17. Dezember

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Noël

Lukas und ich haben in letzter Zeit wieder etwas mehr geschrieben und momentan plane ich eventuell mit ihm demnächst ins Kino zu gehen. Doch ich muss ehrlich sein, umso näher ich Luca kennenlerne, um so mehr sehe ich den jungen Mann, der mich mit einem Schneeball abgeworfen hat, nur als Freund. Besonders nun, wo Luca bereits in voller Montur vor mir stand, gebe ich zu, dass er meine Interesse geweckt hat.

Da sind einige Ticks seinerseits, die mich faszinieren. Er verdreht seine Augen mindestens so oft wie ich, wenn er nachdenkt zieht er seine Augenbrauen zusammen und wenn er anächtig zuhört, hat er den rechten Munrwinkel ganz leicht nach oben gezogen.

Wann immer er einen Spruch gegen mich klopft lächelt er schief und ab und zu zwinkert er mir zu. Das sind Dinge, die mir erst auffallen konnte, als wir uns in echt getroffen haben. Und ich liebe sie, diese kleinen Details.

Ich versuche mich bereits den ganzen Tag abzulenken, obwohl ich weiß, dass sie bald eintreffen werden. Umso mehr der Zeiger auf zwanzig Uhr zu steuert, umso verzweifelter werde ich. Am liebsten würde ich die Zeit anhalten, aber mir ist bewusst, dass das nicht geht.

Luca hat mir geschrieben, dass er gerne vorbeikommen würde, aber ich habe abgelehnt. Nicht heute. Heute muss ich alleine sein.

Da ich bereits vorgestern in meinen eigenen Tränen ertrunken bin, fällt es mir heute leichter meine Emotionen zu kontrollieren. Das bedeutet, ich weine nicht. Innerlich ist der Schmerz unfassbar in Worter zu fassen.

Ich war in der Uni, wenn auch ohne wirkliche Konzentration. Druchgehend versuche ich mich abzulenken oder langweilige Dinge zu tun, damit die Zeit möglichst langsam vergeht, doch das tut sie nicht. Sie rast.

Einige meiner Bekannten, ehemaligen Freunde oder Verwandten warten nicht einmal bis acht, um mir ihr Beileid auszusprechen. Schon den ganzen Tag bekomme ich Anrufe, wie es mir geht und, dass es ihnen leidtut und sie mir viel Mut und Kraft wünschen. Lilly hat mich vor diesem Tag gewarnt. Deswegen hat sie vorbeigeschaut und mir wird klar, dass ihre Worte nicht böse gemeint waren. Diese Zeit ist trotzdem die Hölle.

Und das Traurige ist, nicht nur heute werde ich von vielen unbedeutenden Personen in meinem Leben angerufen und bekomme ihr Beileid ausgesprochen.  Es wird die nächsten fünf Tage so weitergehen. Ich werde fünf Tage lang an meinen Verlust, an meinen Schmerz, an den Tiefpunkt meines Lebens erinnert. Alle fragen mich an wie ich zurecht komme, jetzt wo ein Jahr seit ihrem Tod vergangen ist und alle wollen, dass ich weiß, dass sie für mich da sind.

Meine Nachbarin Frau Steininger übertreibt es am meisten von allen. Sie hat sogar eine warme Suppe gemacht, die sie mir vorbeigebracht hat, nur um mir zu zeigen wie leid es ihr tut.

Mir ist immer noch zu heulen zu Mute deswegen. Vor allem war die Suppe versalzen. Aber der gute Wille zähl, nicht wahr?

Ich habe Angst zu sehen, wer aller anruft, wer sich erinnert. Heute hat bereits einer meiner engeren Freunde von damals angerufen und meine Tante. Beides Personen, mit denen ich seit einem Jahr nicht mehr gesprochen habe. 

Und mit beiden war das Gespräch komisch.

So ist es eben.

Es ist merkwürdig, wenn Leute, mit denen man kaum Kontakt hat, über so intime Dinge sprechen wollen.

Eigentlich rufen sie nur an, um ihr Gewissen zu beruhigen. Sie wollen nur hören, dass es mir gut geht, damit sie sich nicht schuldig fühlen, wirklich gegangn zu sein, als ich sie etwas von mir weggestoßen habe, aufgrund meiner starken Trauer.

Heute hat er angefangen, sein Tod.

Und ein weiterer folgt morgen. Allein wenn ich daran denke wird mir schlecht und ich will weinen.

Immer wieder weinen, Tage lang. Mich irgendo vergraben und nie mehr kommen.

Ich vermisse beide und ich trauere. Seit einem Jahr.

Die Wunden sind noch nicht verheilt und ich frage mich, ob sie das je werden. Ein Leben ohne sie ist nicht dasselbe.

Ich hatte Pläne. Wir hatten welche.

Und nun sitze ich da, in einer Zeit, die ich fürher Zukunft genannt habe und keiner einziger dieser Ideen und Wünsche hat sich erfüllt.

Trotzdem hat sich alles geändert.

Ich bin alleine, seither.

Dass Luca in meinem Leben ist spendet mir Trost, doch heute vermag es mir nicht zu helfen. Und morgen vermutlich auch nicht.

Er weiß nichts von dem was letztes Jahr passiert ist, genauso wie Lukas. Keiner der beiden nervt mich mit Mitleid. Im Gegenteil. Beide sind ahnungslos und das heiße ich äußerst gut.

Trotzdem wird mir klar, dass ich es nicht ewig verheimlichen kann. Besonders Luca ist mir so schnell so wichtig geworden. Wir haben ejden Tag Kontakt und diese siebzehn Tage, seit denen wir uns kennen, kommen mir vor wie siebzehn Leben.

Früher oder später werde ich ihn einweihnen müssen.

Ich blicke aus dem Fenster, ziehe meine Beine dichter an mich und nippe an meinem Tee. Draußen ist es dunkel, es sind keine Sterne zu sehen.

Wenigstens ist die Nacht genauso finster, wie meine Gedanken.

Ab und zu sehe ich Lichter weiter wegaufblitzen, dabei handelt es sich sicherlich um Autos. Das belastet mich mehr als ich zugeben mag. Es versetzt mich zurück.

Ich finde mich selbst wieder, in einem Meer voller verwebter Lichter, die sich um uns stimmen und den Tod bringen. 

Aber den Vorhang schließen kann ich trotzdem nicht, dazu fehlt mir die Enerige. Und ich möchte rausschauen. Vielleicht spricht eine masochistische Ader aus mir, aber der Schmerz an letztes Jahr zeigt mir, dass ich immer noch lebe.

Während sie tot sind, bin ich lebend rausgekommen.

Und vielleicht ist es auch das, was ich am meisten an Weihnachten hasse.

All I Want for Christmas Is FoodWo Geschichten leben. Entdecke jetzt