Als ich am nächsten Morgen aufwachte, war mein Zimmer hell erleuchtet. Die Sonne stand schon hoch am Himmel und schien direkt durch mein Fenster auf mein Bett. Ich räkelte mich, aber dann zuckte ich zurück. Mein ganzer Körper tat weh, meine Schultern fühlten sich verspannt an und meine Unterarme waren mit blauen Flecken bedeckt.
Stöhnend rollte ich mich aus dem Bett, fiel auf den Boden und blieb da erstmal liegen. Der Boden war warm, aber ich wusste, dass ich nicht einfach liegen bleiben konnte. Heute würde es weiter gehen, Victor würde keine Rücksicht auf meinen Muskelkater nehmen, und ich musste bereit sein. Also stand ich mühsam auf, fuhr mir mit der Hand durchs Haar und stolperte in Richtung Kleiderschrank, den ich irgendwann in den letzten Tagen eingeräumt hatte.
Ich zog mir ein schwarzes Top und eine dunkle Jeans heraus, schlüpfte hinein und verschwand dann erst einmal im Bad. Dort klatschte ich mir Wasser ins Gesicht, putzte mir kurz die Zähne und kämmte mir einmal durchs Haar, bevor ich mein Zimmer verließ und in die Küche hinab ging.
Auf der Kücheninsel lag ein Zettel von Diamond, die mir geschrieben hatte, dass sie und Trace arbeiten waren und ich mir einen schönen Tag machen sollte. Na toll. Noch etwas verschlafen öffnete ich den Kühlschrank, scannte die Fächer ab und holte mir letztendlich nur einen Apfel.
Essend ging ich nach draußen weiter, ließ mich auf eine Liege am Pool fallen und genoss die heiße Sonne auf meiner Haut. Wahrscheinlich sollte ich irgendetwas machen. Ich würde sogar zum See runterfahren, aber ich hatte weder ein Fahrzeug noch irgendeine Ahnung, wie ich hinkommen sollte.
Die Apfelkitsche schleuderte ich irgendwo ins Gebüsch. Es war ja Natur. Gerade, als ich meine Position verlagern wollte und schon wieder auf dem besten Weg war einzuschlafen, näherte sich ein Motor. Ich öffnete ein Auge und sah, wie Will von einem Motorrad stieg.
Er sprang über das Tor, schlenderte über die Wiese zu mir und setzte sich auf den Rand meiner Liege. "Na, sind wir heute faul?", fragte er grinsend. Sein Geruch, der mir seit Sonntag nicht aus dem Kopf ging, stieg mir frisch und noch angenehmer in die Nase.
"Na, sind wir heute in der Lass-Uns-Lake-Ärgern Laune?", erwiderte ich, jetzt plötzlich hellwach. Will spielte mit meinem Topsaum, aber ich ließ ihn weitermachen, auch nachdem ich es bemerkt hatte. Er schien es noch nicht einmal zu regestrieren.
"Nein, eigentlich nicht. Ich habe heute auch frei, und wollte mal sehen, was du vor hast."
Ich zuckte die Schultern und verzog daraufhin das Gesicht. "Mich seelisch auf weitere Folter von deinem Bruder vorbereiten."
Er lachte leise. "Wie war's?"
Ich öffnete mein zweites Auge und sah ihn an. "Eine Kämpferin genießt und schweigt."
Seine Hand, die meine Taille streifte, war warm. "Du meinst leidet und schweigt. Vic wollte mir nichts sagen, außer, dass du dich ziemlich gut geschlagen hast. Ich weiß ja nicht, was du mit ihm gemacht hast, aber er muss ziemlich schwer beeindruckt sein, wenn er zugibt, dass eine Frau sich gut geschlagen hat."
"Hab ich schon gehört. Und wenn du dich nur drüber lustig machen willst, dass mir alles wehtut, dann kannst du wieder gehen. Wenn du allerdings etwas Sinnvolles vorhast, wie zum Beispiel mir die Langeweile auszutreiben, bist du Willkommen. Oder du könntest mich einfach schlafen lassen."
In der Sonne wurde ich immer schläfriger, obwohl er jetzt hier war und ich ständig seine Hand auf meiner Haut hatte, weil er es immer noch nicht lassen konnte, mit meinem Top zu spielen. Glücklicherweise hatte ich meine Narben und noch offenen Wunden wieder mit Concealer übermalt, sodass er sie nicht sehen konnte.
"Was hältst du davon, mit mir zum See zu kommen, dich in ein Café zu setzen und über die Kids lustig zu machen, die mitfahren müssen? Das ist eine Schulaktion, die ganze Highschool ist da."
