1. Dezember

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Noël

Müde blicke ich aus dem Fenster, mein Gesicht leicht angewidert verzogen. Leute, die bereits jetzt ihre Weihnachtseinkäufe erledigen, hasten unter meinem Fenster vorbei, alle gut gelaunt. Mit ihrem übertrieben großen Schals und ihren nicht der Temperatur angemessenen Mützen spazieren sie zwischen den grellgeschmückten Läden und Laternenpfählen umher. Einige summen sogar Weihnachtslieder- wiederlich.

Alles in einem tuen die Leute, als hätten wir den tiefsten Winter und Weihnachten wäre bereits morgen.

Absoluter Blödsinn.

Es scheint die Sonne, wir haben plus fünfzehn Grad und ich bin fest davon überzeugt, dass all die Menschen da draußen aufgrund ihrer falschen Klamottenwahl in ihrem eigenen Schweiß ertrinken.

Von Schnee ist auch keine Spur, aber das ist mir ganz recht. Selbst wenn ich zugeben muss, dass mich der Anblick der braunenen auf der Straße klebenden Blätter auch nicht wirklich glücklicher macht.

Mein knurrender Magen reißt mich aus meinen Gedanken. Mit einem Seufzen hüpfe ich von der Fensterbank, auf der ich wie jeden Tag um diese Zeit in meinem aktuellen Buch gelesen habe. Nicht ohne der weihnachtlichen Stimmung auf der anderen Seite meines Fensters einen letzten abwertigen Blick zu zuwerfen schlendere in meine kleine Küche.

Als Studentin hat man nicht viel Geld. Dass ich diese nah am Zentrum liegende Wohnung um einen guten Preis ergattern konnte, war mehr Glück als Absicht. Eigentlich war ich auf der Suche nach der billigsten Schrottbude ganz Wiens, als ein ehemaliger Studienkollege meines Dad's mir diese Wohnung zu einem guten Preis vermietet hat.

Dass sie beinahe zu klein für mich und meine vielen Bücher ist, stört mich nicht sonderlich. Ich verlasse sie kaum und alles was ich brauche habe ich hier. Ich mag zu viel Platz sonderlich nicht gerne und hier ist es kuschelig und gemütlich. 

Selbst wenn das im  Gegenzug bedeutet, dass ich meine Mahlzeiten am Wohnzimmertisch einnehmen muss, weil kein Platz für einen Esstisch geblieben ist. Ich musste mich zwischen diesem und einer riesigen Couch entscheiden. 

Und ich bin das lebende Abbild dessen, was die Amerikaner »couch potato« nennen. Ich denke das ist Antwort genug.

Wie erwähnt, ich bin ganz zufrieden mit meiner Wohnung und habe alles was ich brauche.

Zumindest alles außer Essen, wie ich mit einem enttäuschten Blick in meinen leeren Kühlschrank feststellen muss. Ein bisschen wütend auf mich selbst stemme ich die Hände in die Hüften, streiche mir eine blonde Haarstähne hinters Ohr und verfluche mich selbst.

Das Einkaufen ist um diese Zeit des Jahres immer schwierig. Denn es gibt drei Dinge auf der Welt, die ich absolut hasse.

Menschen, Oliven und Weihnachten.

Und kaum setze ich einen Fuß vor die Tür werde ich mit zwei davon konfrontiert- nicht zu vergessen, wenn ich dann schlussendlich im Laden bin, muss ich auch stark damit rechnen, dem Dritten zu begegnen.

Nein, diese Zeit des Jahres und ich können uns definitiv nicht anfreunden. Und somit schränken sich meine ohnehin spärlichen sozialen Kontakte noch mehr ein.

Ich schließe die Kühlschranktür und starre kurz nachdenklich in die Luft, bevor ich nach meinem Handy greife und die Nummer von dem Lieferservice wähle, bei dem ich in letzter Zeit viel zu oft bestelle. Mittlerweile bin ich mir sicher, dass sie darauf warten, dass das merkwürdige unfreundliche Mädchen anruft und das Essen vor ihre Haustür bestellt.

Langsam entsteht eine Routine, ich rufe jeden Tag im selben Zeitraum an, bestelle dasselbe und versuche meinen zynischen Humor nicht zu sehr an die Oberfläche zu lassen.

Ich versuche ja wirklich freundlich zu sein, aber ich kann einfach nicht sonderlich gut mit Menschen und bin schnell gereizt.

»Hallo! Willkommen bei Don&Son's Lieferservie. Was kann ich für Sie tun?«, es ist die Stimme eines jungen Mannes. Sie ist tief, aber mehr konzentriere ich mich auf das Gesagte. Diese Einleitung ist neu. Ich kann nicht anders als die Augen zu verdrehen.

