22. Dezember

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Fühl mich krank, urg.

Noël

Heute ist der zweiundzwanzigste und ich komme gerade von Noah's und Aleas Grab. Ich wollte irgendwie noch einmal dort sein. Nicht um zu vergessen, dass werde und will ich nie können. Sondern um Abschied von der Trauer zu nehmen.

Schmerz ist ein natürlicher Teil des Lebens und ich kann damit umgehen, wenn er bleibt. Doch die Trauer hält mich für immer in der Vergangenheit und lässt mich einfach nicht... weitergehen.

Lukas hat sich bei mir wegen dem Dinner gemeldet, bei dem ich versprochen habe seine Fakefreundin zu spielen. Ich meinte, ich würde diesen Deal gerne auflösen und ihn stattdessen auf einen Kaffee einladen. Er stimmte zu, sogar merkwürdig begeistert.

Ich habe Schuldgefühle, weil ich ihn absolut links liegen lasse, aber ich war noch nie gut darin Freundschaften zu pflegen. Etwas, das ich nun ändern will.

Ich trommle mit meinen Fingern ungeduldig gegen den kleinen Tisch bei Starbucks und lese in einem Buch, das ich mir mitgenommen habe. Ich habe meistens ein Buch dabei. Es ist eine Art Brauch von mir, eine Angewohnheit. Man weiß nie, ob es langweilig wird, egal wohin man geht, weswegen dies die Chance ist Zeit nicht unnötig zu vergeuden.

Und auch jetzt, wo ich während dem Warten lese, lobe ich mich innerlich selbst für diese großartige Idee. Jemand setzt sich mir gegenüber, ich blicke auf.

»Hey«, begrüße ich Lukas, der mir das Buch aus den Händen nimmt und interessiert das Cover mustert.

»Van Gogh?«, er grinst. »Du studierst doch Literatur.«

»Meine Interessen sind vielfältig«, ich lache leise und nehme ihm das Buch weg, um es in meiner Tasche zu verstauen.

»Du siehst krank aus«, kommentiert er mein Aussehen. Ich habe wirklich versucht meine eingefallenen Wangen, tiefen Augenringe und geschwollene Augen mit Make-Up zu retuschieren, aber ich bin nicht sonderlich gut im Schminken. Auch, wenn es mir jetzt besser geht, wozu auch Luca einen großen Teil beigetragen hat, sieht man mir die letzte Zeit an.

Ich winke ab. »Es war alles etwas anstrengend, in letzter Zeit. Deswegen habe ich auch heute das Dinner mit deiner Familie abgesagt. Tut mir leid. Ich find das auch einfach nicht... richtig. Es kommt mir irgendwie falsch vor über eine Beziehung zu lügen.«

»Ist okay«, sagt Lukas nur mit einem leichten Lächeln und meint, er geht uns einen Kaffee holen. Als er mir kurz darauf einen Milchkaffee hinstellt, versuche ich meine Abneigung zu unterdrücken. Widerlich.

Er weiß doch, dass ich ihn nur schwarz trinke. Nicht schwer zu merken.

Auch er nimmt einen Schluck von seinem und verzieht das Gesicht. »Ich habe unsere Kaffee vertauscht, Noël. Wie kannst du das Zeug nur schwarz trinken?«

»Weil der Kaffee im Partnerlook mit meiner Seele geht«, spaße ich und vertausche unsere Pappbehälter. Sofort nehme ich einen Schluck von meinem wahren Kaffee, um das Aroma des ekelhaften Milchkaffees loszuwerden, dessen Geschmack immer noch einen Krieg gegen meine Geschmacksknospen führt.

»Indirekt war das ein Kuss«, bemerkt Lukas, als auch er an seinem Kaffee nimmt. Ich lache leise und verdrehe die Augen.

»Wir haben nur von demselben Becher getrunken. Kein großes Ding, wie als bist du? Zwölf?«

Er streckt mir die Zunge heraus und mein Lächeln wird breiter. »Diese Reaktion war Antwort genug«, ziehe ich ihn auf und nehme einen weiteren großen Schluck Kaffee.

