Todeswispern

Seele.

In den weit aufgerissenen Augen des Hassers lag Furcht. Die Furcht, für immer von dieser Welt getilgt zu werden ohne die Chance auf eine Wiedererweckung. Die Dolchspitze ragte auf Brusthöhe aus dem fauligen Fleisch, die Wirkung des Metalls setzte fast sofort ein. Wie von einer Säure besprüht begann sich der Körper des Untoten in graue Asche aufzulösen. Gale kämpfte sich unter dem verendenden Leib hervor und betrachtete benebelt das Schauspiel, welches sich ihm darbot. Der Hasser röchelte, während sich sein Körper auflöste. Blut sickerte aus seinen Mundwinkeln. Der Anblick löste eine unheimliche Genugtuung in Gale aus. Der rote Schleier vor seinen Augen war noch nicht gänzlich verschwunden, das Fiepen in seinen Ohren wurde jedoch immer schwächer. Wind kam auf und trug die Überreste des Biestes davon. Mit dem Luftzug verschwand auch das unangenehme Gerräusch in Gales Ohren. Gleichzeitig überkam ihn ein unbeschreiblich starkes Hungergefühl. Der plötzliche Drang, salziges Blut auf seiner Zunge zu spüren, war überwältigend. Schweiß brach auf seiner Stirn aus, der rote Nebel nahm gänzlich von seinem Gesichtsfeld Besitz. Sein Atem beschleunigte sich. Der Kampf mit dem Untoten forderte unweigerlich seinen Tribut. Er erhob sich auf alle Viere und schnupperte, witterte wie ein Tier in der Luft. Ein Teil von ihm wusste, dass etwas von ihm Besitz ergriffen hatte, doch diese Gedanken verschwammen in dem immer stärker werdenden Strudel aus Hunger und Wahnsinn. Aus den Augenwinkeln nahm Gale eine Bewegung war. Als er genau hinschaute, sah er wie Björn seinen blutverschmierten Kopf aus der grauen Asche streckte und sich benommen umsah. Der unwiederstehliche Geruch von Metall stieg Gale in die Nase. Langsam begann er, auf den Verletzten zuzukriechen. Björn bemerkte die Bewegung und blickte zu ihm. "Gale? Was um Himmelswillen ist geschehen?" Mit einer Hand hielt er die Wunde an seinem Hals. Blut sickerte zwischen seinen Fingern hervor. Blut... "Gale?" Gale erhob sich. Langsam schwankte er auf den Piloten zu. Hilflos saß sein Opfer vor ihm, wie ein Hase der nicht ahnte, welche Gefahr ihm drohte. Ein mitleidiges Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus, als er Björns verwirrte Gesichtszüge betrachtete. So unschuldig. Der Pilot schien zu bemerken, dass etwas nicht stimmte. Er wich zurück. "Gale verdammt, was ist los hier??" Gale schenkte den Worten voller Angst keine Beachtung. Lächelnd hockte er sich vor Björn. Als dieser ihm in die Augen sah, breitete sich Panik in ihm aus. "Gale deine Augen! Du... du bist einer von ihnen!" Mit Wucht packte Gale ihn am Hals. Den erschrockenen Schrei erstickte er mit zusätzlichem Druck. Langsam hob er den Körper empor, beugte sich nah an Björns Ohr und flüsterte heiser: "Das war ungeschickt." Dann biss er zu. 

Nein!

Der Schrei durchschnitt seine Gedanken wie die kühle Klinge eines Schwertes. Das darauffolgende Brennen brachte Gale zu Verstand. Verwirrt öffnete er seine Augen. Die vor Entsetzen geplagten Züge seiner Tochter brannten sich in seinen Geist. Sie kniete neben ihm in der trockenen Asche, ihre Haare wehten im verseuchten Wind. Tränen rannen über ihr Gesicht. "Tu es nicht Dad. Werde nicht zu dem Monster, welches von dir Besitz ergreifen will!"Ihre Hand lag an seiner Wange, es war der Hauch einer Berührung. Langsam drängte sie Gales Kopf weg von Björn. Zusätzlich löste sie den harten Griff um die Kehle des Menschen. Röchelnd und zitternd fiel der Pilot zu Boden. Gale hatte nur Augen für seine verloren geglaubte Tochter. Er streckte die Arme aus, um sie zu spüren, um wirklich wissen zu können, dass sie überlebt hatte. Sie wich zurück. "Nicht" Verwirrt ließ Gale die Hände sinken. Sein Hals war trocken. "Bist du es wirklich? Bist du meine Tochter?", flüsterte er. Der rote Nebel verschwand. Dagna schüttelte sanft den Kopf. "Ich bin ein Abbild der Seele, welche einst in Dagna wohnte. Ich bin nichts weiter als ein Gedanke, welcher sich aus ihrer sterblichen Hülle befreite um dir zur Seite zu stehen. Diese Welt ist zu einem gefährlichen Ort geworden, Dad. Du kannst ohne Hilfe nicht überleben...jedenfalls nicht als Mensch." Diese Worte trafen Gale. Verwirrt wich er zurück. "Was geschieht denn nur mit mir? Wieso kann ich bald nicht mehr als Mensch existieren?" Verzweiflung überkam ihn, dann die Woge der Erkenntnis. Als er in Dagnas glasige Augen blickte, lag darin Bestätigung. Die Welt schwankte, brach aus ihrer Halterung und stürzte in sich zusammen. Die letzte Flamme der Hoffnung, welche in ihm gebrannt hatte, drohte zu erlischen. Schwindel überkam ihn und zwang ihn zurück auf den harten Boden. Dort lag er und blickte hinauf zu den zerbrechenden Sternen.

Ich bin ein Hasser.