Kapitel 13)

613 33 0
                                    


"Lake! Lake! Lake!", feuerten Trace, Diamond, Will und Xav mich an.
"Zed! Zed! Zed!", hielten Sky, Phoenix, Yves und Tarrynn dagegen. Victor stand daneben und beobachtete uns forschend, Uriel war Schitzrichter, Crystal spielte Kommentator, Saul lachte und Karla sah einfach nur stumm zu. Nachdem Sky sich über meine fehlenden Gefühle beschwert hatte, war Will zu meiner Rettung geeilt und hatte vorgeschlagen, Zed und mich aufeinander loszulassen. Wir standen im Garten, hatten unsere Fäuste mit Mullbinden umwickelt und Trace hatte uns Mundschutze ausgeteilt.
Ich duckte mich unter Zeds Kick zu meinem Kopf weg und schlug von unten gegen sein Knie. Leider war er darauf vorbereitet gewesen, zog sein Bein zurück und setzte mit einem schnellen Schlag an meinen Bauch nach. Ich konnte blocken, führte eine Finte nach rechts aus und konterte schnell mit einem Sidekick. Er konnte nicht blocken, aber ich hatte nicht genug Kraft auf den Kick bekommen, sodass es ihn nicht genug ablenkte, um meinen folgenden Schlaghagel durchzulassen.
Er wollte meine Abwehr mit Fronthits zu durchbrechen, doch ich tauchte unter ihnen weg und setzte mit dem Knie nach. Wir lösten uns von einander und gingen beide in unsere Ausgangsposition zurück, Deckung oben, ein Bein vorne, lauernd.
Ich starrte ihn konzentriert an, versuchte, einen Fehler in seiner Abwehr zu entdecken, doch da war nichts. Zed war voll konzentriert, da waren keine Löcher oder etwas Derartiges. Also wandte ich meine Lieblingstaktik an; locken.
Ich schnappte nach Luft, als würde ich keinen Atem mehr haben, wischte mir mit der Hand über die Stirn, um den Schweiß loszuwerden. Zed nutzte diese Schwäche meinerseits, schoss auf mich zu und setzte zu Schlägen an meinen Kopf an, doch ich riss gerade noch meine Hände hoch. Dann führte ich einen Frontkick aus, der ihn mitten in den Bauch traf und setzte mit einem Roundhouse nach.
Zed verzog das Gesicht vor Schmerzen, ich schlug seine geschwächte Deckung zugrunde und hieb ihm präzise gegen die Nasenwurzel. Mein Gegner ging zu Boden. Blut rann aus seiner Nase über seine Lippen, aber er grinste.
"Ja! Gewonnen!", jubelte Diamond, Trace fiel in ihr Geschrei ein und Will lief zu mir rüber, hob mich hoch und warf mich einmal in die Luft. Xavier versuchte vergeblich, mich außer Wills Reichweite zu schubsen, bevor dieser mich wieder auffing und auf dem Boden abstellte, aber dann klopfte er mir anerkennend auf die Schulter.
Ich, von Wills Wurf noch ein bisschen durch den Wind, bückte mich nach unten, reichte Zed meine Hand und zog ihn hoch. Wir klatschten uns ab und tauschten die üblichen Glückwünsche aus, doch die wurden durch Diamonds noch immerwährendes Geschrei verdeckt.
Die gegnerische Front klopfte Zed mitleidig auf die Schulter und sah uns missmutig an, doch das kümmerte meine Fankurve nicht. Victor kam zu mir herüber geschlendert und fragte: "Wo hast du so kämpfen gelernt? Verein?"
Langsam glaubte ich, dass er wirklich nicht lächeln konnte, aber das machte ihn mir- im Gegensatz zu Sky und Phoenix, scheinbar- nicht unsympathisch. "Die Grundlagen habe ich mir mithilfe von YouTube-Tutorials selbst beigebracht, mein Vater hat darauf aufgebaut und dann bin ich in einen Verein gegangen, ja. Aber ich glaube, das Meiste kommt trotzdem noch von Nächten am Boxsack mit laufendem Laptop."
Victor nickte. "Ziemlich beeindruckend. Ich wäre stolz, eine Schwester wie dich zu haben."
Diamond trat kichernd neben mich und sah mich mit leuchtenden Augen an. "Ein größeres Kompliment hat er noch nie jemandem gemacht", steckte sie mir, als er davon ging.