Sofort war ich wieder hellwach. Ein fieses Grinsen breitete sich auf meinen Lippen aus. "Will, die Idee ist genial."
"Weiß ich, sie kommt auch von mir", antwortete er deutlich bescheiden. "Aber zieh dir eine andere Hose an."
Ich legte den Kopf schräg. "Wieso? Was hast du vor?"
Er stand auf, reichte mir seine Hand und diesmal ließ ich mich von ihm hochziehen. "Ich gebe mir dir an. Und außerdem ist es so heiß, dass du dich in langer Hose zu Tode schwitzen wirst."
Er selbst trug auch eine lange Hose, aber ich sprach ihn nicht darauf an. Genervt wanderte ich zum Haus, um mich umzuziehen. Wenn er mich aus dieser Langweile rausholen würde, würde ich meinetwegen auch irgendetwas von den Sachen tragen, die Sky und Phoenix gekauft hatten. Ich gebe mit dir an. Mein Grinsen wurde breiter.
In meinem Zimmer kontrollierte ich noch einmal alle Wunden auf Sichtbarkeit und verrieb den Concealer noch einmal richtig, zog mich schnell um, schnappte mein Handy, Geld und rannte wieder nach unten. Will lehnte an der Kücheninsel und wartete auf mich. Sein Blick glitt über meinen Körper und ein süßes Grinsen machte sich in seinem Gesicht breit.
"Also zwingt die Schule ihre Schüler zum Kanufahren?", fragte ich skeptisch, als wir aus dem Haus traten.
"Ja, sieht so aus. Die haben auch die Pflicht, einmal im Jahr ein großes Fußballspiel mitzumachen. Sky hat sich letztes Jahr einen Ruf erworben, als sie Zeds Elfmeter meisterhaft gehalten hat. Okay, er hat sie gewarnt, aber der Sprung muss ziemlich krass gewesen sein."
Ich sah sein schwarzes BMW-Motorrad an. "Sag nicht, es hat auch einen deiner dämlichen Namen."
Will grinste und gab mir einen weißen Helm. Er hatte also fest damit gerechnet, dass ich mitkommen würde. Idiot. "Sie heißt Rica. Wieso, was hast du gegen meine Namen?"
Mitleidig, dass dieses Fahrzeug einen Namen bekommen hatte, stieg ich hinter ihm auf und schlang meine Arme um ihn. Anders als bei Victor war mein erster Reflex, mich an ihn zu drücken, statt wegzurücken. "Will, kein Mensch gibt einem Auto den Namen Alice. Das macht man einfach nicht!"
Er startete den Motor und fuhr los. "Ich schon. Außerdem passt Alice."
Ich beschloss, nicht zu widersprechen und mich darauf zu konzentrieren, wohin wir fuhren. Die Stille zwischen uns war nicht unangenehm, das einzige, was störte, war, dass ich nicht wusste, wie viel Abstand ich zwischen uns lassen musste. Will hatte beschlossen, mich abzuholen, seinen freien Tag mit mir zu verbringen, aber wusste ich schon, was das bedeuten sollte? Vielleicht brauchte er irgendetwas von mir, vielleicht wollte er mich nur dazu bringen, den Kampf abzublasen.
Wir fuhren durch den Wald, bis wir zu einem See kamen. Am Strand standen massenhaft Leute, in kurzen Sommerkleidern, Shorts oder Schwimmsachen. Will parkte das Motorrad neben dem Auto seines Vaters und warf die Helme in dessen Kofferraum, der scheinbar immer unabgeschlossen war.
Schon jetzt wurden wir von allen Seiten angestarrt. "Will?", fragte ich misstrauisch. "Ist es aus den gleichen Gründen wie bei Victor so unwahrscheinlich, dass du mit einem Mädchen auftauchst?"
Er streckte mir eine Hand entgegen. "Und wenn?"
Ich hob eine Augenbraue und sah bedeutend auf seine Hand. Er verdrehte die Augen und nahm meine einfach. "Nein, ist es nicht. Sie gucken uns an, weil meine Brüder und ich uns hier einen Ruf erobert haben."
Ich ignorierte den wohligen Schauer, der mir über den Rücken lief, als wir mit verschränkten Händen an den Starrenden vorbeiliefen. Was zum Teufel wollte der Junge von mir? "Der da wäre?", fragte ich, ohne meine Argwohn abzulegen. Irgendwo war der Harken, irgendwo gab es einen Grund, weshalb Will mit mir hier war. Und ich wollte diesen Grund verdammt noch mal herausfinden.
"Trace, Vic und Zed haben ständig Stress gemacht, ich sehe ziemlich gut aus und wir sind nunmal zu siebt, über uns wird gesprochen. Kannst du aufhören, so misstrauisch zu sein?"
