8. Dezember

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Noël

Ich verdrehe die Augen. 

»Sehr witzig«, gebe ich trocken von mir und beobachte kopfschüttelnd Lukas. Wir kommen gerade von "Das Augustin", dem kleinen Restaurant im 15. Bezirk und machen uns nun auf den Weg zu ihm nachhause. Er hat mich zwar gewarnt, dass sein Mitbewohner eventuell dort sein könnte, aber das stört mich nicht.

Wir wollen einfach noch bei einer Flasche Wein beisammen sitzen. Vielleicht trinkt sein Mitbewohner ja auch einen Schluck mit uns.

Kalt. Ich ziehe meinen Kopf wie eine Schildkröte in den Nacken und sehe den jungen Mann entgeistert an. Dieser grinst nur und verwuschelt meine Haare.

»Finger weg von meiner Prachtmähne«, schmolle ich, doch ich kann nicht leugnen, dass ein leichtes Funkeln in meinen Augen liegt. Es ist witzig herumalbern wie ein Kind. Ich habe die Winterzeit anders in Erinnerung. Voller Trauer und Schmerz, nicht mit Spaß und Lachen.

»Bitte Lukas, bitte nimm den Schnee aus meinem Nacken«, versuche ich ihn zu überreden und fühle mich ein wenig wie ein am Rückenliegender Käfer, als ich mit meinen zu kurzen Armen versuche den eiskalten Schneeball aus meinen warmen Klamotten zu entfernen.

»Was bekomm ich dafür?«, neckt er mich und verengt seine grünbraunen Augen zu Schlitze. Ich mag es herumzualbern, aber langsam werde ich wahnsinnig. Der Schnee beginnt zu schmelzen und rinnt kalt meinen Rücken hinunter.

»Was willst du?«, ich sehe ihn mit großen flehenden Augen an und er scheint zu überlegen. Lukas ist größer als ich, viel größer. Ich bin nicht klein für ein Mädchen, aber er scheint einfach groß für einen Kerl zu sein.

»Könntest du mir eventuell einen kleinen Gefallen tun? Ich habe rund um Weihnachten eine Familienfeier und meine Verwandten nerven mich unfassbar mit meinem Beziehungsstatus. Du musst auch nicht sagen, dass wir zusammen sind, nur, dass sich etwas entwickeln könnte? Damit würdest du mir sehr helfen«, er sieht mich bittend an und faltet seine Hände, als würde er beten. Er sieht süß aus. Trotzdem stöhne ich auf und verdrehe die Augen.

»Ist das dein verdammter Ernst? Das ist wohl einen der klischeehaftesten Gefallen, die du hättest einfordern können. Das und ein Kuss wären die beiden wahrscheinlichsten Möglichkeiten. Ich studiere Literatur, so etwas lese ich öfter«, bei letzterem zwinkere ich ihm kurz zu. Er grinst breit und steuert auf ein Wohnhaus am Seitenrand zu. Ich verkrampfe meine Schultern leicht. Es ist immer noch kalt.

»Vielleicht war das ja beabsichtigt? Du wirst es nie erfahren«, er bleibt vor der Haustüre stehen und grinst mich breit an. »Ein Kuss wäre auch ein toller Gefallen. Such's dir aus.«

Ich seufze. »Nun gut. Ich werde dir helfen und deine Fast-Freundin spielen. Aber nur, weil ich dich nicht im Stich lasse. Statt mir darfst du einen Kaktus küssen.«

Eine kurze Pause entsteht in der ich ihn teuflisch angrinse, was jedoch verblasst, als er die Augen verdreht. »Deine Konter waren schon besser, Noël.«

Wir beide lachen und schlussendlich tritt er auf mich zu, ich drehe mich um und er zieht meine Jacke leicht von meinem Körper weg und fährt mit seinen Händen hinein um den Schnee herauszuholen. Ich war darauf eingestellt, dass seine Hände kalt sind, aber ich irre mich.

Sie sind warm. Dort wo sie meinen Hals streichen hinterlassen sie eine Gänsehaut und ich hoffe, dass Lukas es nicht bemerkt. Es fühlt sich warm und... ich schätze geborgen an.