Will sah seinem Bruder genauso schockiert nach wie Di, aber da kam auch schon Saul. "Diesen Tag werde ich nie vergessen. An dem ein Mädchen Zed gezeigt hat, wo der Hammer hängt."
Von Trace und Diamond hatte ich erfahren, dass Zed ziemlich mittelalterliche Meinungen über Frauen vertrat- wie eigentlich alle der Jungs- was mich noch stolzer über meinen Sieg machte. "Hättet ihr eben aufnehmen sollen", erwiderte ich zufrieden.
"Nächstes Mal tun wir das, versprochen", entgegnete Xav, der so stolz auf mich zu sein schien, als hätte er selbst gewonnen. Es war irgendwie süß, wie sehr die sich freuten, obwohl ich doch so unfreundlich gewesen war.
"Ihr plant schon ein nächstes Mal?", fragte Uriel überrascht, der mit Crystal und Karla ankam. Sie hatten gerade die gegnerische Front besucht, jetzt stattete der Schitzrichter und sein neutrales Gefolge mir den Schlussbesuch ab.
"Vielleicht", grinste ich. "Aber nur, wenn Di mitkämpft."
Diamond hob ihre Hände und wich zurück. "Hey, nein! Ich feuere dich gerne an, aber selbst kämpfen ist nicht so meins..."
Trace zog legte seiner Frau einen Arm um die Taille. "Hat da jemand Angst?", neckte er.
"Von Lake blutig geprügelt zu werden? Ja, stell dir vor, davor habe ich Angst!", erwiderte sie schlagfertig. So schlimm sah Zed jetzt nicht aus, ich hatte nicht nachgeschlagen, als er am Boden lag.
"Ich würde antreten", erklärte Will sich grinsend bereit. "Na, Lake, nimmst du die Herrausvorderung an?"
Ich musterte ihn, seine Muskeln, seine Größe. Er war Bodyguard, er war zum Kämpfen ausgebildet. Diesen Kampf würde ich keinesfalls gewinnen. Trotzdem würde ich nicht kneifen. "Und ob!" , erwiderte ich furchtlos.
"Leute, jetzt habt ihr erst mal einen Kampf hinter euch. Lake soll ihren Sieg genießen. Glückwunsch", meldete Crystal sich zu Wort. Entweder, sie hielt nicht viel von Zed, oder sie wollte nur fair sein, aber ihr aufmunterndes Lächeln wirkte ehrlich.
Karla räusperte sich, drängelte sich an Uriel und Crystal vorbei und zog mich in eine kräftige Umarmung. Ihr Enthusiasmus irritierte mich ein wenig, aber ich ließ mir, wie üblich, nichts anmerken. "Gut gemacht, Lake!", beglückwünschte sie mich.
Will, der seine Mutter ziemlich gekonnt missachtete, dachte noch über Crystals Worte nach. "Ja, stimmt, lass sie ihren Sieg genießen, denn den Kampf gegen mich wird sie elendig verlieren."
"Große Worte", spottete ich, obwohl ich ihm zustimmte. "Aber kannst du es auch halten?"
Will streckte mir eine Hand entgegen. "Ich wette, dass ich dich im Kampf besiegen werde."
Mein Stolz verbot es mir, mich rauszureden, und ich war mir ziemlich sicher, dass ich den größten Fehler meines Lebens beging, als ich ihm meine kleinere Hand reichte. "Ich wette, dass du darum betteln wirst, dass ich Gnade walten lasse."
Scheiße, Scheiße, Scheiße. Ich hatte mich gerade in riesige Scheiße geritten, aber jetzt gab es kein Zurück mehr. Victor kam zurück, er hatte die letzten Worte wohl gehört. "Der Fairness halber solltet ihr allerdings auf dem gleichen Stand sein. Ich werde Lake trainieren, wenn sie will."
Will sah aus, als ob er protestieren wollte, aber damit hätte er zugegeben, dass er Angst hatte, ich könne ihn mit Victors Kampferfahrung doch noch besiegen, und das konnte er ebenso wenig wie ich zugeben konnte, dass ich davon ausging, gegen ihn zu verlieren.
"Da sagt man nicht nein", sagte ich. Vielleicht bestand mit ihm die leise Chance, dass ich nicht ganz so elendig versagen würde.
"Okay. Victor hat drei Wochen Zeit, dich soweit zu bringen, dass er dich mit gutem Gewissen gegen Will in den Ring schicken kann", beschloss Uriel.