Seine Stimme klang fast verletzt, sein Gesicht wirkte verschlossen. Verheimlichte er etwas vor mir oder war er wirklich verletzt, weil ich ihm nicht traute?
Wir begegneten Zed uns Sky, die bei anderen Schülern aus dem Abschlussjahrgang standen. Sky sah mich mit einer Mischung aus Abneigung und Neugierde an, aber Zed umarmte mich und klopfte seinem Bruder auf den Rücken.
"Ich hatte mich schon gefragt, ob irgendjemand von euch auftaucht. Wie geht's dir, Lake?"
Ich schnaubte. "Frag Victor."
"So schlimm?", entgegnete Zed, ohne die Schadenfreude zu verbergen. Will hielt sich dicht neben mir und beobachtete forschend unsere Umgebung. Auf was er achtete, wusste ich nicht, aber ich fragte nicht nach. Ich fragte nie nach.
"Das wird schon", sagte ich wenig zuversichtlich. "Und wenn ich Will besiege, wird es sich gelohnt haben."
Will wandte seinen Blick zu mir. "Das wird zwar nicht geschehen, aber ich lasse dich in dem Glauben, um dir den Tag nicht zu verderben. Zed, wir sehen uns dann. Sky."
Doch bevor wir weitergehen konnten, trat ein junge Frau aus der Gruppe auf uns zu. Sie war älter als die Schüler, wahrscheinlich Lehrerin oder Refrendarin, und sah umwerfend aus. Blasse Haut, schwarzes, langes Haar, tiefrote Lippen und braune, vertrauenserweckende Augen. Lange, schlanke Beine, eine schmale Taille und ausladende Rundungen. Ihre Arme waren schlank, nichts von Muskeln oder Wunden war darauf zu entdecken, keine Kampferfahrung aus ihren Bewegungen zu schließen, nur reine Eleganz.
"Will", grüßte sie erfreut. Will lächelte sie an. Meine Brust schnürte sich zusammen. Was hatte ich denn erwartet, dass das hier ein Date war? Natürlich nicht. Ich hatte nur für einen Moment vergessen wollen, wer ich war. Was ich war. Eine Kämpferin, kein Model, keine Schönheit. Ich war nicht schlank, ich war nicht zierlich, ich war nicht hübsch. Diamond war eine gute Freundin, aber in dieser Hinsicht log sie mich an; ich war ganz sicher nicht schön.
"Mira!", erwiderte er. So, wie die Beiden sich ansahen, waren sie vertraut. Ich behielt einen neutralen Gesichtsausdruck bei, aber die Kälte, die sich in mir breit machte, ließ mich schaudern. Ich kannte Will kaum, wieso erhob ich diese dummen Besitzansprüche? Wieso hatte ich mir Hoffnung gemacht, wo ich ihn erst einmal gesehen hatte? Oh, wie ich Hoffnung hasste. Sie kam wieder, gaukelte mir vor, dass ich sie mochte, weil meine Welt davor eine Ruine gewesen war, aber wenn sie wieder zerbrach, war alles nur noch schlimmer, als wenn sie nie wiedergekommen wäre.
"Was machst du hier?", fragte Mira Will neugierig. Ihr Blick streifte mich, kalt und herablassend. Natürlich, für sie war ich nur ein dummes kleines Mädchen. Und für Will war ich Traces und Diamonds Mitbewohnerin. Seit ich hier hingezogen war, war alles nicht besser geworden, ich hatte mich nur selbst angelogen. Früher, in Berlin, hatte ich mir nie Hoffnung gemacht. Typen waren mir egal gewesen, weil ich gewusst hatte, dass sie mich entweder nicht lieben konnten, und selbst wenn ich so einen fände, würde ich ihm nie glauben können, dass er mich liebte. Aber hier war ich albernen Hoffnungen verfallen. Depressive wurden nicht glücklich, das hätte ich mir merken sollen. Wills Hand in meiner fühlte sich plötzlich nicht mehr gut an, aber ich zwang mich, mich nicht zu lösen, weil das zu auffällig gewesen wäre.
"Freier Tag, ich wollte gucken, was hier so los ist", antwortete er.
"Und wer ist das?", fragte Mira weiter. Wenn sie so viel wissen wollte, mussten sie und Will sich nahe stehen. Und der Eifersucht aus ihrer Stimme nach, beruhte diese Beziehung nicht auf Freundschaft.
"Lake, sie ist bei Trace und Diamond eingezogen. Sie arbeitet oben an den Pisten, aber heute hatte sie auch einen freien Tag, deshalb sind wir zusammen hier", antwortete Will selbstbewusst. Ich war mir ziemlich sicher, dass er keinen blassen Schimmer hatte, dass ich gerade Qualen litt, während er sich freundlich mit dieser Frau unterhielt, die sich in jeder Hinsicht von mir unterschied. Schön, schlank, elegant, unberührt. Natürlich zog ihn das an. Was hatte ich schon zu bieten? Niemand wollte jemanden, der sich nachts in den Schlaf weinte, der kämpfen konnte, der so unverschämt war und dazu noch so aussah.
Es war Sky, die mich rettete, indem sie mich ansprach und mir dadurch erlaubte, mich von Will zu lösen und mit ihr zu ihren Freunden zu gehen. Ihr mitleidiger Gesichtsausdruck sprach Bände. Sie wusste genau, wie ich mich fühlte, obwohl ich mit aller Macht versuchte, den Schmerz zu verbergen.
"Lake, das sind Tina und Zoë, Leute, das ist Lake, die seit Kurzem bei Di und Trace wohnt."
Zoë und Tina lächelten mich freundlich an. "Wie ist es, bei den Benedicts zu wohnen? Sky will nie etwas erzählen, obwohl wir sie anflehen."
"Genau genommen wohne ich auch nicht bei den Benedicts-", fing Sky an, aber Tina winkte ab. Scheinbar hörten sie diese Ausrede häufiger. Wahrscheinlich war es für Sky schwierig, ihren Freundinnen etwas zu erzählen, da ihre Beziehung zu den Benedicts auf ihrer speziellen Verbindung zu Zed bestand.
"Ähm. Es ist... lustig", sagte ich zögerlich. "Di und Trace sind ziemlich nett."
Wenn man das als nett bezeichnen konnte. Aber Sky war ein guter Mensch, demnach waren ihre Freundinnen wohl auch eher moralisch, und würden nicht verstehen, wie ich Menschen, mit denen ich mich ständig zankte, toll finden konnte.
Tina verdrehte die Augen. "Das ist exakt das, was wir von Sky auch immer zu hören bekommen. Jetzt rück schon raus, was macht man, wenn man mit zwei Models in einem Haus wohnt?"
Ich biss mir auf die Unterlippe. "Naja, die meiste Zeit sind wir unterwegs. Arbeit und so, ihr wisst schon. Und wenn wir alle zusammen sind, quatschten wir viel."
Ich fühlte mich beobachtet, aber ich drehte mich nicht um. Wenn Will etwas von mir wollte, sollte er zu mir kommen. Aber er redete wahrscheinlich lieber mit dieser Mira.
Zoë grinste mich verschwörerisch an. "Und, worüber reden sie so? Was erfährt man da? Irgendetwas Interessantes? Hier passiert nie etwas. Das Highlight seit ich hier wohne war, als Sky letztes Jahr in einem Spielfilm mitgemacht hat und dabei auf einen Kronleuchter irgendwo in Vegas geschossen hat, aber der Film wurde nie ausgestrahlt. Und natürlich, als Zed und sie bekannt gegeben haben, dass sie zusammen sind. Vorher ist er nie mit einem Mädchen aus Wrickenridge ausgegangen, schon gar nicht so lange, wie die Beiden jetzt zusammen sind."
Sky und ich wechselten einen schnellen Blick. Weil sie Zeds Seelenspiegel war, deshalb waren die Beiden zusammen. Wie wahrscheinlich war es eigentlich, dass Sky ausgerechnet in dieses Kaff zog, wo er wohnte? Sie hatte Glück gehabt. Aber ich wollte meinen Seelenspiegel gar nicht erst finden, denn ich glaubte nicht, dass ich mit ihm glücklich werden würde.
"Es ist-", fing ich an, als Will plötzlich an meiner Seite auftauchte und mich unterbrach. "Lake, Victor will deine Handynummer, er möchte nicht über mich mit dir kommunizieren, weil er behauptet, ich würde spionieren. Ich bin jetzt der Feind und so. Und ich brauche sie auch noch, nebenbei gesagt."
Tina und Zoë sahen mich ungläubig an und Zoë formte mit dem Mund Victors Namen. Sein schlechter Ruf eilte dem Agent anscheinend voraus. Tina sah Will mit einem verzückten Ausdruck in den Augen an, was auch kein Wunder war.
"Wozu genau brauchst du sie?", fragte ich gelassen und schnappte mir sein Handy aus der Hand, um Victors Nachricht zu lesen.
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Relieving Lake (Die Macht Der Seelen- FF)
Fanfic|| "Du bist mir wichtiger als das meiste andere und ich liebe das. Du bist depressiv, und das gehört zu dir, zu der Person, in die ich mich verliebe. Ich werde niemals einfach gehen. Und es würde mich niemals zerstören, mit dir zusammen zu sein. Es...