Gale konnte sich nicht bewegen. Die Angst hatte ihn hinterhältig überfallen und entließ ihn nun nicht mehr aus ihren schwarzen Fängen. Seine Augen waren geweitet, sein Herz raste so schnell, dass es wehtat. Das Fiepen wurde immer stärker und bohrte sich wie eine Eisnadel in seinen Schädel. Alles um ihn herum fühlte sich irreal an, so, als würde er einen Film angucken. Die Geräusche waren merkwürdig gedämpft, sie surrten wie ein Bienenschwarm. Es war ein einschläferndes Geräusch. Gale hätte die Realität fast entgleiten lassen, als ihn ein Schwall warme Flüssigkeit mitten im Gesicht traf. Erschrocken prustete er und schmeckte Eisen. Die Welt wurde wieder scharf. Gale wischte sich die Flüssigkeit aus den Augen und ein stummer Schrei verließ seine Lippen, als er klar sehen konnte. Laurins weißes Sanitäter Hemd war schwarz verfärbt. Aus seinem Oberkörper ragte eine mit spitzen Krallen bewehrte Hand, die sich durch sein Fleisch wühlte, als wäre es Luft. Blut rann aus seinem Mund, doch er schrie nicht. Er kippte langsam nach vorn, wobei die Hand mit einem leisen Schmatzen wieder seinen Körper verließ. Dumpf schlug er am Boden auf. Hinter ihm ragte eine vertraute Kreatur empor. Die durchsichtige Haut war an manchen Stellen aufgerissen und ein schleimiges, eitriges Sekret rann anstelle von Blut daraus hervor. Die nach innen gebogenen Fangzähne waren gebleckt und rot gesprenkelt von dem Blut seiner Opfer. Die pupillenlosen, vermoderten Augen richteten sich auf Gale. Langsam legte der Hasser den Kopf schief, dann kräuselten sich seine Lippen. Es sah auf eine schreckliche Art aus, als würde es wissend lächeln. Das Wesen fauchte und setzte zum Sprung an. Doch dann geschah etwas Seltsames. Über die Welt legte sich ein Schleier. Die Gerüche und Farben nahmen an Intensität zu und auch die Sehschärfe von Gales Augen veränderte sich radikal. Er sahalles. Er roch alles. Er fühltealles. Und er hörte alles. Die Klänge um ihn herum veränderten ihre Lage, sie wurden stechender und intensiver. Die Farben leuchteten plötzlich, als würden sie von unsichtbaren Flutlampen angestrahlt werden. Doch als Gale tief einatmete, verließ ihn alle Selbstbeherrschung und tiefer Hass begann in ihm zu kochen. Er roch Metall und Salz. Er roch Wärme und Kälte. Er roch die Asche und er roch den Lebenssaft der Menschen um ihn herum. Gier befiehl seinen Verstand und zerstörte ihn. Er wollte töten. Er wollte sich an dem warmen Fleisch seiner Opfer laben, nachdem er ihnen dabei zugesehen hatte, wie sie die Welt der Sterblichen verließen. Er wollte so viel und so oft wie möglich morden und kaltes Leid über diese Welt bringen. Und davon hielt ihn nur dieser Hasser ab, der nun mit weit geöffnetem Kiefer auf ihn zusprang. Gale wirbelte von seiner Liege und riss sie nach oben, wie einen Schutzschilt. Das Monster wurde von den spitzen Metallstangen, die die Liege getragen hatten, aufgespießt, doch es schien ihm nicht wehzutun. Stattdessen schrie es wütend. Der Schrei war so hoch, dass Menschen ihn niemals hätten hören können, doch Gale konnte es. Er begriff nun, wie diese Wesen miteinander kommunizieren konnten, ohne dass sie jemand hörte. Voller Wut riss sich derHasser die Liege aus dem Oberkörper und startete den zweiten Angriff. Blitzschnell streckte es seine Klauen nach vorn um Gales Bauch aufzuschlitzen, doch dieser schlug sie beiseite. Es knirschte laut und eine Hand baumelte nutzlos umher. Gefrustet brüllte der Hasser erneut. Er geiferte und blickte ihn mit einem wahnsinnigen Blick an. Gale wich zurück. Er bemerkte, wie das Wesen seine Arme sinken ließ und seine Nasenflügel blähte. Plötzlich versteifte es sich und schrie erneut. Und das was Gale hörte ließ ihn erstarren.
Hasser!
So schnell, dass kein Menschenauge es hätte erfassen können, schlang er seine Hände um den Hals des Monsters und verdrehte den Kopf in einer fließenden Bewegung. Es knackte ohrenbetäubend und der Hasserfiel schlaff zu Boden. Alle Anspannung floss aus Gales Körper und die Normalität kehrte zurück. Er blickte sich um. Neben ihm erkannte er Laurin, der dabei war, sein Leben auszuhauchen. Das dunkle Blut floss ohne Hinderung aus seinem Körper und Gale wusste, dass er nichts mehr für diesen Mann tun konnte. „Gale…“ Mit zwei großen Schritten war Gale bei ihm und kniete sich hin. Er sah, dass es den Sanitäter viel Kraft kostete, Worte zu bilden und sie auszusprechen. „Hinter…dem Haus steht ein…Helikopter…nimm ihn, er…ist voll betankt.“ Laurin hustete und noch mehr Blut quoll aus seinem Mund. „Flieg nach Schottland…dort gibt es einen großen Sammelpunkt von Überlebenden…dort ist es sicherer als hier…nimm Dagna mit und pass auf sie auf…“ Sein Atem wurde flacher. Gale musste schlucken. „Danke für alles Laurin. Ich werde dich immer in Erinnerung behalten.“ Laurin nickte und blickte auf etwas hinter ihm. Seine Brust hob und senkte sich nur noch schwach. „Maisie…ich komme mein Engel…“ Sein Blick zersplitterte und ein letzter Luftzug verließ seine Lippen.
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Todeswispern
Mystery / Thriller„Zu spät. Die Zähne gruben sich scharf in seine Kehle. Gleich darauf riss ein gleißender Schmerz seinen Körper samt Seele entzwei. Das Messer in seiner Hand fühlte sich mit einem Mal tonnenschwer an. So ließ er es fallen. 'Ich habe verloren.' Alle...