Er streckte erneut seine Hand nach ihrem Bein aus, und wich ihrem Blick dabei nicht aus. Ihm war deutlich anzusehen, wie sehr er diesen Augenblick genoss. Sarah war nicht in der Lage sich zu bewegen, und die Stimme zu erheben war unglaublich kraftraubend und nahm Zeit in Anspruch; sie musste ihn völlig ausdruckslos gewähren lassen, obwohl sie innerlich schrie und tobte. „Wenn ... mich ... tu ... es", krächzte sie kaum hörbar, und Tränen schossen über ihre Wangen.
Der König hielt inne, abgelenkt von den kleinen, schimmernden Perlen, die sich ihren Weg nach unten bahnten. Seine Hand näherte sich nun Sarahs Gesicht, sodass sie die Augen schloss. Mit einer für sie unerwartet zarten Bewegung fing er eine Träne auf seinem Zeigefinger, um sie zu betrachten, bevor er sich wieder Sarah Blick widmete. Dabei strich er ihr betont langsam eine lange Haarsträhne, die in ihr Gesicht gefallen war, hinter das Ohr. „Nein", antwortete er schließlich ruhig und lächelte, „wenn ich dich töten wollte, hätte ich es längst tun können. Mein Sinn strebt nach etwas anderem, Sarah."
Mit den Fingern zeichnete der König Sarahs geöffnete Lippen nach, sich bewusst, wie sehr die junge Frau tief im Innersten rebellieren musste. „Nein ... ich möchte, dass du dieselbe Finsternis spürst, in die du mich geschickt hast; du sollst spüren, wie sie dich umschlingt und allmählich deinen Verstand raubt. Ich möchte, dass du dieselben Qualen durchlebst, denselben Schmerz und Einsamkeit –" Das Leder des Handschuhs knirschte, als er eine Faust vor ihren Augen ballte, „das Gefühl, nur noch ein Schatten seiner selbst zu sein und den Tod herbei zu sehen, und doch zu wissen, dass er nicht kommen wird. Nichts als Erinnerungen zu haben, die dich am Leben halten, während du in einem nassen, kalten Loch dahinsiechst."
Zum ersten Mal bemerkte Sarah, dass die Schwärze langsam seine Augen veränderte; etwas schien von ihm in jenem Augenblick Besitz zu ergreifen. „Dich zu töten - vielleicht erfülle ich dir diesen Gefallen, wenn ich die Genugtuung hatte, dich leiden zu sehen ... und du wirst freien Willens leiden, meine Schöne."
Er lachte. Es war ein tiefes, melodisches Lachen. „Ich vergaß, dass du dich gerade nicht in der Lage fühlst, etwas zu entgegnen oder auf andere Weise Widerstand zu leisten. Das ist übrigens mein erstes Geschenk an dich: völlig hilflos zu sein, während sich eine Gefahr nähert. Was ich damit meine, dass du freiwillig leiden wirst? Nun, ich habe zwei deiner Freunde, die ... sagen wir, meine Gäste sind. Zumindest solange, bis ich ihrer überdrüssig werde, und sie – hm, kopfüber in das Moor des ewigen Gestanks hängen lasse? Oder, wenn ich es mir recht überlege, benötigt mein neuer Garten der Statuen dringend neue Gesellschaft. Da du ja so furchtbar loyal bist, gehe ich davon aus, dass du alles daransetzen wirst, sie zu retten, und weißt du was?"
Er pausierte, tippte sich mit dem Finger gespielt nachdenklich gegen sein Kinn, doch seine Augen funkelten anmaßend und gefährlich. „Da ich stets ein großzügiger König war, werde ich es auch jetzt sein, selbst wenn du anderes behauptest." Der Koboldkönig nahm ihr Kinn zwischen seine Finger. „Sieh mich an. Du bist hier, weil du die Worte gesprochen hast, weil ich es wollte. Gesagt ist gesagt, Sarah. Für die Rettung deiner Freunde gewähre ich dir erneut dreizehn Stunden, um mein Labyrinth zu überwinden; vorausgesetzt, du hast deinen Verstand noch nicht verloren und überlebst, so sind sie frei und haben nichts zu befürchten. Aber du, du sollst dafür bezahlen, was du getan hast."
Als er geendet hatte, betrachtete er Sarah für eine Weile schweigend, ehe er seinen Blick senkte und fast schon schwermütig wirkte. Dann hielt er die offene Handfläche vor seinen Mund, spitzte die Lippen und blies hörbar Luft darauf, bevor er eine Faust ballte und Sarah über diese hinweg ansah. Die Schwärze war gewichen, und sie blickte wieder in die außergewöhnlichen Augen, in denen sie sich auch während jenes schicksalshaften Tanzes verloren hatte. Damals, so meinte sie sich zu erinnern, waren darin Schalk und Boshaftigkeit zu lesen gewesen, bis sie einander das erste Mal berührten; ihre Hand in seiner, während die andere Hand behutsam auf ihrer Hüfte ruhte, und er sie sicher über das Parkett führte, und alles andere unwichtig erschien.
Zum ersten Mal hatte er nicht völlig unnahbar gewirkt, und in seinen Augen war etwas Sanftes gelegen, so als wären sie eng vertraut. Plötzlich begann Sarahs unbändiger Hass zu bröckeln, und es waren nicht mehr nur Tränen der Wut, die entflohen. Sie war so sehr in Gedanken versunken gewesen, dass erst die aufsteigende Hitze in ihrem Bein sie zurückholte; erschrocken erkannte Sarah, dass die Hand des Königs nun tatsächlich auf ihrem Bein ruhte, und dass das Pulsieren von ihr ausgehen musste. Die Schmerzen schwanden allmählich, und als der Koboldkönig sich völlig abrupt zurückzog, blieb noch ein kurzes, wärmendes Gefühl zurück.
Sarah suchte die Wunde, aus der zuvor noch unaufhörlich Blut gesickert war, doch sie war nicht mehr zu erkennen; lediglich ihre Jeans war noch durchtränkt und gerissen, und wie sie schnell bemerkte, konnte sie ihren Körper wieder kontrollieren.
„Aber-", begann Sarah, doch der Koboldkönig hatte ihr den Rücken zugewandt; eine leichte Brise fuhr durch sein wildes Haar. Er neigte den Kopf zur Seite, blickte jedoch nicht zu ihr zurück. „Du wirst deine Kräfte noch brauchen. Dreizehn Stunden – wir sehen uns, Sarah", sprach er leise, bevor seine Erscheinung allmählich verblasste, und schließlich eine verdutzt junge Frau alleine in den Wäldern zurückblieb.
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Dark Salvation
FantasyViele Jahre waren vergangen, seither Sarah jene Worte gesprochen und damit ihren kleinen Bruder verwunschen hatte; sie überwand jede Gefahr, um ihn aus den Fängen des verführerischen Koboldkönigs, der sich in das Mädchen verliebt hatte, zu befreien...