I am fear

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Der König der Kobolde saß, wie schon so oft zuvor, in dem Fenster seines Gemachs, und beobachtete die dunkle Nacht. Es herrschte eine Stille, die für den Untergrund unter früheren Umständen ungewöhnlich gewesen wäre, doch nun war alles anders. Die meisten seiner Dienerschaft und weiteren Untertanen hatten das Schloss und die Koboldstadt fluchtartig verlassen, nachdem die Häuser in sich zusammenbrachen und ein Feuer ausbrach, das beinahe alles verschlungen hatte. Viele waren gestorben, nachdem der fruchtbare Boden verdarb und nichts mehr hervor brachte; als er geschwächt und nicht mehr als Haut und Knochen in die Ruinen seines Schlosses zurückgekehrt war, hatte er einige Skelette sowie Friedhöfe entdeckt.

Es hatte tagelang Asche geregnet, und der tiefschwarze Ruß bedeckte auch jetzt noch einen großen Teil des Reichs; die wasserspendenden Brunnen und Teiche waren fast ausgetrocknet.
Einige wenige waren jedoch geblieben, und sie waren es gewesen, die ihren König entdeckten, obgleich sie ihn nicht sofort wiedererkannten. Sie haten stets gehofft, dass ihr Herrscher nicht tot war, dass er sich irgendwo verborgen hielt; über die vergangenen Jahre hinweg war Vieles zugrunde gegangen, doch das Labyrinth war noch nicht vollkommen zerstört. Das musste ein Zeichen sein, dass er noch lebte.

Der König mochte kein angenehmer Zeitgenosse sein mit seinen schnell wechselnden Launen, doch wenn man sich gut anstellte, belohnte er einen mit einem prallen Säckchen Münzen, von denen ein guter Schnaps bezahlt werden konnte. Unter seiner Herrschaft litt niemand Hunger und Durst; seine Magie pulsierte wie Blut durch den Körper und hielt damit den Untergrund am Leben. Wie sollte das Labyrinth auch ohne sein Herz - seinen König - weiter existieren? Sie hatten ihn in den verbleibenden Trakt gehievt, wo er sich allmählich von den Strapazen erholte und seine Macht schleichend zurückkehrte; all das hatte er dem Mädchen zu verdanken, das den Jäger zum Gejagten gemacht und ihn beinahe vernichtet hätte.

Der Kristall balancierte lautlos zwischen Handrücken und -fläche, spiegelte das helle Licht des Mondes wieder, ehe er die schimmernde Kugel ruhen ließ und betrachete. Dünne, nebelige Schwaden durchzogen den Kristall. Dann erblickte der König, wonach er gesucht hatte: eine junge Frau, die zusammengekauert auf sandigem Boden schlief.

Strähnen ihres langen, dunklen Haares bedeckten zum Teil das müde Gesicht, das sich ihm bot, und einen Augenblick lang war er irritiert, bis er begriff, dass Menschen alterten, ein Problem, das er so nicht kannte. Ihre Schönheit war jedoch noch dieselbe, und doch anders. Er schloss die Augen und genoss die kühle Brise, die ihm durch sein wildes Haar strich; Sarah. Sie war so herrlich naiv gewesen, als sie ihn gerufen hatte und völlig entsetzt war, als er ihr erschien.

Ein Lächeln schlich sich auf seine schmalen Lippen, als er an die Angst in ihren Augen, aber auch die Ehrfurcht, mit der sie ihm begegnete, denken musste. Mit zur Seite geneigtem Kopf hatte er sie mit einem mehr als geduldigen Lächeln bedacht und um seine Wirkung auf sie gewusst; dennoch hatte ihre Sturheit ihn überrascht, und so war es geschehen, dass er sich auf ein Spielchen einließ, von dem er niemals auch nur gedacht hätte, dass sie als Siegerin hervor gehen könnte. Sich ihm entriss, als sie tanzten, obwohl dieser Augenblick nur ihnen beiden gehören sollte; sein wertvollstes Geschenk, das er zu geben hatte, verschmähte.

Dabei zusah, wie sein Körper schwand und in die Tiefe stürzte, während die Mauern des Schlosses brachen und der gesamte Untergrund unheilvoll erbebte, und er letztendlich in einen todesähnlichen Schlaf verfiel, von dem er nicht erwartet hatte, je wieder zu erwachen. Er wusste nicht, wie viel Zeit seither vergangen war, aber er spürte, dass Sarah sich verändert hatte - noch konnte und wollte er ihr nicht gegenüber treten. Er knurrte leise. Seine Zeit würde kommen.

Es knackte leise, als die Finger den Kristall fester umschlossen. Ein tiefer Riss durchzog ihn und damit Sarahs Anblick. Sein Groll schwand mit einem Mal, und der König betrachtete den gebrochenen Kristall interessiert vor seinen Augen, die sich plötzlich schwarz färbten. „You cowered before me, I was frightening."Er lächelte, als er einen zarten Kuss auf den schimmernden Kristall hauchte. „Süße Träume", flüsterte der Koboldkönig und beobachtete ruhig, wie die Seifenblase davon glitt.


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