Na toll. Ich hatte drei Wochen, meinen Sieg über Zed zu feiern, dann würde ich meinen Posten als Siegerin leider abtreten müssen. Doch Victor sah nicht aus, als würde er es bereuen, sich als mein Trainer zu Verfügung gestellt zu haben. Stattdessen wirkte er ziemlich zuversichtlich. Glaubte er denn wirklich, er könnte mich in drei Wochen so weit kriegen, dass ich Will besiegte? War er so gut, oder überschätzte er mein Können dermaßen?
Langsam sank die Sonne in der Ferne, was mich daran erinnerte, dass es Abend wurde. Zed ging ins Haus, um sich den Mund auszuspühlen und das Blut loszuwerden, und auch wir Anderen bewegten uns langsam rein. Diamond hatte beschlossen, meinen bevorstehenden Kampf mit Will zu vergessen, und feierte munter weiter. Xav und Trace schlossen eine Wette ab, deren Sinn ich nicht ganz verstand, denn beide setzten auf mich. An den Summen war allerdings zu erkennen, dass sie es nicht ernst meinten. Niemand außer Victor rechnete damit, dass ich Will besiegen könnte. Es war auch absurd. Ich hatte Kämpfen gelernt, um mich nicht schutzlos zu fühlen, Will hatte es erlernt, um wirklich Menschen zu beschützen.
Will gesellte sich auf dem Sofa, meinem Stammplatz, zu mir, sah mich aber nicht an, sondern fixierte die Wand, die uns gegenüberlag. "Wenn du irgendetwas darüber sagst, dass ich es sowieso nicht schaffe-", hob ich an, doch er schüttelte den Kopf.
"Das weißt du selbst. Lake, die Anderen mögen es vergessen haben, aber ich erinnere mich noch daran. Wieso hat Sky deine Gefühle plötzlich nicht mehr sehen können?"
"Ich weiß es nicht. Eigentlich müsstest du mir das sagen können, immerhin weißt du schon länger als ich, dass du... Dings bist. Ich wollte nicht, dass sie meine Gefühle kennt, also habe ich sie unterdrückt. Ich habe keine Ahnung, wie Skys Gabe funktioniert."
Will wandte mir endlich sein Gesicht zu und sah mir in die Augen. Seine wirkten jetzt, wo es dunkler wurde, mehr Blau als Grün. Das erinnerte mich an meine Eigenen, die jetzt Braun aussehen würden. "Sky sieht Farben, sie nennt es Aura, die die Gefühle widerspiegeln. Beispielsweise ist Gold die Farbe der Liebe und so weiter. Zwar kann man das Meiste hinter einer Abwehr verstecken, aber gewisse Gefühle kommen fast immer durch. Selbst Victor kann die stärksten Gefühle nicht vor ihr verstecken. Wie hast du sie so gut unterdrückt, dass sie für Sky nicht mehr auffindbar waren?"
Ich dachte zurück. "Schwimmst du gerne?", fragte ich dann.
Will runzelte die Stirn, fragte aber nicht, wieso ich diese Frage stellte, sondern antwortete einfach: "Ja, ziemlich."
Ich nickte. "Dann stell dir vor, deine Gefühle wären Dreck, der auf deinem Körper ist. Du fühlst dich nicht wohl, du willst diesen Dreck loswerden. Du stehst auf einem Startblock und springst mit einem Startsprung ins Wasser. Der Dreck wird von dir abgewaschen. Du bist sauber. Du kommst an die Oberfläche, hast vor dir eine komplett glatte, unberührte Oberfläche und fängst an zu schwimmen. Dir ist egal, ob es anstrengend ist, alles, was zählt, ist, dass du schwimmst. Selbst deine Schnelle oder die Strecke, die du zurücklegst, ist egal. Fühlst du noch was?"
Will hatte die Augen geschlossen und konzentrierte sich scheinbar vollkommen auf die von mir beschriebene Situation. Ich winkte Sky zu, die glücklicherweise sofort kam.
"Siehst du Gefühle bei ihm?", fragte ich ruhig.
Sie sah mich verwirrt an, kam meiner Aufforderung aber nach. Wieder spiegelte ihr Gesicht Entsetzen. "Nein! Was ist heute los?"
Will öffnete die Augen und sah sie ausdruckslos an. "Das liegt nicht an dir, Lake hat nur eine Methode gefunden, Gefühle produktiver zu unterdrücken."
