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Gale war wie erstarrt vor Schreck.
Angst und arge Zweifel spiegelten sich in seinen Zügen wieder.
Die Geräusche waren zwar schon seit Minuten verklungen, doch trotzdem hallten sie noch immer deutlich in seinen Ohren wieder.
Nach Sekunden fiel ihm erst wieder ein, wie man seine Muskeln bewegte. Die Bewegung wurde in seinen Körper aufgesaugt, wie ein trockener Schwamm, der nach Wasser lächzte. Pfeilschnell legte er die etwas zu groß geratenen Kleider an, die lose um seinen ausgehungerten Körper schlackerten. Die soeben erst verklungenen Laute jagten ihm kalte, unangenehm prickelnde Schauer über den Rücken und der für Menschen nicht wahrnehmbare Geruch von Angstschweiß schwängerte die moderige Luft.
Als der Alte vor Minuten noch aus dem Zimmer gegangen war, hatte er seine Muskete an der Wand lehnen lassen. Gale schnappte sich das Jagdmesser, steckte es sich mit zitternden Fingern in den neugewonnenen Gürtel und nahm anschließend das schwere Gewehr in beide Hände. Seine untrainierten, mageren Muskeln protestierten im Einklang,  doch er achtete nicht drauf. Wenn dem Alten etwas zugestoßen war, aus welchem Grund auch immer, sollte er schleunigst von hier verschwinden. Jedenfalls wenn irgendetwas Unnatürliches die Oberhand der Situation ergriff.
Unten war es still, keine Geräusche durschnitten die Ruhe.
Gale schauderte.
Erneut schweiften seine Gedanken ab, ohne seine Einverständnis.
Die Stadt lag vor ihm, er sah klar.
Erneut fragte er sich, weshalb sie ihm so bekannt vorkam.
Er sah den "Mensch", er blickte ihm mitten ins Gesicht.
Gale war verstört.
In dessen bleichen Blick vor ihm lag ein...Gefühl.
Anders wusste er es nicht auszudrücken.
Hass und Zorn fluteten die milchigen Augen, wütend blähte er die durchsichtigen Nasenflügel auf als ob er einen Geruch aufsog.
Gale blinzelte um das Gedankenspiel zu unterbrechen. Als er wieder aufblickte war der "Mensch" jedoch nicht verschwunden. Er stand im Türrahmen und stierte den jungen Mann mit totem, wahnsinnigem Blick an.
Ein dunkles Grollen bildete sich tief in seiner Brust, wie ein Gewitter das langsam aufzog um all die Glücklichkeit der Welt zu verschlingen.
Gale wich zurück. Das Gewehr rutschte aus seiner Hand und knallte auf den Holzboden.
Und dann stürzte sich das Wesen auf ihn.

Gale warf sich herum und entging so harrscharf dem unerwarteten Angriff des Dings. Er krachte direkt in eine alte Komode, er spürte wie sich scharfe Splitter in seine Haut bohrten, doch er spürte den Schmerz nicht. Er wollte sich aufrappeln, doch plötzlich schlug ein großes Gewicht auf seinen Körper hinab und drückte ihn zurück in die mörderischen, spiegelscharfen Splitter.
Verzweifelt stemmte er sich dagegen, doch er hatte keine Chance.
Ein fauliger Gestank schlug ihm hart ins Gesicht, benommen gab er nach und spürte fast im selben Moment einen starken Schmerz im Rücken. Vor ihm, wenige Zentimeter von seinem Gesicht entfernt, schwebte das Angliz des Dings, siegessicher starrte es auf sein Opfer hinab.
Die Nasenflügel bebten, sie blähten sich weit, weiter als es noch halbwegs natürlich gewesen wäre, auf und sogen den Geruch des zu Boden gesickerten Frischblutes ein, das Gale wärend des Angriffs vergossen hatte.
Die toten Augen taktierten ihn.
Dann stieß es zu.
Im letzten Moment konnte Gale eine Scherbe in das linke Auge des Dings stoßen. Seine tauben Finger hatten gehetzt und verzweifelt nach einem Mittel zum Zweck gesucht, dann hatten sie sich um etwas scharfkantiges geschlossen und blindlings auf das Ding eingedroschen.
Das Problem war, dass das, was Gale gedacht oder vielmehr gehofft hatte passieren würde, nicht eingetroffen war.
Das Ding zuckte nur kurz, dann setzte es sein Unterfangen ohne Weiteres fort.
Gale schrie.
Die spitzen Zähne hatten seine Haut durchbohrt und waren rücksichtslos in den wehrlosen Körper eingedrungen.
Etwas Ziehendes, Schmerzvolles, Heißes und Gefährliches breitete sich zähflüssig aus und überkam seine Blutbahnen.
Mit dem letzten Funken Wille und Verstand stieß Gale nun endlich sein silbernes Jagdmesser in das kalte Herz des Dings.
Es erschlaffte mitten in der Bewegung und fiel mit einem dumpfen Klong zu Boden.
Die Augen rührten sich nicht mehr.
Gale stand zitternd auf, seine letzten Kräfte auferbietend schwankte er aus dem Raum, fiel mehr die Treppe herunter als wirklich und wahrhaftig darauf zu achten, wo er seine Füße hinsetzte.
Sein Blut wurde immer heißer, es brodelte unter der dünnen, papierartigen Hautschicht.
Antigift, wo ist dieses verfluchte Antigift?!
Seine Augen wanderten panisch die vergilbten Regale entlang auf denen dicke Schichten Staub und Dreck lagen.
Zerfledderte Bücher, alte Schuhe und anderes häufte sich auf dem Boden und dämpften seine Schritte.
Er wankte in einen einen Raum der, angefüllt mit Tiegeln, Töfpchen, Reagenzgläsern und Phiolen, fast seinem schwachen Auge entgangen war. Die staubige Flasche mit den krakelig platzierten Worten Antigift
sah er jedoch sofort.
Er kroch hinüber zu der Anrichte, auf der die Flasche stand, in einen fahlen Ton getaucht, öffnete den Korken und stürzte den kompletten Inhalt hinunter.
Die Luft wurde aus seinen Lungen gepresst, seine Adern explodierten.
Stöhnend und röchelnd sank er nieder in den matschig-staubigen Morast, die Flasche glitt ab und zerschellte am Boden.

Die Hitze überrollte ihn, sie schlang tausend glühende und funkelnd heiße Tentakel um seinen zierlichen Körper, hielt ihn fest und drückte ihn an sich.
Er versank in einem See aus flüssigem Feuer.

TodeswispernWo Geschichten leben. Entdecke jetzt