Prolog

380 13 1
                                    

Es war eine regnerische, stürmische Nacht; die Nachrichten hatten bereits vor Tagen den herannahenden Sturm angekündigt und die Menschen vor dem Fernseher davor geraten, jenen in ihren vier Wänden bei einem Tässchen Tee sicher auszusitzen. Der Wind würde so stark zunehmen, dass die Gefahr von umstürzenden Strommästen und Bäumen zu groß war, und so sollte es auch kommen; die Äste der dicksten Bäume ächzten und knarrten, verbogen sich und sahen aus, als würden sie jeden Moment brechen.Der Himmel hatte seine Schleusen geöffnet und ließ Wassermassen nieder, die kleine reißende Bäche auf den Straßen bildeten und man kaum die eigene Hand vor den Augen sehen konnte; Blitze durchzuckten den schwarzen Himmel, und ließen bei manchen Ängstlichen das Gefühl aufkommen, die Welt ginge nun unter.

An einem weit, weit entfernten Ort, hatten sich die wenigen Bewohner, die es noch gab, ebenfalls verbarrikadiert. Für sie war es jedoch Alltag geworden, dass sie sich versteckten, und nur vor die Tür gingen, wenn es nötig war.

Diesmal war das Unwetter heftiger als sonst, sodass sie sogar die Kerzen löschten, die an vielen Tagen im langen Jahr oftmals die einzige Lichtquelle gegen die vorherrschende Dunkelheit boten, und sich ängstlich in ein vermeintlich sicheres Eck verkrochen.
Eine Frau, die die Kapuze des dunklen Mantels schützend über ihren Kopf gezogen hatte, eilte auf das alte, graue Appartmenthaus mit dem schmiedeeisernen Zäunchen zu, in dem sie wohnte. Eilig kramte sie den Schlüsselbund aus der Tasche hervor - zu hastig, denn er landete auf dem nassen Steinboden vor der Tür. „Verdammt", fluchte sie lauthals gegen den Sturm, bückte sich und schloss nun schnellstens auf; achtlos warf sie dann die Tür, von der bereits die rote Farbe blätterte, hinter sich ins Schloss. Sie nahm mehrere Treppen auf einmal, bis sie vor ihrer Wohnungstür stand, auf der in dunklen Lettern 13 stand.

Reißende, schlammige Bäche aus Regenwasser umflossen eine der vielen Lichtungen, die die verwinkelten, verfallenden Mauerwerke einschlossen. Das satte Grün der vielen merkwürdigen Blumen und Hecken, die hier gewachsen waren, waren nun totem braunem Gestrüpp gewichen. 
Die Erde, vollgesogen und schwer, regte sich.

Sie betrat die Wohnung, und atmete erstmal tief durch, während sie an der Tür lehnte, bevor sie sich des Mantels entledigte und ihn einfach liegen ließ. Sollte der Boden doch nass werden, es war ihr egal. Es war doch ohnehin alles unwichtig.
In der Wohnung war es kalt, und Sarah fröstelte; sie war triefend nass geworden, und die Sachen klebten richtiggehend an ihrer Haut. Sie blies sich warme Luft in die Hände und rieb sie, doch es half nichts. Sie tappte ins Wohnzimmer, ohne Licht einzuschalten, und steuerte auf den kleinen Kamin zu; schnell schlichtete sie ein paar Holzscheite hinein, ehe sie mit einem Streichhölzchen eine kleine Flamme entzündete. Es dauerte eine Weile, bis sie das Knacken des Holzes hörte und das Feuer langsam hervorkroch. Sie seufzte erleichtert. Das Feuer hatte etwas Beruhigendes, und obwohl die Wärme nicht in jeden Raum kroch, heizte sie im Bedarfsfall am liebsten damit.

Plötzlich durchbrach eine bleiche Hand mit unnatürlich dünnen Fingern die Erde; die langen und spitz zulaufenden Fingernägel, trüb und von der schwarzen Erde verschmutzt, gruben sich in den Boden darüber, so als wollten sie alles Lebendige daraus quetschen.

Ein Blitz erhellte den Raum, sodass Sarah für einen kurzen Augenblick erschrocken aus dem großen Fenster des Erkers sah, und sich an etwas erinnert fühlte, jedoch nicht sagen konnte, woran ...
Sie verwarf den Gedanken sehr schnell wieder, stemmte sich auf die Beine und ging in die kleine Küche, in der sich nur das nötigste befand. Sie kochte nicht wirklich, sie fand auch kaum die Zeit dazu. Rasch füllte sie den Wasserkocher, schaltete den Gasherd ein und ging in das Schlafzimmer, während sie sich aus den nassen Sachen schälte.

Ein Schrei, so schrill und voller Wut, dass er sogar den Sturm durchbrach, ließ die Bewohner entsetzt aufhorchen; nackte Panik ergriff sie, als nun das geschah, von dem sie gehofft hatten, es würde niemals passieren. Es war dumm gewesen, das zu tun.

