Soweit das Auge reichte, war der Raum mit schwarzem Marmor ausgekleidet; die dicken Säulen inmitten desselben schossen scheinbar endlos dem Himmel entgegen.
Kerzen, deren weißes Wachs den Boden benetzte, spendeten ein schwaches Licht in der weiten Dunkelheit. Aus einem kleinen Kessel drangen wirbelnde Wölkchen und verbreiteten den schweren Duft von Myrrhe und anderen Aromen. In der Mitte des Raums, zwischen den Säulen, befand sich ein sechseckiges Becken, dessen Wasseroberfläche ebenso schwarz schimmerte.
Kleine Kreise darauf deuteten auf eine Bewegung hin, und im nächsten Augenblick brach die ruhige Oberfläche; ein Schopf blonden Haars, das nass an der bleichen Haut klebte, erschien. Der nackte ausgezehrte Oberkörper, übersät von Narben, streckte sich in den kühlen Luftzug. Jeder Atemzug brannte, jede Bewegung löste Schmerz aus. Der Mann fuhr sich mit den Händen durch das Haar, ehe er die Augen öffnete und für einen kurzen Augenblick seine Spiegelung betrachtete; eine hagere Fratze mit eingesunkenen Augen starrte auf ihn zurück. Sein einstiger Glanz und seine Schönheit waren fort; er riss sich von diesem grauenhaften Anblick los und glitt an den Rand des Beckens. Das Wasser rauschte dabei leise.Er griff nach dem bauchigen Glas, das zuvor noch nicht da gestanden hatte, und schwenkte die dunkle Flüssigkeit darin, ehe er sie in einem Zug leerte und das Glas fauchend fortschleuderte; kaum, dass es irgendwo in der Dunkelheit splitternd zu liegen gekommen war, knarrte eine Tür und tappelnde Schritte waren zu hören. Der Mann ruhte indessen, die Arme am Rand des Beckens ausgebreitet und den Kopf in den Nacken gelegt. Er konnte ihre Nähe spüren. Bald, schon sehr bald, war es soweit ...
Eine verhutzelte, kleine Kreatur mit rotem, krausem Haar erschien. „Ist alles in Ordnung, Eure Majestät? Wünscht Ihr etwas, mein König?", quiekte es, sodass der Blonde genervt mit den Augen rollte, ehe er plötzlich herumwirbelte und mit seinen langen Fingernägeln nach dem armen Wesen griff; dieses stieß einen schrillen, erschrockenen Schrei aus und schaffte es nicht mehr, zurückzuweichen. Die langen Finger hatten sich bereits fest in den schmutzigen Stoff gekrallt, zogen es nun ganz dicht an das Gesicht des unheimlichen Mannes. Etwas stimmte mit seinen Augen nicht, und sie waren es auch, die den kleinen Goblin in eine Schreckensstarre verfallen ließen; eines war von einem kühlen eisblau, während das andere schwarz war.„Natürlich ist alles in Ordnung", fauchte der König seinen Untertanen an, „wie sollte es das auch nicht sein? Ich wurde doch nur beinahe von einer Sterblichen vernichtet, hab's nur knapp in den Untergrund zurück geschafft, wo ich, dem Tod nahe, irgendwo dahinsiechte, bis ich meinte, tatsächlich tot zu sein. Nur um dann, oh welch' Wunder, nach einer Ewigkeit aus einem dreckigen Erdloch gekrochen kam. Also wie in aller Welt kannst du denken, dass etwas nicht in Ordnung wäre?!" Er ließ von dem kleinen Kobold ab, auf dessen Stirn sich Schweißperlen gebildet hatten. Es war besser, zu schweigen.
Der König der Kobolde seufzte, ließ sich in das Wasser zurücksinken und genoss seine heilende Wirkung; der tiefe Schlaf, aus dem er gerade erst erwacht war, steckte ihm noch in den Knochen, war aber der einzige Weg gewesen, der endgültigen Vernichtung zu entgehen. Er spürte, wie seine Kräfte allmählich zu ihm zurückkehrten, und sein Körper sich von den Strapazen erholte. Als er erwachte, war er völlig orientierungslos gewesen. Da war nichts als Dunkelheit um ihn herum gewesen, nasse Erde, die seine zerfetzten Reste der Kleidung durchweicht hatte und einfach überall war; anfangs hatte er sich gar nicht bewegen können, und er hatte nur ausharren können, während das Regenwasser zu ihm hindurch sickerte.Er wartete, und lauschte den Würmern und anderen Insekten, wie sie sich ihre Wege bahnten und ihn wohl auffressen mochten, während er in Erinnerungen versank, um nicht verrückt zu werden, und damit ein Gefühl schürte, das er so noch nicht empfunden hatte. Es loderte und leckte an seinen Organen, breitete sich wie ein unkontrollierbares Feuer aus, doch sein Körper gehorchte ihm nicht. Obwohl er in der Finsternis seines Grabes nichts sehen konnte, war da das Gesicht eines jungen und schönen Mädchens, eines, mit dem er seine Spiele gespielt hatte und das er insgeheim geliebt hatte. Sie war herrlich naiv und kindlich gewesen – anfangs.
Doch sie hatte sich weiter entwickelt, und bewiesen, dass sie zu weit mehr fähig war als erwartet.
