Another nightmare

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Sarah war so schnell gerannt, wie sie konnte. Sie wäre fast gestolpert, als sie auf die Veranda gestürmt war, und hatte eiligst die Tür hinter sich verschlossen und die Kette davor gelegt. Erst dann sank sie mit dem Rücken daran zu Boden, atmete schnell und flach und spürte ihre brennenden Lungen; erst jetzt bemerkte sie, dass sie ihren Walkman bei ihrer Flucht verloren haben musste. Das war doch vollkommen paranoid, was sie da gerade getan hatte!

Lag vielleicht daran, dass sie, seit sie in einer Großstadt lebte, enorm vorsichtig geworden war. Es war ihr nicht nur einmal passiert, dass sie von fremden Männern auf offener Straße belästigt worden war. Sie schluckte und ihre Augen tränten von der Anstrengung; bevor sie in ihr Zimmer ging, checkte sie noch die Hintertür und lief nach oben. Ein Blick auf ihre Armbanduhr verriet ihr, dass es gerade mal sechs Uhr abends war. Was sollte sie jetzt noch tun? Vor die Tür würde sie heute sicher nicht mehr gehen.

„Okay, Sarah - was hat dir dein Arzt gesagt, wann du deine Tabletten nehmen sollst?", fragte sie sich leise und gab sich sogleich selbst die Antwort: „Immer, wenn der Druck zu groß wird." Niemand musste von ihren Ängsten, die sie seit Jahren begleiteten, wissen - nicht einmal ihr Vater. Sie kramte in ihrer Tasche, zog schließlich zwei orangene Döschen hervor, das sie gut versteckt hatte. Ihre Hand zitterte, als sie jeweils eine Pille rausschüttelte und gleich in ihrem Mund verschwinden ließ und anschließend mit Wasser aus dem Hahn runter spülte.

Eine für einen angenehmen, schweren Schlaf, die andere, um ihre Ängste und depressiven Phasen endlich in den Griff zu bekommen. Ihr Spiegelbild blickte müde und abgemagert zurück. Ganz unrecht hatte Mary wohl nicht ... Sie schlüpfte in ein altes, viel zu großes Shirt und linste noch einmal aus dem Fenster, um sich zu vergewissern, dass ihr niemand gefolgt war, und kuschelte sich dann in ihr Bett. Diesmal lag kein Buch auf ihrem Kissen, sodass sie erleichtert seufzte. Ihre Fantasie und Paranoia waren wieder mit ihr durchgegangen, hatten ihr wie schon so oft, einen Streich gespielt. Kein Grund zur Sorge also. Sie schloss die Augen und wartete darauf, dass die Wirkung einsetzte.

Sarah hustete, fasste sich an den Hals, der unglaublich kratzte. Ihr Mund war trocken und sie fühlte einen leichten Schwindel. Die unangenehmen Nebenwirkungen ihrer Medikamente, doch sie konnte sich nicht daran erinnern, wann sie eingeschlafen war; jedenfalls erfüllten sie ihren Zweck und verschafften ihr erholsamen Schlaf, also nahm sie diese Wirkungen gerne in Kauf. Sie konnte sich nicht gleich orientieren und saß erstmal ein paar Minuten aufrecht im Bett, ehe sie vollkommen schlaftrunken in das Bad wankte und mit einem kleinen Glas Wasser zurückkehrte, das sie bereits einmal geleert hatte.

Sie bemerkte erst jetzt, wie der Regen laut gegen das Fenster prasselte. Sie nahm noch einen Schluck, bevor sie das Glas abstellte und sich fröstelnd in die Decke wickelte; es war kalt hier drin. Verdammt kalt. Zu kalt für diese Jahreszeit, wie Sarah zitternd fand.

An Schlaf war im Augenblick nicht zu denken. Sie knipste das Lichtchen an ... und entdeckte das kleine, rote Buch auf dem Tisch, das sie eigentlich entsorgen hatte wollen. Nachdenklich verzog sie den Mund, klopfte ungeduldig auf ihre Knie. Inwiefern konnte ihr dieses kleine Buch denn schaden? Was damals geschehen war, war rein auf ihre kindliche Fantasie und ihre damaligen Probleme zurückzuführen. Schließlich war es für lange Zeit Sarahs Lieblingswerk gewesen ...

Sie schlug es auf und ließ die alten, vergilbten Seiten zwischen ihren Fingern fliegen; es enthielt Zeichnungen merkwürdiger Wesen, und sie erkannte ihre eigenen Kritzeleien darin. Lächelnd schüttelte sie den Kopf. Wie fantasievoll und naiv sie doch gewesen war.

Dann entdeckte sie eine leere Seite und ihre eigene, hastige Handschrift wieder, und ihr Lächeln schwand. Sie hatte sich ihre eigene Geschichte gesponnen, um der Realität zu entfliehen und einmal mehr damit bewiesen, wie sehr sie ihre Stiefmutter und das Baby gehasst hatte, die ihr ihren Vater genommen hatten.

Dark SalvationWo Geschichten leben. Entdecke jetzt