Auf der einen Seite fühlt es sich schön an wieder Körperkontakt zu spüren, auf der anderen habe ich das Gefühl in meine Vergangenheit zurückkatapultiert zu werden und möchte am liebsten weinen.

Wann war es das letzte Mal, dass ein Mann so eine Wirkung auf mich hat?

Ich presse kurz die Augen zusammen und versuche positiv zu bleiben, mich nicht meiner Trauer hinzugeben.

»Ich weiß ja, dass ich toll bin und wie ich auf Mädels wirke. Hätte trotzdem nicht gedacht, dass du vor Überwältigung die Augen schließt und dir vorstellst wie du mir die Klamotten vom Leibe reißt«, spaßt er und ich öffne meine Augen, nur um sie zu verdrehen. Er schafft es perfekt mich abzulenken. Ich unterdrücke den Drang ihm wie ein Kleinkind die Zunge rauszustrecken.

Er öffnet die Haustür. 

»Wovon träumst du nachts?«, ich lache leise und folge ihm. Wir stapfen das Stiegenhaus nach oben, er sperrt seine Haustür auf. Lukas wohnt gar nicht so weit von mir entfernt, wie ich schnell bemerke.

»David?«, ist das Erste, das Lukas in die Wohnung ruft, doch er bekommt keine Antwort. »Okay, mein Mitbewohner scheint nicht zuhause zu sein.«

Er wirft einen Blick auf die Uhr. »Scheint noch in der Arbeit zu sein.«

Dann zuckt er mit den Schultern. »Wir kennen uns noch nicht lange. Er ist erst vor zwei Wochen hier eingezogen, weil sein alter Bewohner ihn rausgeworfen hat. Wir verstehen uns aber ziemlich gut.«

Ist es nicht verrückt, wie sich bei alter Bewohner sofort die Vorstellung, dass es Luca sein könnte, in meinen Kopf pflanzt? Verrückt. Dabei wollte ich doch auf ihn sauer sein, wegen der Olivenpizza.

»Also, weiß oder rot?«, Lukas nimmt mir die Jacke ab, hängt sie auf und schreitet zum Kühlschrank. »Okay, der Wein hat entschieden. Ich hab nur noch rot da.«

»Mag ich sowieso lieber«, sage ich nur, weil ich nicht weiß, was ich sagen soll. Ich bereue es jedoch sofort. Ich hätte ehrlich bleiben sollen. DIe Lüge war nicht nötig. Eigentlich ist es mir ja egal welchen Wein ich trinke, aber hätte ich die Wahl gehabt, so hätte ich wohl weiß genommen. 

Lukas lacht leise. »Ich auch. Ich muss mich bereits jetzt entschuldigen. Es ist absoluter Billigwein. Aber du weißt ja, wie das als Student ist.«

Ich nicke lächelnd, auch wenn ich eigentlich wirklich viel von meinen Eltern finanziert bekomme. Normalerweise jobbe ich noch in einem kleinen Café, aber momentan hat dieses wegen Umbauarbeiten geschlossen.

Lukas füllt zwei Gläser, drückt mir eines in die Hand und wir stoßen an.

»Darauf, dass du mich mit einem Schneeball attackiert hast«, spaße ich und Lukas lacht und nickt.

»Wie wahr. Darauf, dass ich dich mit einem Schneeball attackiert habe.«

Und als ich einen Schluck nehme beugt er sich zu mir vor und flüstert mir leise etwas ins Ohr.

»Übrigens war der sehr wohl auf dich gerichtet. An dem Tag war ich nämlich mit gar keinem Freund unterwegs, das war irgendein Passanter. Aber du sahst süß aus. Tust du übrigens jetzt gerade auch.«

Und ich verschlucke mich beinahe an meinem Wein, während der Idiot nur lacht.

Lukas oder Luca? Ihr werdet beide noch besser kennenlernen.

All I Want for Christmas Is FoodWo Geschichten leben. Entdecke jetzt