Wir schweigen nach stillem Grinsen eine Weile, nippen beide an unserem Kaffee und erheben anschließend beide gleichzeitig das Wort.

»Noël-«

»Luk-«

Wir stoppen beide und lachen. Welch ein Klischee.

»Du zuerst«, weise ich ihn schließlich an und bin mehr als nur dankbar, als er nicht auf eine peinliche Diskussion eingeht, dass ich doch bitte beginnen soll. Er erzählt also einfach, klingt etwas unsicher.

»Noël, du bist ein wirkliches tolles Mädchen. Und ich mache mir Sorgen, dass du... irgendwann Gefühle für mich entwickelst? Ich weiß, das klingt dumm. Aber es ist so, ich will nur eine Bestätigung, dass das zwischen uns reine Freundschaft ist?«

Meine Augen weiten sich leicht, mein Mund öffnet sich. »Lukas...«, stammle ich und er wendet den Blick ab.

»Tut mir leid, war das zu... verletzend? Habe ich etwas Falsches gesagt?«

Ich schüttle rasch den Kopf und lächle ihn breit an. »Nein, ich wollte nur dasselbe sagen.«

Er atmet erleichtert aus, genauso wie ich. 

»Also nur Freunde?«, frage ich noch einmal nach und habe das Gefühl, dass ich um Vieles leichter bin. Hätte er dieses Thema nicht angesprochen, hätte ich es getan. Lieber sage ich es ihm gleich, anstatt ihn später zu verletzen. Immerhin lerne ich momentan Luca besser kennen und ich will Lukas, den ich auch sehr gerne mag, nicht falsche Hoffnungen machen.

»Allerhöchstens Freundschaftplus«, spaßt dieser und ich verziehe das Gesicht und verdrehe die Augen. »Ich komme darauf zurück. Ganz bestimmt«, antworte ich und Sarkasmus schwingt so stark in meiner Stimme mit, dass er es gar nicht überhören kann. Er lacht.

»Ich warte darauf.«

Wir strahlen uns beide an. »Wie kommst du auf das Thema?«, frage ich ihn schließlich neugierig und er fährt sich verlegen durch die Haare.

»Eigentlich dachte ich ja, wir können uns näher kennenlernen und vielleicht daten. Aber mir ist mit der Zeit aufgefallen, dass da einfach... mehr Freundschafts- als Datingmaterial zwischen uns ist, verstehst du? Und dann habe ich Maren kennengelernt«, er sieht so glücklich aus, ich kann nicht anders als mit ihm zu strahlen. »Wir daten seit einigen Tagen und sie ist so toll. Ich mag dich wirklich, Noël, aber einfach nur freundschaftlich.«

Ich nicke zustimmend. »Bei mir ist es ein Luca. Ich habe ihn über Don&Son's Lieferservice kennengelernt.«

Lukas Augen weiten sich etwas. »Luca von Don&Son? Mein Mitbewohner David hat da letztens gekündigt. Don zahlt einen Hungerlohn. Er und Luca waren gut befreundet.«

Ich erstarre obwohl diese Information keinen Einfluss auf die Handlung hat. Es ist einfach zu lächerlich, dass Luca und Lukas tatsächlich, wenn auch nur im Großen, etwas miteinander zu tun haben. Niemals hätte ich diese Schlüsse gezogen. Dass David, der letztes Mal arbeiten war, als ich mich bei Lukas befand, der Mitarbeiter von Don&Son's Lieferservice ist, von dessen Kündigung Luca letztens erzählt hat, ist so merkwürdig.

Wien ist riesig. Es gibt so viele Menschen.

Und trotzdem entsteht solch ein Zufall.

Lukas und ich reden noch eine Weile weiter. Es ist nett, mal wieder mit ihm zu reden und ich bin froh darüber, wie sich die Dinge entwickeln.

Und hoffe darauf, dass auch die Zukunft so bleibt.

All I Want for Christmas Is FoodWo Geschichten leben. Entdecke jetzt