Erste Leiche

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Erste Leiche

Als Shiva sich umdrehte, bemerkte sie erst, dass Richard wach geworden und nach draußen gekommen war.
„Tut mir leid. Ich musste es tun, er hätte uns verraten, er hätte dich verraten, er...-" Shiva wollte sich noch weiter verteidigen, doch das musste sie nicht mehr.
Richard kam auf sie zu, hielt mit beiden Händen ihr Gesicht und zog sie zu sich um sie zu umarmen.

Damit hätte Shiva nicht gerechnet. Überwältigt ließ sie das Messer fallen und lehnte sich in die Umarmung hinein, ohne Richie dabei anzufassen, da sie noch immer blutige Hände hatte.
Als sie sich wieder von einander lösten, sah Richard sie lächelnd durch seine Brille an.
„Versuch nicht dich zu verteidigen. Wir müssen uns nicht rechtfertigen voreinander."

Er nahm ihre blutigen Hände in seine und sah sie sich an, so als würde er daraus etwas lesen können.
„Ich weiß wer du früher warst. Und wie du dich ändern musstest." Sein Mund verzog sich zu einem kleinen Lächeln als er Shiva eine Haarsträhne aus dem Gesicht strich. „Wir werden das hinbekommen."

Sie konnte es nicht erklären, doch in diesem Moment fiel die Mauer, die sie so lange aufrecht erhalten hatte. Jahrelang hatte sie versucht, sie höher zu bauen um reden Rückfall zu verhindern.
Sie war bei Psychologen, die eine bestimme Methode anwandten um sie vor Ereignissen zu schützen, die sie so geprägt hatten.
Sie war ein normaler Mensch, kein Hintergrund, keine Geschichte die sie erzählen konnte. Nichts, dass auf ihre Vergangenheit hinwies.
Und an dieser Mauer hatte sie auch nie gerüttelt. Diese imaginäre Wand, die sie in ihrem Kopf aufgebaut hatte, blieb unberührt über so lange Zeit.
Doch nun, so als wäre sie aus losen Federn, brach sie in sich zusammen und infizierte ihren Verstand erneut.

Shiva taumelte zurück, hinaus in den Regen und ging in die Knie. Richard folgte ihr, fragte sie besorgt, was mit ihr los wäre, doch sie konnte nicht antworten, sondern nur den Kopf schütteln, da ihre Gedankenströme ihn füllten.
Für sie fühlte es sich so an, als würde ihre Schädeldecke gleich platzen, da or Gehirn zu viel Informationen auf einmal verarbeitete.
Sie schüttelte Richies Hand ab und atmete immer wieder tief ein und aus, um nicht zu hyperventilieren.
Sie versuchte sich nicht auf die Bilder zu konzentrieren, die vor ihrem geistigen Auge auftauchten, sondern auf die Kälte des Bodens und die Nässe, die sie nun umhüllte.
Sie brauchte sicherlich eine Minute, bevor sie sich wieder im hier und jetzt fand, gebrochen und zurück auf Null wie schon einmal zuvor.

In diesem Moment war für Shiva das Eis gebrochen. Ihr war klar, dass sich mit diesem Schritt alles für sie ändern würde, doch genau das war es doch, was sie wollte, oder nicht?
Sie stellte es sich beinahe bildlich vor, wie sie den Schalter in ihrem Kopf umlegte und von aufgezwungen normal zu ihrem wirklichen ich wechselte.

Ein Lächeln so hämisch wie anerkennend kam über ihre Lippen als sie wieder aufblickte und in Richard's Augen sah. Der Regen prasselte unaufhörlich auf sie Neider, dennoch war er ihr nicht von der Seite gewichen. Er kniete mittlerweile neben ihr.
"Danke. Deinetwegen kann ich endlich wieder sein, wer ich bin.", sagte sie, ehe sie sich von ihm abwandte und aufstand, um zur Leiche zu gehen, die noch immer an der Treppe lag.

"Ist das hier deine Hütte?", fragte Shiva neugierig und wischte das Blut an einer sauberen Stelle am Saum des Hemdes des Jägers ab, der sich noch immer nicht vom Regen abgewaschen hatte. Im Hintergrund hörte sie Schritte und spürte wie Richard hinter ihr stehen blieb.
"Nein. Sie gehört niemandem, wenn man es genau nehmen will. Es ist wie bei diesen öffentlichen Grillplätzen, die jeder nutzen kann. Wieso fragst du?"

"Ach nur so.", entgegnete Shiva beiläufig, als sie die Leiche auf den kleinen Vorsprung zog und sie gegen das Haus lehnte, um sie anschließend zu betrachten.

"Was hast du damit vor?", fragte Richie nun, der sich solch eine charakteristische Änderung seiner Begleiterin nicht einmal erahnt hätte. Wie festgefroren sah er ihr zu, wie sie die Leiche nach etwas absuchte fündig wurde. Shiva fand ein neues Messer, dass sie dem leblosen Körper direkt durch den oberen Teil der Schulter rammte.

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