf seiner Haut.
Es schmeckte Salz und Eisen.
Er hörte die Bäume rascheln und die Asche knistern.
Er bog un einen Baum und sah sich seinem Feind direkt gegenüber. Abrupt blieb er stehen.

Wenige Meter vor ihm lag eine zierliche, kleine Frau am Boden.
Sie war blutüberströmt und atmete flach. Ihre Bauchdecke war aufgerissen worden und das Blut färbte den Untergrund tiefrot.
Über ihr kauerte das Ding.
Knorrige Finger.
Aufgkratzte Kehle.
Durchsichtige Haut.
Schlitzaugen und bösartige Hauer.
Es hatte der Frau beide Arme ausgerenkt und beugte sich nun über sie, um zu fressen.
Es wollte gerade ein Stück Gedärm herausreißen, da hob es den Kopf, wirbelte ohne Vorwarnung herum und taxierte Gale.
Dann sprang es vor.
In wenigen Sekunden hatte es die wenigen Meter zu ihm überbrückt und stürzte sich mit einem grässlichen Schrei und mit seinem ganzen Körpergewicht gegen den jungen Mann.
Gale hatte damit gerechnet und sprang nach links, drehte sich blitzschnell um und verpasste dem Biest einen ordentlichen Schlag mit seinem Rucksack.
Überrascht stolperte das Ding, wirkte aber nicht benommen. Sofort attackierte es Gale von Neuem.
In den wenigen Sekunden der Verblüffung hatte Gale sein Jagdmesser gezückt und stieß es dem Ding entgegen, in der Hoffnung es wäre so töricht hineinzurennen und sich so selbst zu verletzen.
Doch anscheinend besaßen die Ungeheuer eine Art Intelligenz, denn es duckte sich, biss Gale in die Hand und schlug ihm hart vor die Brust.
Alle Luft verließ schlagartig seine Lungen und blindlings flog Gale mehrere Meter rückwärts, direkt gegen einen Baum.
Es tat ein hässliches knack und Gale verspürte einen dumpfen Schmerz im Kreuz.
Benommen versuchte er aufzustehen.
Zu seiner Überraschung klappte es auch.
Doch das Ding war da, packte brutal seine Kehle und drückte ihn auf den Boden zurück.
Gale bekam keine Luft mehr. Da er sowieso keinen Sauerstoff in den Lungen gehabt hatte, drohte er schon nach wenigen Sekunden ohnmächtig zu werden.
Nein...das wäre mein Tot...
Verzweifelt tastete er nach seinem Messer. Es lag wenige Zentimeter von ihm entfernt auf dem Boden.
Mit seinen Fingerspitzen konnte er die scharfe Schneide berühren, doch er konnte die Hand nicht um den Griff legen.
Der hässliche Kopf beugte sich dicht über sein Gesicht.
Der heiße Atem kitzelte seine schutzlose Kehle, die gefangen von den mörderischen Klauen immer fester zusammengequetscht wurde.
Das war es dann wohl.
Doch gerade als Gale sich damit abfinden konnte zu sterben und als die scharfen Reißzähne sich fast zärtlich um seinen Hals legten und der scharfe Schmerz in seinem Kopf die Oberhand gewann...

...gelangte er an den Griff seines Jagdmessers.

TodeswispernWo Geschichten leben. Entdecke jetzt