Schwarzer Staub hatte sich über die Leichen gelegt und erschwerte es Gale, seine Tochter zu finden. Mit bloßen Händen schaufelte er sich durch den Dreck und achtete dabei nicht auf die Schnittwunden, die er sich bei seinem Unterfangen gelegentlich zufügte. Aus irgendeinem Grund wusste er, dass ihm nur noch wenig Zeit blieb bis die nächsten Hasser an diesem Ort eintrafen. Der schwere Blutgeruch drang aus den zersplitterten Fenstern und zog die Scheusale unweigerlich an. Verzweifelt zog er an einer schweren Holztür, die einmal zu einem Schrank gehört haben musste und schob sie beiseite. Darunter konnte er nichts als Schwärze entdecken. Gefrustet trat er in den Schmutz, der daraufhin aufgewühlt und zur Seite befördert wurde. Die Partikel setzten sich und gaben den Blick auf eine lange, honigbraune Haarsträhne frei, die zwischen der Dunkelheit fast hell erleuchtet wirkte. Sofort machte sich Gale erneut an die Arbeit, hob umgestürzte Liegen auf und warf sie von sich. Unter dem Berg aus Unrat erkannte er zu seiner Freude die schon fast verloren geglaubte Dagna. Sie hustete und spuckte Blut. Dann erkannte sie Gale und streckte unbeholfen einen Arm nach ihm aus. „Warte, warte! Ich helfe dir da raus“, wehrte er ab und griff unter ihre Arme, um sie aus ihrem Gefängnis aus kaputten Möbeln zu ziehen. Als es ihm gelungen war, zog er sie auf die Beine, doch fast im selben Moment knickten diese ein und Dagna gab einen erschöpften Laut von sich. Gale fing sie auf, bevor sie wieder zurück in den Staub sinken konnte. „Dagna, wir müssen hier weg, nun komm!“, drängte er sie, doch von ihr kam nicht mehr als ein schwaches Kopfschütteln. Gake seufzte. „Dann muss ich dich eben tragen“, meinte er und hob sie hoch. Mit wackeligen Beinen stakste er über den Schutt und bahnte sich einen Weg aus den Haus, in dem er einmal glückliche Tage verbracht hatte. Doch das war Vergangenheit und der jetzige Gale musste um sein Überleben kämpfen. Als er draußen angekommen war, blickte er hinauf zu den Gestirnen. Sie hatten sich schwarz gefärbt und die tintenartigen Wolken waren auf dem genauso dunklen Hintergrund kaum zu erkennen. Es war jedoch noch immer Tag, das wusste Gale. Er nahm es als ein deutliches Zeichen noch schneller von diesem Ort zu verschwinden. Also drehte er sich um und lief mit Dagna auf den Armen hinter das Haus. Dort stand tatsächlich ein Helikopter und er seufzte erkeichtert auf. Als er dort angekommen war, legte er Dagna kurz auf den verkohlten Rasen um die Tür des Gefährts zu öffnen. Drinnen saß zu seiner Überraschung ein Mann, der anscheinend gewartet hatten. Er hatte weißblondes Haar und viele Sommersprossen auf den Armen und seine weit aufgerissenen Augen machten Gale deutlich, dass er Angst hatte. „Hören Sie mir zu“, sagte er in einem bemüht beruhigenden Tonfall zu dem verstörten Mann,„ wir sind die Einzigsten die noch leben. Und deswegen will ich nichts anderes als von diesem Ort hier verschwinden okay? Also bitte machen Sie uns nun nicht noch größere Umstände und starten Sie diesen Helikopter!“ Die Angst in den Augen des Mannes wurde geringer, da er nun wusste, was er zutun hatte. Schon machte er sich an den Hebeln und Knöpfen zu schaffen. Gale war sehr erleichtert. Er hatte anscheinend Glück im Unglück gehabt und einen erfahrenen Piloten vor sich. Schnell drehte er sich um und lud sich die verletzte Frau wieder auf die Arme. Dann hielt er plötzlich inne. Aus den Augenwinkeln hatte er eine Bewegung in der Nähe ausmachen können. Als er nun direkt hinsah, erkannte er eine Flut aus Hassern, die direkt auf ihn und die anderen zuhielten. Schon setzte das Fiepen in seinen Ohren ein, doch diesmal war es stärker als je zuvor. Er musste den heftigen Drang unterdrücken, sich beide Hände auf die Ohren zu pressen um Dagna nicht loszulassen, also drehte er sich um und stieg mit ihr in den Helikopter. Die Propeller hatten schon zu kreiseln begonnen, doch Gale ging das alles viel zu langsam. Wenn sie nicht sofort starteten, würden sie vermutlich alle sterben. Voller Angst schloss er die die Tür und schrie dem Pilot zu:„ Wir müssen sofort starten, hören Sie? Sofort!“ Der andere Mann fragte nicht nach sondern nickte zustimmend und drückte einen Hebel bis zum Anschlag durch. Gale spürte, wie ein tiefes Brummen durch die Maschine ging. Der Helikopter erhob sich in die Luft und war damit außer Reichweite für die herannahenden Hasser. Voller Erleichterung ließ sich Gale auf einen der Sitze fallen und wischte sich den Schweiß von der Stirn.
