16. Dezember

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Noël

Es ist der sechzehnte Dezember und meine Uhr zeigt mir eine Zeit von ein Uhr achtundfünfzig nachts an. Luca und ich sitzen auf meiner Couch, wir halten beide eine Tasse Tee in der Hand.

Ich muss ehrlich sein, wir mussten welche abwaschen, da ich alle Tassen bereits aufgebraucht hatte. Nun sitzen wir jedoch da, und wir reden seit Luca hier aufgekreuzt ist. Wir müssen heute noch beide zur Uni und man sieht uns die Müdigkeit zugegebenermaßen schon an, aber ich kann nicht aufhören mit ihm zu sprechen.

Seit er da ist, haben wir diskutiert, gekontert, er hat mich schlussendlich doch noch umarmt und alles in einem verstehen wir uns in Echt noch besser als am Telefon.

Er ist gekommen, weil meine Schwester scheinbar von Schuldgefühlen geplagt war. Ich weiß jedoch nicht, ob ich mich ein weiteres Mal mit ihr versöhne, ihre Worte haben mich wohin gebracht, wo ich nicht sein will. Wo ich nie sein wollte. 

Jedenfalls hat sie Luca meine Adresse geschrieben und er ist vorbei gekommen. Um nett zu bleiben muss ich sagen, das war eine gute Idee von ihr. Vermutlich hätte ich nie die Eier gehabt mich wirklich mit Luca zu treffen, wäre er hier nicht aufgekreuzt.

Während wir also unsere vierte Tasse Tee schlürfen reden wir über alles mögliche und es geht mir mit jedem Schmunzeln von Luca, jedem Witz auf meine oder seine Kosten und jedem Wort besser.

Wir reden nicht über das, was letztes Jahr passiert ist. Ich kenne Luca noch nicht lange genug, um darüber zu reden. Und er versteht es.

Nun, wo ich Luca in echt vor mir habe hat sich etwas verändert. Ich kann nicht sagen was, aber irgendetwas ist anders.

In dem Moment, in dem wir uns das erste Mal in die Augen gesehen haben war es, als wäre etwas in mir entstanden. Ich weiß nicht was, ich weiß nur, dass es da ist.

Ich fühle mich in seiner Gegenwart ruhig, nicht so verzweifelt und zerbrochen, selbst wenn ich an letztes Jahr denke. Wir reden über belanglose Dinge und trotzdem geht es mir viel besser.

Er lenkt mich nicht einmal ab. Er ist einfach da. Und ich kann nicht erklären wie, aber all de Sprüche, die er klopft um mich zu ärgern, muntern mich unfassbar auf.

Wir reden seit Stunden und hatten bereits einige Hochphasen unserer Themen und Launen. Trotzdem waren wir zwischendurch immer mal ernst.

»Ich bin gerne alleine«, sage ich deswegen. »Aber nicht gerne einsam.«

Luca nippt an seinem Tee. »Ich auch.«

Wir schweigen beide kurz.

»Aber gemeinsam alleine sein ist irgendwo am schönsten.«

Seine Stimme klingt leise durch den Raum, aber ich höre ihn ganz deutlich. Erst lächle ich ihm zu, dann verdrehe ich die Augen.

»Ergibt das denn Sinn?«

»Du bist diejenige, die von uns Literatur studiert. Du solltest die Bedeutung derartiger Sätze eigentlich verstehen«, er hebt eine Augenbraue und ich grinse.

»Für mich klang das mehr nach einer billigen Anmache. Luca, du versuchst doch nicht etwa mit mir zu flirten?«, necke ich ihn und auch er lacht leise in sich hinein und zwinkert mit zu.

»Ich weiß nicht, Weihnachten. Tu ich das?«

Wir funkeln uns beide an, er erwidert meinen Blickkontakt. Am Schluss bin ich dann doch die Erste, die wegsieht, da es mir unangenehm wird. Luca grinst triumphierend und beginnt das Thema über einen seiner Mitarbeiter, der scheinbar kündigen will.

