The darkness returns

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Sarah wischte sich mit dem Ärmel den kalten Schweiß von ihrer Stirn. Sie fand sich selbst aufrecht sitzend in dem Bett aus Watte, das der Wurm ihr am Abend zuvor angeboten hatte. Sanfte, orangefarbene Lichtstrahlen bahnten sich ihren Weg bis zu der Öffnung, in der sie untergebracht worden war. Ihr schwindelte und ihr Mund fühlte sich trocken an. Sie betrachtete ihre Hände, untersuchte dann ihre schmalen Arme, doch sie konnte keinerlei Schnitte feststellen. Alles hatte sich so real angefühlt. Mit den Fingerspitzen glitt sie zaghaft über ihren Hals und zuckte zusammen, so als wäre es der Koboldkönig, der seine kalten Lederhandschuhe daran legte – so, wie er es in ihrem Traum getan hatte. Ein furchtbarer Alptraum, für den er vermutlich verantwortlich war.

Sie schwang ihre Beine über den Rand und schlüpfte in ihre Schuhe - es war Zeit, aufzubrechen.
Das laute Schnarchen, das aus einer der anderen Kammern drang, verriet ihr, dass der Wurm noch schlief. Gerne hätte sie ihm noch persönlich für seine Hilfe und Gastfreundschaft gedankt, doch sie konnte nicht länger warten und damit kostbare Zeit verlieren. In ihren Taschen befand sich auch nichts, was sie ihm als Zeichen der Dankbarkeit hätte schenken können; sie tröstete sich mit dem Gedanken, dass sie die Gelegenheit bekommen würde, sobald all das vorüber war. Als sie einen Blick hinaus in das Labyrinth warf, wurde sie von den freundlichen, warmen Strahlen der Sonne begrüßt, die gerade erst aufging.

Der frühe Vogel fängt den Wurm, schoss ihr dabei eines der gern gesagten Sprichwörter ihrer Stiefmutter durch den Kopf, und vertrieb ihn sogleich wieder beschämt, als sie an den blauen Wurm denken musste. Vielleicht war es aber dennoch von Vorteil, bereits in den frühen Morgenstunden aufzubrechen. Sie hoffte darauf, niemandem zu begegnen, und erschauderte bei dem Gedanken, dass sie nachts vielleicht einer dieser seltsamen Kreaturen, die sie bereits heim gesucht hatte, begegnen hätte können. Sie kletterte an den dünnen Ästchen und Ranken hinab, die an den dunklen Mauern empor wuchsen, und machte sich währenddessen bereits Gedanken darüber, wie sie wohl in ihrer geschrumpften Form das Labyrinth am besten bezwingen konnte. Diese Sorge wurde ihr genommen, sobald ihr Fuß den Boden darunter berührte und sie im Bruchteil einer Sekunde in die Höhe schnellte und ihr plötzlich bewusst wurde, dass sie diese Welt aus einem völlig anderen Blickwinkel kennen gelernt hatte; im Augenblick fühlte sie sich – obwohl sie wieder ihre gewöhnliche Größe angenommen hatte – wie eine Riesin, und die Mauern wirkten auf einmal nicht mehr ganz so hoch, wie sie es zu Beginn getan hatten. Sie strich sich eine der dunklen Strähnen hinter das Ohr.
Welchen Weg sollte sie nun also wählen?

Die drei Kristallkugeln, verführerisch schimmernd, kreisten rhytmisch durch schnelle Bewegungen auf der Handfläche. Der König saß in dem Fenster, starrte nachdenklich in die Morgenröte der aufgehenden Sonne. Ein Bein stütze sich am Rahmen, während das andere locker in luftiger Höhe baumelte. Sie war also immer noch hier.
Durch das Labyrinth irrend, das für sie ohnehin nicht zu bezwingen war. Früher oder später würde sie in eine der zahlreichen Fallen geraten oder zuvor von seinen neuen Kreaturen entdeckt werden – und deren Blutdurst war nur allzu groß.

Für einen kurzen Augenblick zogen sich die dunklen Augenbrauen verärgert zusammen. Tatsächlich hatte er damit gerechnet, dass sie ihn rufen und bitten – nein, anflehen würde, sie gehen zu lassen und all das hinter sich zu lassen, was bisher jedoch nicht geschehen war. Nun, vielleicht würde er sie gehen lassen, wenn er sie wahrlich leiden sah, obwohl er sie nur mit einer einzigen Absicht in den Untergrund hatte holen lassen: sie büßen zu lassen, und ihr ein allerletztes Geschenk zu überreichen, was, wie er wusste, wohl auch die Erlösung sein würde für ihr Leben, das sie so sehr hasste – der Tod, ein gerechter Preis für das, was sie getan hatte.
Ein Lächeln schlich sich auf die schmalen Lippen. Dennoch war sie noch hier, und hatte sich, wie er in den Kristallen sehen konnte, für einen der Wege entschieden. Zielstrebig und festen Schrittes lief sie immer weiter und weiter, obwohl sie keinerlei Gewissheit hatte, dass dies die richtige Entscheidung gewesen war.