Einige Zeit später warf er einen Blick auf Dagna, die in der Nähe der Tür lag und sich auf die Unterarme gestützt hatte. Sie blickte voller Entsetzen aus dem Fenster. Gales kleines Siegerlächeln verschwand buchstäblich und er begab sich ebenfalls zu den Fenstern um hinauszusehen. Unter sich erkannte er die dunklen Ruinen der Stadt, die sich ihnen wie Reißzähne eines großen Ungeheuers entgegenstreckten. Doch das war es nicht, was Dagna so in Angst versetzt hatte. Die abgebrannten Dächer bewegten sich. Auf den Türmen brach großer Tumult aus. Und die Straßen verwandelten sich ein einen reißenden Fluss, der jedoch nicht aus Wasser, sondern aus den sich windenden Leibern der Hasser bestand. Sie hatten den Helikopter entdeckt und spürten das Leben, welches sich darin ihren Blicken entzog. Dagna hielt sich eine Hand vor den Mund und Tränen, die aus purer Angst bestanden, rannen ihre Wange hinab. Gale hockte sich neben sie und zwang sie, ihm in die Augen zu gucken. Er hoffte, dass sie sein laut pochendes Herz nicht hören konnte, denn er wollte stark und zuversichtlich für sie wirken. „Die Hasser können und nichts anhaben, hörst du? Denn wir sind weit über ihnen. Sie werden uns nicht erreichen.“ Dagna schniefte und wollte etwas erwiedern - da ging ein mächtiger Ruck durch die gesamte Maschine. Der Pilot stieß einen überraschten Schrei aus und versuchte den Helikopter nach rechts zu drehen. Ein unwiderstehlicher Zug zwang ihn nach links und Dagna wurde an die verschlossene Tür geschleudert. Sie prallte hart dagegen und Gale schrie ihren Namen. Dann geschah alles ganz schnell. Die Tür wurde durch den Aufprall nach außen gedrückt und schwang auf. Von draußen erkannt Gale die Klauen der Monster, die es tatsächlich geschafft hatten von hoch gelegenen Gebäuden, wie Hochhäusern, auf die Flugmaschine zu springen. Mit einem entsetzten Aufschrei wurde Dagna nach draußen befördert und hielt sich krampfhaft mit beiden Händen an der kleinen Leiter fest, mit deren Hilfe man in den Helikopter steigen konnte. Gale stürzte zum Eingang.
Ihre Blicke trafen sich.
Dann fielen weitere Scheusale über den zierlichen Körper her und gruben ihre Krallen in das Fleisch der Schwedin. Durch den Schmerz und die Kraft ließ Dagna die Leiter los.
Gale hörte seinen eigenen Entsetzensschrei nicht, während er hilflos dabei zusehen musste, wie seine letzte Tochter dem Tod entgegenflog. Als sie in die Masse der Hasser eintauchte, war sie für immer verschwunden.
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Todeswispern
Mystery / Thriller„Zu spät. Die Zähne gruben sich scharf in seine Kehle. Gleich darauf riss ein gleißender Schmerz seinen Körper samt Seele entzwei. Das Messer in seiner Hand fühlte sich mit einem Mal tonnenschwer an. So ließ er es fallen. 'Ich habe verloren.' Alle...