Ich mag es.

Nicht dass sein Mitarbeiter kündigt, sondern dass Luca alltägliche Dinge so klingen lassen kann, das man gerne zuhört. Vielleicht spricht aber auch die Literaturstudentin aus mir.

Während Luca sich also beschwert, dass er eventuell für gleichen Lohn mehr arbeiten muss nehme ich ihn genauer unter die Lupe, wie so oft an diesem Abend. Luca sieht nicht heiß aus. Luca ist auch nicht das, was Lilly als »scharf« bezeichnen würde.

Luca ist schön.

Er ist wirklich schön. Er hat weiche Gesichtszüge, ist groß, dunkelhaarig und hat dunkle Augen. Seine Kieferpartie lässt mich innerlich seufzen und wenn er lacht hat er kleine Grübchen und süße Fältchen um die Augen. 

Ich sehe ihn gerne an. Nicht nur weil er schön ist, nein. Luca vermittelt Ruhe, obwohl er so eine quirlige Person ist.

»Ich werde gehen müssen, Noël. Es ist beinahe drei Uhr morgens und ich muss noch in die Universität. Wenn ich gehe, wirst du dann wieder in Tränen ausbrechen und merkwürdige Filme schauen?«

Ich wende meinen Blick ab, als er zurück auf die Filme kommt, aber schüttle trotzdem den Kopf. Werde ich nicht. Luca hat mich beruhigt und ich bin ehrlich gesagt wirklich müde und alles was ich will ist ins Bett kommen oder mit ihm reden bis die Sonne aufgeht.

»Ich bin froh, dass du da warst, Luca«, ich starre in seine Richtung. Es fällt mir schwer diese Worte auszusprechen. Ich bin ein stolzer Mensch, Gemeinheiten zu äußern ist einfacher als Komplimente oder positive Gefühle auszudrücken.

»Ich bin auch froh, Weihnachten«, er lächelt mich an und rappelt sich auf. Ich begleite ihn zur Tür. Erst jetzt bemerke ich, dass ich den ganzen Abend in einem dreckigen Pyjama rumgerannt bin, während Luca ordentlich angezogen ist. Er trägt einen schönen Mantel und sieht ein bisschen aus wie der brave Schwiegersohn. Unter seinem Sweater schaut der Kragen eines weißen Hemdes hervor.

Gerade in dem Moment, in dem er die Tür nach einer Abschiedsumarmung hinter sich schließen und sich um drei Uhr morgens auf den Weg nachhause machen will, halte ich ihn auf.

»Luca«, ich kann es nicht wirklich kontrollieren. Sein Name gefällt mir, seit ich Luca in echt gesehen habe. Vielleicht weil mir erst jetzt bewusst wird wie sehr er zu ihm passt.

»Noël?«

Ich sehe ihn mit schief gelegtem Kopf an. »Kommst du mal wider?«

Er lächelt breit. »Spätestens morgen. Versink nicht in Trauer. Ein Lächeln sieht viel hübscher aus.«

Und mit der Aussage bringt er mich tatsächlich dazu lächeln die Augen zu verdrehen.

»Jaja«, sage ich nur. »Du bist mir viel zu kitschig im echten Leben.«

»Vielleicht versuche ich auch mit dir zu flirten«, spielt er auf vorher an und ich grinse spöttisch.

»Dann gelingt dir das nicht sonderlich gut, mein Schatz.«

Er schüttelt nur den Kopf und lächelt mir wissend zu.

»Oh, Noël, wenn du wüsstest. Du bist mir doch schon längst verfallen.«

Und mit den Worten geht er, lässt mich alleine zurück in der Wohnung.

Und plötzlich bin ich kein bisschen müde mehr, im Gegenteil. Ich liege bis zum Morgengrauen wach und überdenke seine Worte.

All I Want for Christmas Is FoodWo Geschichten leben. Entdecke jetzt