-'12'- Verdammte Gleichgültigkeit

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P.o.V. Ardymon

Die Straßen waren schwach beleuchtet, es war schon so spät, dass die Sonne fast wieder scheinen würde. Ich dachte an nichts konkretes, versuchte mich mit den Lichtern, die vorbei zogen, vom Alltag abzulenken. Sie verschwammen und bildeten sich zu neuen unerdenklichen Farben. Ich wusste auf einmal, wo ich hin wollte und bog in die Straße zu Marys Tankstelle ab.

,,Mary? Wo bist du?"

Der Laden war verlassen, nur aus dem hinteren Raum kam ein schwaches Licht, auf den ich langsam zu ging.

,,Haha, yo, das geht doch voll klar, ihr passt mega gut zusammen. Krall dir diese Lun-"

,,Flo? Was machst du denn hier?"

Ich stockte, ich hätte niemals gedacht, dass ich ihn wieder sehe. Am Tisch im Raum hinter der Tankstelle saß mein ehemaliger bester Kumpel, von dem ich seit gefühlten Jahren nicht mehr gehört hatte. Er wollte aufstehen, haderte mich sich selbst, was er tun sollte. Er richtete seine Jeansjacke und schaute lächelnd auf seine Hände. Sein Aussehen hat sich nicht groß geändert, er hatte seine braunen Haare etwas wachsen lassen. Es war so schön, seine Mimik und seine Stimme zu hören, es machte mich so glücklich.

,,Ihr kennt euch?" Das Mary in der Tür stand, war mir gar nicht aufgefallen. Er trug eine Jeans und einen dunkelblauen Adidas Pullover.

,,Ja, kann man so sagen. Flo war damals mein bester Kumpel, kurz bevor ich umgezogen bin."

Ich hielt es nicht länger aus und ging zu ihm hin, zog ihn in eine Umarmung.

,,Yo, ich hab dich so vermisst, Alter.", sagte er und lachte. ,,Woher kennst du jetzt Mary?"

,,Von Luna, lange Geschichte. Findest du auch, dass die zwei mega gut zusammen passen?"

Und schon verfielen wir wieder in den Bro-Slang.

Flo erzählte mir, das Mary ein weit entfernter Cousin von ihm war, was mich nicht sonderlich überraschte, den irgendwie waren sie sehr gleich. Von außen nicht, aber von innen. Soweit ich das beurteilen konnte. Aber gewusst hatte ich es nicht. Als ich Flo noch nicht gekannt hatte, waren meine Vorurteile gegenüber ihm auch ganz anders, als ich gedacht hatte. Er hatte einen Job in einer Bar bekommen, gleich in der Nähe von Köln.

,,Mary, kann ich heute bei dir pennen?"

,,Ja, klar!" Mit diesen Wörtern verabschiedete ich mich von Flo und wir gingen getrennte Wege, als er aus der Tankstelle lief. Er drehte sich noch einmal um und winkte durch die Scheibe . Mary und ich schauten beide auf die geschlossene Tür, bis er die Stille brach.

,,Was ist die Wahrheit?"

,,Können wir hochgehen, dann erzähle ich dir meine ganze Geschichte und nicht nur das, was ich Luna gesagt hab."

Mary nahm seinen Schlüssel, schloss die Tür des Ladens zu und machte das Licht aus. ,,Musst einfach die Treppe hoch, Bad ist links."

Als ich den Weg zu einem Zimmer mit einer großen Couch und einem Fernseher fand, kam Mary auch schon wieder rein und ließ sich auf die Couch fallen. Ich setzte mich neben ihm und fing an, zu erzählen.

,,Soll ich von ganz vorn anfangen?" Er nickte.
,,Also, keine Ahnung, wo fang ich an. Als ich klein war, lebten wir noch in Berlin, ja genau, da hat alles angefangen." Ich wusste wirklich nicht, wo ich anfangen sollte, ob ich alles erzählen sollte. Es schwirrten so viele Fragen in meinem Kopf, die ich ihm jetzt viel lieber stellen würde, als über mich zu reden. Zum Beispiel, warum Luna nie zu ihm gekommen ist, als sie niemanden hatte.

Willst doch nur ablenken.

Ich schaute aus dem Fenster, zu den bunten Lichtern, die sich im Fluss neben der Brücke spiegelten. ,,Ich war immer der  Junge, dem sich seine Eltern nichts leisten konnten. Die anderen haben jeden Trend mitgemacht, ich saß in der Ecke, mit meinem Block und einem Wirrwarr aus Gedankenfetzen. Sie haben mich gehänselt, für das, was ich war, total unberechtigt. Mich hat es aufgeregt, das ich wegen meinem Vater so runtergemacht wurde. Ich hab gesagt, es war keine Absicht, aber sie machten sich einen Spaß daraus, die blauen Flecke auf meiner Haut zu zählen. Immer mehr hab ich erkannt, dass sie alle eine Maske waren, die Gesichter dahinter waren bleich und leer. Das ganze Plastik hat mich so fertig gemacht, immer hatten irgendwelche Leute immer irgendwelche Vorbilder. Keiner war besonders. In der Schule war Flo der Einzige, der genauso gedacht hat, wie ich. Durch die Anderen bin ich an die falschen Kontakte geraten, sie haben mich noch mehr kaputt gemacht. Sie haben mich zugepumpt, kaputt gespielt. Ich war total zerstört vom Leben selbst. Ich würde abhängig, von diesen falschen Dingen. Ich verfiel in Depressionen, die nie aufhörten, meine Mom schickte mich regelmäßig zum Pschychologen, aber es half nichts. Flo hat mich da raus geholt, ich weiß nicht, er hat einfach viel mit mir gemacht, um mich abzulenken. Dann hat meine Mom sich von meinem Vater getrennt, hat einen neuen Freund gefunden. Wir sind nach Köln gezogen und mich kotz immer noch diese Gleichgültigkeit an."

Ich schaute Mary lange an, er hatte seinen Blick gesenkt. ,,Alter, komm mal kurz her." Er nahm mich in den Arm und drückte mich lange an sich. ,,He, du tust mir so leid, wir müssen uns jetzt um deine Zukunft kümmern. Wir kriegen das hin. Und warum bist jetzt eigentlich hier?" Seine Augen glitzerten etwas, als er sich löste.

,,Meine Mutter hat meine Mathenote gesehen und ist fast gestorben. Dann hab ich ihr gesagt, dass ich schwul bin und bin abgehauen."

Mary prustete los. ,,Geile Aktion." Ich musste auch lachen, es war schön einfach mal wieder zu lachen, ohne Hintergedanken zu bekommen. ,,Stark, dass du es ihr so beigebracht hast, Respekt, Bruder."

Mary hatte kein Problem damit. Super, ich auch nicht. Wir redeten noch ein bisschen und erstellten Theorien, wie Mary Luna zu einem Date überreden sollte. Irgendwann merkte ich, wie ich eingeschlafen war.

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