Die Erschöpfung war ihr anzusehen, dennoch dachte sie nicht daran, aufzugeben. Das war närrisch ... doch auch ihr letztes Vorhaben war das gewesen, und doch hatte sie über ihn gesiegt. Ihr Kampfgeist war ungebrochen, trotz all der Probleme und Erfahrungen, die sie im Laufe der Jahre hatte sammeln müssen.
Eigentlich hätte er wütend sein müssen, dass die Sterbliche immer noch die Frechheit besaß, sich mit ihm messen zu wollen, aber er war es nicht ...
„Sie kannte auch keine Gnade, und es war ihr egal, was mit dem Untergrund geschah. Diese Sterbliche war nur daran interessiert, das Baby zu holen. Es hat sie nicht interessiert, was mit dir geschieht, und dasselbe solltest du nun tun."

Die Kristalle lagen mit einem Mal still, und der König schloss kurz seine Augen. Die schweren, samtenen Vorhänge waren stets zugezogen, nur das Fenster, in dem Jareth immer noch reglos saß, ließ ein wenig warmes, rotes Sonnenlicht herein.
Diese Stimme war kaum mehr als ein Flüstern, doch der Koboldkönig konnte die tiefe Verachtung darin mehr als deutlich hören. Er wandte sich langsam um und sah, dass sich eine Gestalt vom Rand seines Bettes mit den massiven Holzpfeilern löste; jener kurze Blick genügte, um Bescheid zu wissen. Desinteressiert wandte er sich wieder der Aussicht seines zerstörten Reichs zu. Er spürte die Hand, die sich auf seine Schulter legte, und sah aus den Augenwinkeln die krallenartigen, trüben Fingernägel.
„Sie hat sich niemals für jemand anderen interessiert."

Sie durchstießen das dünne Leinen des Hemdes, und fast zärtlich kratzten sie über seine bleiche Haut, unter der sich deutlich dunkle Venen abzeichneten. „Dein Körper ist noch gezeichnet, noch so ..." Völlig unerwartet durchbohrten die messerscharfen Spitzen die Haut und gruben sich tief in das Fleisch darunter; die Kristalle glitten aus ihrem sicheren Halt und stürzten in die Tiefe, ohne dass der König Notiz davon nahm.
Etwas geschah mit ihm; jede Faser seines Körpers, jeder fassbare Gedanke schien sich nur noch um das zu drehen, was er nicht verstand. Bläulich schimmerndes Blut quoll unaufhörlich aus den Wunden, hinterließen die Krallen, die nicht von ihm abließen, nass glänzend.

Er konnte sich nicht von dem Anblick seines eigenen Bluts lösen, spürte ein monotones Pochen, das gegen seine Schläfen hämmerte, und konnte ein Keuchen nicht unterdrücken. Es war völlig abstrus, und dennoch war er – obwohl sein Denkvermögen vernebelt war – fasziniert. „... schwach", stellte die vertraute Stimme fest, und löste endlich, nach einer scheinbaren Unendlichkeit ihren Griff, und entlockte Jareth dabei ein wütendes Fauchen. Blut tropfte mit einem leisen Geräusch auf den Steinboden.

„Das, was du fühlst, ist Schmerz. Ein Gefühl, das nur niedrige Wesen empfinden. Natürlich kanntest du es bisher nicht, doch nun weißt du, wie verletzlich du noch bist. Lass dich endlich auf mich ein, Koboldkönig; lass dich auf mich ein."
Jareth hatte seine Hand auf die pulsierende Stelle gepresst, doch dieses Gefühl wollte nicht schwinden, und das weiterhin hervor tretende Blut hatte das helle Hemd mittlerweile getränkt. Seine Gedanken waren immer noch ungeordnet und seine sonst so scharfe Sicht verschwamm, sodass er erschöpft den Kopf gegen den steinernen Fensterrahmen lehnte; sein Atem ging schnell und flach, während sich feine Schweißperlen auf seiner Stirn bildeten. „ Jareth."
Der Koboldkönig schloss seine Augen, fühlte noch einmal seinen eigenen Herzschlag, der anders als sonst war. Er wusste, dass er einen erneuten Sieg des Mädchens nicht überleben würde; seine Kräfte waren viel zu schwach, schwächer, als er angenommen hatte.

Ein kaum merkliches Nicken seinerseits sollte sein Schicksal besiegeln, ehe die Finsternis ihn in seine Arme nahm und alles in ewigwährender Dunkelheit zu versinken drohte ...

Dark SalvationWo Geschichten leben. Entdecke jetzt