Orte, an denen man anonym bleibt

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Orte, an denen man anonym bleibt

Die Straßen waren leer. Das einzige was man hören konnte, was der Motor des Wagens war, den sie über den Asphalt jagten.

„Wir müssen dieses Auto los werden. Ich bin mir nicht sicher, ob daran nicht irgendetwas faul ist.", sagte Richard so leise, sodass es Shiva kaum verstand.
„Nicht weit von hier ist das Motel von dem ich euch erzählt habe. Dort steht mein anderer Wage. Ich habe das schon von Anfang an geplant. Könnte vielleicht noch fünf Minuten dauern, dann sind wir da. Wir müssen uns aber beeilen. Wenn die Bullen wissen, dass wir nichts mehr gegen sie in der Hand haben, werden sie uns suchen. Unsere Bilder sind sicher schon in den Medien."

Shiva sah auf ihren Schoß. Noch immer hielt sie Richie's blutende Hand in ihren. Sie hätte nicht gedacht, dass so ein kleiner Schnitt so viel schaden anrichten würde.

Sie hatten kaum geredet, seit sie stillschweigend in den Wagen gestiegen sind, nachdem sie sich aus ihrer Umarmung gelöst hatten. Nun schien Richards Anfall wie verflogen und somit auch vergessen zu sein, denn Shiva wusste es besser. Sie wusste, dass er seine inneren Dämonen bekämpfen konnte, wenn sie es auch schaffte.

„Wo wollen wir übernachten? In Hotels würde man uns doch finden. Außerdem weiß ich nicht wohin wir fahren.", fragte Shiva nachdenklich und sah aus der Frontschutzscheibe, ohne ihn anzusehen.
„Wir gehen in ein Motel. Ein Ort an dem man anonym sein kann. Niemand hinterfragt dort irgendwas, solange man sich dort nicht allzu lange aufhält."

Es schien als wäre zwischen den Beiden nie etwas vorgefallen. Als hätte Richie nie einen Aussetzer gehabt, den Shiva auf's neue bald wieder das Leben gekostet hätte. Sie war sich noch immer nicht sicher, was sie hier eigentlich tat, doch umkehren und wieder in ihr altes Leben zurückgehen konnte sie auch nicht. Sie hatte sich entschieden, und das aus einem triftigen Grund.

„Wir sind gleich da. Vielleicht noch eine Viertel Stunde. Zehn wenn ich schneller fahren werde.", schätzte Richie ab und sah für einen kurzen Moment zu Shiva, die schwieg. „Vertraust du mir noch?" In seiner Frage lag sowohl Hoffnung als auch Zweifel.

Shiva sah auf ihre Hände. Sah Richard's Hand, die mittlerweile nicht mehr blutete. Ihre Hände waren vollkommen mit seinem Blut besudelt, was ihr aber wenig ausmachte. Sanft strich sie über die erst kürzlich, leicht gehärtete Wunde und hörte wie Richie scharf die Luft einzog.

„Ja, ich vertraue dir.", gab sie schlussendlich zur Antwort, sah ihn aber dabei nicht an.
Sie genoss den Moment und öffnete auf ihrer Seite das Fenster einen kleinen Spalt, um frische Luft hinein zu lassen.

Shiva hatte so viele Fragen. Sie wollte wissen wer diese Stimmen waren, warum es sie hatte und warum sie nur in Wellen auftauchten und genauso wieder verschwanden, sodass der normale, gebildete und kontrollierte Richard zurückblieb. Doch trotz all der Neugier ließ sie es bleiben. Shiva wusste nur allzu gut wie es war, mit Fragen durchlöchert zu werden. Ihr gefiel es gar nicht wenn Menschen sie glauben lassen, dass sie ihr helfen wollen um sie schließlich doch für verrückt zu erklären.
All diese Psychologen und keine Antwort auf jene noch so kleine Frage.

„Hör zu, es tut mir Leid. Ich wollte dich nicht verletzen. Zu keinem Zeitpunkt. Ich kann mich nur nicht kontrollieren, wenn...-"

„Richard.", sagte sie behutsam und sah ihn von der Seite an während sie seine Hand sanft näher an sich zog. „Du brauchst mir nichts zu erklären. Ich akzeptiere es. Mir ist nichts passiert und das ist die Hauptsache, nicht wahr?"
Eine längere Zeit über sagt er nichts, sondern starrt durch die Frontschutzscheibe auf die Straße, bevor er endlich etwas erwidert.

„Wieso bist du hier?", fragt er schließlich.
Shiva wusste die Antwort genauso gut wie den Grund dafür, dass sie auf die Frage nicht antworten wollte. Aber sollte sie deshalb lügen? Es schien ihr nicht richtig zu sein. Wenigstens in diesem Punkt sollte sie ehrlich sein.

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