»Ich würde gerne Essen bestellen«, versuche ich die Person am anderen Ende des Telefons darauf hinzuweisen, dass sie ein Lieferservice sind und da womöglich nicht viele Dinge außer Essenslieferungen sind, die sie für mich tun können.

»Tut mir leid, ich muss den Satz seit heute auswendig aufsagen«, erklärt die Typ am anderen Ende der Leitung, scheinbar genauso empört über diesen sinnlosen Einleitesatz wie ich. Doch es schwingt Belustigung in seiner Stimme mit.

»Mein Beileid«, erwidere ich. »Klingt nach ziemlich Routine.«

»Und du klingst ziemlich trocken«, ich höre wie er leise lacht. Ich bin kurz verwirrt, weil die Person automatisch vom Sie ins du gewechselt ist, aber dann wird mir klar, dass mein letzter Satz wohl nicht sehr formell war.

»Nicht trocken, aber hungrig«, erkläre ich kurz mit einem augenverdrehen und lehne mich gegen die Küchentheke. Ich hoffe, er hat die Anspielung verstanden. Die Anspielung, dass ich jetzt endlich Essen bestellen und nicht über meinen trockenen Humor diskutieren will.

»Gut, das ist wenigstens ein Problem, das ich lösen kann«, wieder kann ich ein leises Lachen hören und ich unterdrücke ein genervtes Stöhnen.

»Ich hätte gerne die vegetarische Lasagne«, sage ich nur. Kurze Stille.

»Ich bräuchte Name und Adresse«

»Für was denn bitte meinen Namen?«, ich ziehe skeptisch eine Augenbraue hoch, trommle ungeduldig mit meinen Fingern gegen meine Küchtentheke.

»Für unser Kundenbuch.«

»Es gibt kein Kundenbuch«, kläre ich ihn auf und ich kann es nicht unterdrücken, dass ich grinsen muss. Ich wusste es schon immer, tief in mir bin ich Sherlock Holmes. Mittlerweile habe ich wirklich oft bei Don&Son bestellt und noch nie musste ich meinen Namen angeben.

Die Person auf der anderen Seite der Leitung lacht. »Erwischt. Ich wüsste ihn nur sehr gerne.«

»Pech«, sage ich nur triumphierend grinsend und gebe ihm meine Adresse durch.

»Frohe baldige Weihnachten dann«, er will auflegen, doch ich stöhne genervt auf und kann es nicht unterdrücken meinem Ärger Luft zu machen.

Mit wütenden Schritten stapfe ich ins Wohnzimmer, lasse mich aufs Sofa fallen und sage dem Typen gehörig meine Meinung. Nur in nett. Zumindest nett für meine Verhältnisse.

»Da ruft man bei einem Lieferservice an, um nicht mit der nervigsten Zeit des Jahres in Berührung zu kommen und dann bekommt man tatsächlich frohe baldige Weihnachten gewünscht. Am 1. Dezember. Ich wiederhole. Am 1. Dezember«, ich bin mir sicher, dass er hört wie sehr mich diese Sache aufregt, aber er lacht nur leicht. Ich beginne sein Lachen in die Hölle zu wünschen.

»Du magst Weihnachten nicht?«

»Ich hasse es.«

»Wieso das denn? Wie kann man bitte Weihnachten nicht lieben? Ich meine, das ist die schönste Zeit im Jahr.«

Ich hole tief Luft, lege meine Füße auf meinen Wohnzimmertisch und lehne mich etwas nach hinten. »Jedes Jahr die selben ausgelutschten Weihnachtssongs, Adventskalender die man bereits im Oktober kaufen kann und vorgetäuschte Nächstenliebe.«

Meine Gedanken schweifen weiter, zu all der Trauer mit der ich in dieser Zeit des Jahre szu kämpfen habe, doch ich schüttle nur den Kopf. Jahr für Jahr dasselbe. All die Weihnachtslieder, die dafür sorgen, dass ich nicht loslassen und in Ruhe weiterleben kann. Ich schüttle meinen Kopf leicht, versuche diese Gedanken zu vertreiben. Das bringt mich nicht weiter.

Eine kurze Pause zwischen mir und dem Typen vom Lieferservice entsteht, meine Wut lässt nach und ich sammle meine Gedanken. Enttäuscht über mich selbst schüttle ich den Kopf. »Warum erzähl ich dir das überhaupt? Wie tief bin ich gesunken, dass ich das einem Kerl, der vermutlich dreimal so alt ist wie ich, beim Essenbestellen erkläre? Wiedersehen.«

Mit den Worten lege ich auf, fassungslos den Kopf schüttelnd über die Entwicklung des Gesprächs und verdutzt von mir selbst. Es ist lange her, seit ich so viele Worte auf einmal gesagt habe.

Müde schließe ich die Augen. Und das alles nur weil ich Hunger habe.






All I Want for Christmas Is FoodWo Geschichten leben. Entdecke jetzt