Sie wählte ein ihr viel zu großes Holzfällerhemd, das ihr bis zu den Knien reichte. Musste wohl irgendeinem ihrer Exfreunde gehört haben. Gleichgültig zuckte sie mit den Schultern, hörte dann das Klingeln ihres neumodischen, unpraktisch großen mobilen Telefons; Sarah fand es in dem Mantel, las auf dem Display den Namen ihres Managers und die Aufregung stieg. „Ja, Sarah am Apparat. Hallo, James ...", sie versuchte, fröhlich zu klingen, doch je länger sie den Worten ihres Managers lauschte, desto weiter sank ihre Laune. Der Wasserkocher pfiff mittlerweile schrill im Hintergrund. „Es tut mir leid, mehr konnte ich nicht aushandeln, Sarah. Wir sollten wirklich einmal über das weitere Vorgeh ...-", drang es leise aus dem Telefon, und zum Glück konnte ihr Gegenüber nicht sehen, wie sie sich verzweifelt die Stirn rieb. „Wir sprechen ein ander mal weiter, ja? Ich muss auflegen, James. Mach's gut." Sie wartete nicht auf eine Antwort seinerseits ab, sondern legte einfach auf.
Dann schleuderte sie das Telefon fluchend auf die Couch, bevor sie den nervtötend lauten Wasserkocher zur Seite schob. Sarah fischte ein Teebeutelchen aus einer Lade, warf ihn in eine Tasse und goss das heiße Wasser ein; ein wenig davon ging daneben.

Etwas kroch bäuchlings aus dem Erdloch, das sein feuchtes Grab gewesen war. Als es zum ersten Mal seit Dekaden seinen hageren Kopf in den Sturm reckte, den Sturm und den niederprasselnden Regen auf der Haut, die sich wie dünnes Papyrus über die Knochen spannte, fühlte, war es ein tiefer Atemzug, den es nahm, aber ein noch viel längerer Schrei, der ihm entfuhr.
Es rollte sich entkräftet auf den Rücken, atmete gierig die Luft und spürte, wie das Leben langsam zu ihm zurückkehrte. Als es die Augen aufschlug, loderte darin Hass.

Dann steuerte sie damit auf den Erker zu, der mit einigen Polstern ein gemütliches Plätzchen bot, das sie jedoch nur selten nutzte. Dort angelangt, konnte sie ein Schluchzen nicht länger unterdrücken. Warum ging in letzter Zeit wirklich alles schief? Die Rollenangebote blieben aus, und das, obwohl sie in sämtlichen Klatschblättern als die aufstrebende Schauspielerin, die in die Fußstapfen ihrer erfolgreichen Mutter treten würde, angesehen wurde. Nichts würde sie! Ihre Filme kamen gut an, aber keiner davon war ein riesiger Erfolg gewesen; sie hielt sich mit gelegentlichen Modeljobs über Wasser, und nun hatte ihr Manager gerade mal einen Vertrag für eine Medikamentenwerbung für sie rausboxen können. Das war nicht, was sie angestrebt hatte.
Sie zog ihre Beine an, nippte an dem bitteren Kräutertee, als ein kalter Schauder über ihren Rücken kroch, den sie sich nicht ganz erklären konnte. Das Feuer im Kamin verbreitete mittlerweile seine wohlige Wärme.
Ihr Blick wanderte zum Festnetztelefon, das auf einem Tischchen neben dem Erker stand. Nein, das war eine dumme Idee. Sie nippte noch einmal, verzog angewidert das Gesicht und schob die Tasse von sich; in derselben Bewegung griff sie nach dem Telefon und zog es zu sich. Den klobigen Hörer zwischen Ohr und Schulter geklemmt, starrte sie die Wahlscheibe an und lauschte unsinnigerweise dem Leerzeichen, bis sie sich wieder besann und der Hörer unsanft auf der Gabel landete. Sie rieb sich das müde Gesicht mit beiden Händen, ehe sie einen Blick auf die alte Standuhr warf. Kurz vor Mitternacht.
Ich brauche das, dachte sie, es würde mir gut tun, mal wieder aus der Großstadt raus zu kommen.
Ihre innere Stimme siegte und schließlich griff sie nochmals zu dem Hörer. Dennoch wählte sie die Nummer nur langsam, weil sie von ihrer Idee noch immer nicht sonderlich begeistert war. Es läutete ein paar Mal, ehe abgenommen wurde.

„Hi, Dad. Ich weiß, es ist spät ... ja, ich freue mich auch sehr, von dir zu hören. Ja, ich weiß, es ist lange her. Mir geht's gut. Hör mal, du sagtest doch, ich könnte jederzeit auf Besuch kommen.
In meinem alten Zimmer? Klasse. Bis bald, Dad."

Dark SalvationWo Geschichten leben. Entdecke jetzt