Langsam taute sein emotionsloser Ausdruck wieder auf und Faszination und Überraschung nahmen seinen Platz ein. Victor lehnte an der Wand und beobachtete uns neugierig, jetzt schaltete er dazu: "Die Frau, die heute erfahren hat, was sie ist, weiß, wie sie Gefühle verbergen kann? Erzähl."
Ich wechselte einen kurzen Blick mit Will. "Wenn nur du das wissen willst, ja, aber ich habe keine Lust, es jedem Einzeln zu erzählen, wenn die Anderen es also auch hören wollen, sollen sie jetzt kommen."
Victor hatte allerdings nicht vor, seiner restlichen Familie den gleichen Trumpf zu gönnen wir uns und setzte sich auf den Couchtisch vor uns. Sky neigte den Kopf. "Sicher, dass wir es den Anderen nicht sagen sollten?"
Victor musterte sie aus dem Augenwinkel. "Sag nicht, dir würde es keinen Spaß machen, heimlich unsere Gefühle auszuspionieren. Das könntest du nicht mehr, wenn wir es den Anderen erzählen." Als sie nichts sagte, nickte er zufrieden. "Dachte ich's mir doch. Also, Lake, erzähl."
Ich rieb mir die Schläfen. "Bist du häufig im Außeneinsatz, Victor?", fragte ich dann. Ich hatte nicht das Gefühl, dass es bei im wirken würde, eine Vorstellung vom Schwimmen heraufzubeschwören.
Victor kniff die Augen zusammen. "Regelmäßig", erwiderte er dann.
"Okay. Jetzt stell dir vor, dein Team ist gefangen, und du bist vom Hauptquartier los, um sie ohne das Einverständnis deiner Vorgesetzten zu befreien, weil du den Anderen nicht zutraust, dass sie es richtig machen. Deine einzige Chance ist ein Frontalangriff, alleine gegen zehn. Du weißt, dass du es nicht schaffen wirst, wenn du Angst hast, wenn du dich von Wut leiten lässt. Also schiebst du alles in den Hintergrund, konzentrierst dich nur auf dein Ziel. Das Einzige, was du im Moment willst, ist, dein Team zu befreien. Du darst dir keine Schuldgefühle machen, wenn jemand von den Gegnern draufgeht, weil sie nur ein Hindernis auf deinem Weg zum Sieg sind. Gefühle sind nur ein Trugbild deines Verstandes, der dir vorgaukeln will, dass irgendetwas außer dir selbst wichtig sein könnte. Dir bedeutet auch dein Team nichts, aber du brauchst es, also holst du es raus. Was siehst du, Sky?"
"Nichts", antwortete sie tonlos.
Victor hatte die Augen nicht geschlossen, sondern offengelassen, aber sein Blick war abwesend geworden. Er hatte sich darauf eingelassen, mir genug vertraut, um die Wachsamkeit fallen zu lassen. Jetzt blinzelte er, und ich sah, wie Erstaunen über seine Züge huschte, bevor er sein Gesicht neutralisierte.
"Woher weißt du, was du sagen musst? Will hast du mit etwas Anderem zugetextet", fragte er leise.
Ich zuckte die Schultern. "Eingebung. Aber das Einzige, was zählt, ist, dass es funktioniert hat."
Victor stand auf und nickte. "Ja, es hat funktioniert. Lake, woher weißt du, was ich zu tun habe, wenn ich auf Einzeleinsatz bin?"
"Inwiefern?"
"Dass ich die Dinge rational sehen muss. Woher weißt du, dass ich alles als einziges Hindernis sehen muss? Du lässt dich ja gerne vom Bauchgefühl leiten, mir hast du gerade aber das Gegenteil geraten."
Wenn er wüsste, wovon ich mich leiten ließ. "Ich bin nicht an der Front. Wenn ich gleich zehn Menschen erschießen müsste, würde ich es genauso tun, wie ich es beschrieben habe, aber hier schwebe ich nicht in Lebensgefahr. Hoffe ich zumindest."
Will lachte. "Nein, tust du nicht. Hier bist du sicher. Bis Victor kläglich versagt und du gegen mich verlierst."
Victor ließ sich von Wills Kampfansage nicht beeindrucken. "Glaub mir, Will, du wirst dir noch wünschen, du hättest Lake nie herausgefordert. Lake, ich hole dich morgen von den Pisten ab."
Ohne meine Einwilligung abzuwarten drehte er sich um und wanderte davon.





Relieving Lake (Die Macht Der Seelen- FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt