In dem Kapitel wird eine der Personen, die sie verloren hat, aufgelöst, aber noch nicht was passiert ist und warum sie Weihnachten hasst. (Die Zweite Person ist leicht zu erahnen) Viel Spaß. Übrigens steigen die Reads so krass, oh mein Gott! Danke, ihr coolen Bananen.
Noël
365 Tage sind vergangen, seitdem ich sie verloren habe.
Viele Mütter, die ihr Kind verlieren, werden ein bisschen verrückt. Die Schutzinstinkte sind so stark ausgeprägt, sie würden alles für ihr Kind tun. Und wenn es dann nicht mehr da ist zerfrisst sie die Trauer mehr als alles andere.
Viele Mütter, die ihr Kind verlieren, werden nie mehr normal. Die Leute sagen, da das Kind von der Mutter stammt, stirbt ein Teil der Mutter mit ihm. Und vielleicht stimmt das ja auch.
Viele Mütter, die ihr Kind verlieren, verlieren auch sich selbst. Glücklich sein wird mehr ein Ziel als eine Entscheidung. Emotionen werden leerer, Lächeln gefühlsloser.
Viele Mütter, die ein Kind verlieren, glauben nicht mehr an die Liebe.
Und die Leute, die sagen es wird von Zeit und Zeit leichter, lügen. Das wird es nicht.
Alea Sophie ist seit genau einem Jahr tot.
Sie ist gestorben, ohne je etwas erlebt zu haben. Aber sie hat gelebt.
Bei vielen der Eltern ist der Schmerz wenige Jahre nach dem Tod des Kindes noch frisch, bei anderen ist er zu einem dumpfen Begleiter geworden, der sich hin und wieder zu Wort meldet.
Es ist erst ein Jahr her und ich spüre den Schmerz tatsächlich dumpf. Wie eine Barriere, die einem das Glücklichsein nimmt. Sie lässt zu, dass man vergisst, für wenige Momente, aber blockiert das wahre Leben. Es ist unmöglich loszulassen.
Schmerz zerreißt einen. Ab und zu, wenn ich darauf angesprochen oder durch Kleinigkeiten daran erinnert werde, sterbe ich innerlich. Doch egal was ist, Schmerz ist überall wo auch ich bin.
Dieses ganze Weihnachtsdrama erinnert mich nur noch stärker an letztes Jahr.
Ich schließe die Augen, starre auf das Grab vor mir. Ich wollte nicht herkommen. Es hat geschneit, der Wiener Zentralfriedhof ist mit einer dünnen Schneeschicht überdeckt. Überhaupt ist es kalt und eisig und ich ertrage den Anblick des kargen Grabes nicht. Es ist winzig.
Weil Alea winzig war.
Sie war noch nicht einmal geboren. Nie hat sie die Welt außerhalb meines Bauches erkunden können. Ich versuche die Tränen zu unterdrücken, die mir in die Augen steigen. Ich habe sie geliebt. Ich liebe sie immer noch.
Ich weiß nicht, wo sie jetzt ist.
Niemand aus meiner Familie ist wirklich gläubig und auch ich war es nie, aber trotzdem ist die Vorstellung, dass sie in guten Händen ist, wo auch immer sie jetzt ist, die Beruhigendste.
Alles andere belastet mich nur. Selbst der Gedanke, dass sie einfach weg ist, dass da nichts nach dem Tod ist, macht mir Angst.
Nicht weil ich mich vor dem Sterben fürchte, sondern weil ich nicht will, dass sie nur so wenige Erfahrungen sammeln konnte.
Es war so knapp. Wir waren doch nur eine kurze Strecke vom Krankenhaus entfernt und trotzdem ist es sich nicht ausgegangen.
Doch da ist immer wieder diese eine Frage, die ich mir stelle- Warum habe ich überlebt und sie nicht?
Wie unfair ist es ihr, einer Ungeborenen, das Leben zu verweigern, währen ich bereits Erfahrungen sammeln konnte. Ich war gerade mal neunzehn.
Schwanger zu werden war nie mein Plan. Und trotzdem war ich unfassbar glücklich, als ich es geworden bin.
Ich hätte auf Vieles verzichten müssen. Vermutlich hätte ich nicht mehr zur Uni gehen können, wäre sie hier. Aber das wäre mir lieber.
Ich würde alles in Kauf nehmen, wenn sie dafür noch am Leben wäre.
Ich blinzle meine Tränen hinfort und lege mir meine rechte Hand aufs Herz, um zu prüfen, dass es noch schlägt. Es fühlt sich so an, als würde der Schmerz meinen ganzen Körper lähmen und jeder Atemzug ist schneidend.
Meine Kehle ist wie zugeschnürt, ich kriege nur schlecht Luft.
Ein Kind zu verlieren ist wie die Amputation des Herzens. Ab dem Zeitpunkt ist man innerlich tot. Als hätte man die Maschine des menschlichen Körpers abgestellt. Und es gibt kaum einen Menschen, der sie wieder ankurbeln kann.
Die Leute versuchen Rücksicht auf mich zu nehmen, aber es ist Weihnachten, das diesen Schmerz am stärksten hervorruft.
Ihr Tod hat alles verändert. Die Tage, die folgten und in denen er kämpfte, trauerte ich um sie.
Ich war mir sicher, er würde es schaffen. Hatte ich nicht bereits genug gelitten? War ihr Tod nicht Grund genug?
Aber das Leben wollte mehr.
Vor genau einem Jahr bin ich gestern ins Krankenhaus eingeliefert worden, ein Notfall. Sie haben versucht sie zu retten. Sie und mich.
Und ich weiß noch, als sie meinten, es müsse im Notfall eine Entscheidung getroffen werden. Dass sie nur einen retten können, aber trotzdem versuchen würden uns beide da rauszubekommen.
Es hätte funktioniert, hätte es wirklich. Aber Alea war zu stark verletzt. Sie ist während der OP gestorben.
Ihr Herz hat aufgehört zu schlagen, bevor sie die Welt zum ersten Mal sah. Und mit ihr starben all meine Vorstellung von meinem Leben.
In diesem Moment habe ich mehr als nur mein Baby verloren. Ihr Tod nahm mir meine Lebensfreude und die Chance auf zukünftige Erinnerungen.
Ich war jung schwanger, aber das war kein Problem. Ich wäre eine gute Mutter gewesen. Und Noah ein guter Vater.
Aber dazu kam es nie.
In dem Moment, in dem mir die Ärzte mein totes Baby zeigten, zerbrach etwas in mir. Und kein Kleber dieser Welt würde die Scherben je wieder zusammensetzten können.
Alea war komplett entwickelt, als sie starb. Sie war ein hübsches Baby. Sie war leicht, wog kaum etwas, und winzig klein.
Noah dachte vermutlich ich und Alea würden beide überleben. Dass wir uns gemeinsam etwas aufbauen würden.
Aber so war es nicht.
Es blieb nur einer von uns übrig.
Ich.
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All I Want for Christmas Is Food
RomanceSie hasst Weihnachten, er ist ein absoluter Weihnachtsfanatiker. Sie meidet soziale Kontakte, er arbeitet bei einem Lieferungsservice. Sie hat Hunger, er hat Essen. © letzteEinhorn Ein Adventskalender, der euch durch die Weihnachtszeit bring...