Noël
»Noël?«, ein panisches Hämmern gegen die Tür reißt mich aus meinen tiefen Gedanken. Ich habe meine Knie seit dem Telefonat mit beiden Händen umschlungen gehabt. Um ehrlich zu sein, weiß ich nicht genau seit wann das ist. Ich habe jegliches Zeitgefühl verloren. Nun, wo Luca beinahe die Tür in Grund und Boden schlägt, scheint es als würde ich aus einer Trance gerissen werden.
Nur mit schweren langsamen Bewegungen schaffe ich es bis zur Tür zu kommen. Selbst Dinge wie Gehen strengen mich an, mein Körper ist ausgelaugt von der geringen Nahrungszufuhr und dem vielen Weinen.
»Noël«, sagt Luca nur, als er mich sieht und noch bevor er die Tür schließt kommt er einen Schritt auf mich zu und drückt mich fest an sich. Ich weine nicht mehr. Vielleicht weil ich keine Tränen mehr übrig habe, vielleicht ist der Schmerz aber auch zu dumpf.
Wir stehen eine Weile so da, Luca und ich, ich lehne mich einfach an ihn.
Und obwohl ich so nah an ihn gedrückt bin, kribbelt mein Körper nicht. Ich habe keine Gänsehaut, obwohl diese sonst durch Berührungen seinerseits ausgelöst wird. Ich bin nicht aufgeregt oder fühle mich bedrängt, durch all die menschliche Nähe, die ich sonst nicht ertrage.
Als ich in seinen Armen liege fühlt es sich warm an. Warm und geboren. Fast so, als wäre ich gefallen und Luca hätte mich gefangen, kurz bevor ich am Boden aufgeprallt bin.
Es fühlt sich ein bisschen an wie ein Zuhause.
»Hast du etwas Essbares zuhause?«, Lucas Stimme klingt stark besorgt und ich weiß, dass es daran liegt, dass er durch mein dünnes Shirt meine Rippen spüren kann.
Ich schüttle den Kopf. Er zuckt mit den Schultern. »Okay, egal. Es wird so oder so Zeit, dass wir dich hier rausbekommen. Die Luft hier drinnen ist so schrecklich, da würde ich auch weinen.«
Er versucht es mit einem verdammt schlechten Witz und obwohl ich mich dagegen sträube muss ich doch leicht grinsen, wenn auch nur für eine einzelne Sekunde.
»Luca, bitte«, beginne ich als ich realisiere, dass er seine Worte scheinbar ernst gemeint hat. Er rennt in meiner Wohnung herum und sucht tatsächlich nach einer Jean und einem Pullover, die er mir zum Anziehen rüber wirft. Ich habe momentan meinen Pyjama an. »Ich.. ich kann da nicht rausgehen. Diese Welt engt mich ein. Das Leben nimmt mir den Atmen und da draußen, unter all diesen weihnachtsfreudigen Menschen ist mein Tod.«
Luca schüttelt nur den Kopf. »Das ist mir egal, Noël. Ich zeige dir, wie man atmet. Es wird Zeit, dass du was isst. Es ist halb eins nachts. Es sind nur wenige Leute um diese Uhrzeit an einem Montag unterwegs.«
»Und wo willst du hier etwas Essbares auftreiben?«, murmle ich nur versucht darauf ihn von seiner dummen Idee abzubringen.
Luca lächelt leicht und deutet mir, dass ich mir meine Klamotten überziehen soll. »Hab ich schon erwähnt, dass mein Arbeitgeber neben seinem Lieferservice auch ein Lokal betreibt? und ich habe einen Schlüssel dazu.«
»Luca, ist das nicht Einbruch?«
Er legt den Kopf schief. »Noël, ich kann dich beruhigen. Don hat kein Problem damit. Er ist einer der engsten Freunde meines Vaters, deswegen arbeite ich auch dort. Komm jetzt.«
Ich stöhne genervt auf und gehe ins Bad um mir meine Klamotten anzuziehen. Vorsichtig streife ich mir mein Pyjama-shirt vom Körper und mustere mich kurz im Spiegel.
Ich bin abgemagert. So sehr, dass ich meinen eigenen Anblick nicht ertrage, weil mir davon übel wird. Ich wende meinen Blick ab und werfe mir schnell den Pullover über, dann schlüpfe ich in meine Hose. Mein Gesicht ist eingefallen und meine Augen geschwollen, aber ich überdecke sie nicht. Ich bezweifle, dass Luca ein Problem mit meinem Gesicht hat.
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All I Want for Christmas Is Food
RomanceSie hasst Weihnachten, er ist ein absoluter Weihnachtsfanatiker. Sie meidet soziale Kontakte, er arbeitet bei einem Lieferungsservice. Sie hat Hunger, er hat Essen. © letzteEinhorn Ein Adventskalender, der euch durch die Weihnachtszeit bring...