7. Dezember

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Noël

GERICHTSMEDIZINER Eindeutig. Mit der Schnur der Stehlampe. Diese Irren entwickeln oft gigantische Kräfte. Es hat etwas Großartiges.

INSPEKTOR So. Finden Sie. Dann finde ich es unverantwortlich, diese Irren von Schwestern pflegen zu lassen. Das ist nun schon der zweite Mord –

OBERSCHWESTER Bitte, Herr Inspektor.

INSPEKTOR – der zweite Unglücksfall innert drei Monaten in der Anstalt ›Les Cerisiers‹-

Ein Klopfen reißt mich aus meiner Konzentration. Bisher war ich in die Physiker von Friedrich Dürrenmatt vertieft gewesen, ein Buch, das wir gerade ausführlich in der Uni bearbeiten, da es als Meisterwerk der Literatur gilt. Bisher bin ich eher skeptisch, aber ich habe auch erst wenige Seiten gelesen.

Ich würde gerne weiterlesen, unfreiwillige Lesepausen zu haben gefällt mir nicht. Das ist auch der Grund, weswegen ich mich nur widerwillig zur Tür schleppe und murrend die Hand auf die Klinge drücke. Ich bin etwas misstrauisch, da ich wirklich nie Besuch habe. Nur die wenigsten Leute haben Zutritt zu meiner Wohnung, eigentlich nur meine Schwester und ich. 

Trotz meines Misstrauen spare mir dann doch den Blick durch den Türspion und öffne meine schwere Wohnungstür einfach. Hätte ich doch erst geschaut, wer sich auf der anderen Seite befindet, dann hätte ich sicher nicht aufgemacht.

Es ist meine Nachbarin und ihrer Hand hält sie eine Keksdose.

»Grüß Gott, junges Fräulein«, begrüßt sie mich wie immer. Ich lächle angespannt, meine Mundwinkel tun weh. Ich bin einfach nicht freundlich genug, als das ich auf Kommando fake-lächeln könnte.

»Guten Abend, Frau Steininger. Was kann ich für Sie tun?«

Die alte Frau schlägt ab. »Ich hab's Ihnen doch schon ur* oft gesagt! Nennen's mich einfach Dorothea, Noël.«

Sie spricht meinen Namen etwas merkwürdig aus. Ich versuche breiter zu lächeln, bin mir aber sicher, dass das nach einer ziemlich merkwürdigen Grimasse aussieht.

Dorothea Steininger hält mir ihre Keksdose entgegen. »Ich dachte mir, ein bisschen Nachbarschaftsdienst kann man ja mal erweisen nicht? Also da! Nehmen's sich so viele Kek's wie's wollen! Oder auch gleich die ganze Dose!«

Sie kichert hysterisch und ich nehme ihr widerwillig die Dose ab. Ich habe keine Lust auf Kekse, die Frau soll Kuchen oder Schokolade bringen. Ich weiß, dass es die kleine gebrechliche Frau mit dem weißen Haar nur gut meint, aber ihre Kekse sind trocken und steinhart. Es ist ja doch irgendwie jedes Jahr dasselbe.

Sie bringt mir die Dose, ich tue als würde ich mir welche nehmen, doch gebe ihr dann eigentlich die immer noch gleich angefüllte Dose zurück. Und nein, mich plagen deswegen keine Schuldgefühle. Auch nicht, wenn sie mich durch die Brille, die ihre Augen so stark vergrößert ansieht und mich fragt, ob sie mir geschmeckt haben.

Und jeder, der ihre Backkünste zu spüren bekommen hat, weiß auch warum.

Jedoch muss ich gestehen, dass ich ihren Wienerischen Dialekt liebe, dabei ist der noch gar nicht so stark ausgeprägt. Ich mag einfach die Art wie sie spricht.

Also wiederhole ich dieselbe Prozedur wie letztes Jahr und trage die Dose in die Küche, tue als würde ich mir Kekse nehmen und gebe sie ihr dann zurück.

»Wissen's mein Enkel kommt dann bald vorbei. Und ich sag's ihnen er ist so groß geworden. Er studiert auch hier in Wien, vielleicht kennen sie ihn ja!«, sie lächelt mich breit an. Ich unterdrücke ein Augenverdrehen. Als gäbe es nur eine Uni in Wien. Und es ist ja nicht so, dass eine Vorlesungen teils achthundert Studenten beinhalten. Also natürlich kenne ich ihn- Wien ist ja nur eine der beliebtesten Studier-Städte Österreichs.

 »Am Tag vor Weihnachten ist er auch da, wenn sie wollen können's ja auch kommen. Lassen's sich die Kekse schmecken. Und frohe Weihnachten!«

Egal wie nett ich sie vorher fand, bei ihrem letzten Satz schaffe ich es gerade noch rechtzeitig mit einem verkrampften Lächeln die Tür ins Schloss fallen zu lassen, bevor sich mein dunkles Ich auf die alte Lady stürzt und ihr den Hals umdreht.

»Frohe Weihnachten«, murmle ich nur hasserfüllt und erinnere mich selbst an Ebenezer Scrooge aus Charles Dickens' »Weihnachtsgeschichte«. Jetzt fehlt nur noch, dass ich »Humbug« hinzufüge. Ich grinse leicht über mich selbst und merke wie meine Wut über die alte Dame verraucht. Und dann will sie mich auch noch mit ihrem Enkel verkuppeln. Ich bin mir ja nicht sicher, ob ich mich darüber freuen würde mit ihr verwandt zu sein und diese ekelhaften Kekse tatsächlich verzehren zu müssen.

Nein danke, da lieber als Single Pringle ins neue Jahr.

Ich seufze überlege und checke kurz mein Handy. Lukas hat mir geschrieben, er würde sich gerne morgen mit mir treffen. Ich zucke mit den Schultern und schreibe zurück, dass ich nichts dagegen habe und gerne mit ihm essen gehen würde.

Wir verstehen uns gut und auch wenn es ein anderer wohlfühlen ist, als das, das ich mit Luca habe, so muss ich sagen, dass es mir gefällt.

Lukas und ich sind in den meisten Punkte Gegenteile uns während Luca und ich nicht nur einen ähnlichen Humor, sondern auch andere Gemeinsamkeiten aufweisen können.

Lukas und ich verabreden uns im Restaurant Augustin im 15. Bezirk Abendessen zu gehen. Mir wird etwas wärmer ums Herz, ich freue mich. Nicht nur, dass das Lokal wirklich süß ist, Lukas ist ein echter Charmeur.

Ich lege mein Handy zur Seite und lese weiter an den Physikern. Heute habe ich irgendwie keinen Hunger, vielleicht ist mir auch der Appetit durch die Kekse vergangen.

Überhaupt bin ich immer noch sauer auf Luca, der mir tatsächlich diese verdammte Olivenpizza liefern hat lassen.

Ich verdrehe beim Gedanken an die Aktion die Augen.

Lächerlich, aber irgendwie auf eine abgedrehte Weise witzig, wie ich zugeben muss.

Im Gegenzug dafür lasse ich ihn die nächsten zwei, drei Tage zappeln.

Ich grinse böse.

Manchmal habe ich das Gefühl, als wäre ich Lucifer's Tochter, die weibliche Version des Teufels in Person. 

*ur= Wienerisches Slangword für "sehr"

All I Want for Christmas Is FoodWo Geschichten leben. Entdecke jetzt