Sarah, hatten seine trockenen Lippen immer wieder geformt, doch keinen Laut hervor gebracht. Sarah. Sarah. Er hatte ihr gezeigt, wie schön und anders sie war, mit ihr getanzt und die Romantik des Augenblicks für sich arbeiten lassen. Beinahe hätte er sie geküsst und sie damit in seinen Bann gezogen, doch sie hatte einfach alles zunichte gemacht. Beharrte darauf, ihren kleinen Bruder retten zu müssen. Er hätte all ihre Träume erfüllt.
Stattdessen hatte sie ihn, als er ihre bedingungslose Treue forderte, aber noch vielmehr um ihre Liebe anflehte, von sich gestoßen; mit einem Ausdruck im Gesicht, als wäre er das Widerwärtigste, das ihr je untergekommen war.Danach hatte sie zugesehen, wie er in die Tiefe stürzte und hatte förmlich mit ihren Freunden auf seinem Grab getanzt, während das Labyrinth langsam in sich zusammenstürzte und nach und nach das gesamte Reich ins Verderben stürzte. Was hatten diese dummen Kobolde und anderen Kreaturen denn erwartet? Er hielt das Reich am Leben, ohne ihn würde es aufhören zu existieren.
Die Erde brach entzwei, und mit einem wutentbrannten Schrei hatten sich seine Lungen das erste Mal seit so vielen Jahren entfalten. Dafür sollte sie büßen, doch er war noch zu schwach, um sie heimzusuchen; wie es sich herausstellen sollte, genügte es, ihr kleine Botschaften zu hinterlassen. Sie würde zu ihm kommen. Der Hass, der in ihm brannte, war seine mächtigste Energiequelle geworden, doch er benötigte seine Magie für ... wichtigere Dinge. Das Labyrinth würde bald in neuem Glanz erstrahlen, und es unmöglich machen, es zu passieren, ohne dabei den Verstand einzubüßen – oder das Leben darin zu verlieren, Dank seiner neuen Armee.Das Schloss war zu einer schwarzen Ruine geworden, und nur noch ein Trakt davon war bewohnbar, auch wenn Teile des Daches fehlten und gelegentlich Steinsbrocken ein paar der Kobolde unter sich begruben. Sie waren robust und überstanden das – und wenn nicht, es war ihm gleich. Er sinnte nur nach Genugtuung, wenn er der Sterblichen denselben Schmerz zufügen konnte, wie sie es getan hatte.
Der Goblin hatte die Abwesenheit seines Herrn bemerkt. Er trat möglichst leise seinen Rückzug in Richtung der Tür an. „Darf ich fragen, wohin du willst?"Der kleine Kobold blieb wie angewurzelt stehen, ehe er sich ängstlich umwandte. Sein Herr stand in der Mitte des Beckens, bildete mit seiner weißen Haut einen Kontrast zur sonstigen Finsternis.
„Ich – ich wollte ja gar nicht weg, mein Herr", murmelte der Goblin und hoffte, dass der König ihm Glauben schenkte. Ein Grinsen breitete sich auf dem Gesicht seines Herrn aus, sodass auch der Kobold nervös lächelte. „Wie gut, dass du das nicht vor hattest. Ich habe nämlich ein Geschenk für dich. Sieh nach unten." Das kleine Herz des rothaarigen Kobolds raste; ein Geschenk, von seinem König, an ihn ...? Er tat, wie sein Herr ihm geheißen hatte.
Ein dunkles Bündel lag vor ihm. Zögerlich bückte er sich danach, nicht ohne vorher noch einmal zu seinem König zu schauen, der ihn mit funkelnden Augen beobachtete und ihn gewähren ließ.Mit zitternden Händen entfaltete er es: das lederne Gesicht eines Raben starrte auf ihn zurück, funkelnde Steine anstelle der Augen. „Eine Maske, mein Herr?", flüsterte der Kobold verunsichert. „Vielen Dank, sie ... ist hübsch."
„Setz sie auf." Der König klang fordernd. Sein Untertan wendete und drehte sein Geschenk unschlüssig. „Ich-"
„Ich sagte: setz sie auf." Der Goblin begann vor Aufregung und Angst zu quieken, als seine kleinen Hände die Maske wie von Geisterhand zu seinem Gesicht führten; er blickte flehend zu seinem König; dessen Arm war in die Richtung des Kobolds gestreckt, während sich seine Finger krümmten und ihn gebannt, mit leiser Vorfreude, beobachtete.Als die Maske sein knolliges Gesicht berührte, begann, worauf der König gewartet hatte: der Kobold veränderte sich rasant; die Gliedmaßen wuchsen unnatürlich lang, der Körper krampfte und zuckte, während der Goblin vor Schmerzen gellend schrie und hilflos an der Maske zog und zerrte. „Du weißt, was du zu tun hast."
Der König lächelte zufrieden, bevor er erneut langsam in dem schwarzen Wasser verschwand.
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Dark Salvation
FantasyViele Jahre waren vergangen, seither Sarah jene Worte gesprochen und damit ihren kleinen Bruder verwunschen hatte; sie überwand jede Gefahr, um ihn aus den Fängen des verführerischen Koboldkönigs, der sich in das Mädchen verliebt hatte, zu befreien...