Kapitel 15)

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Das kleine Mädchen schrie nach seiner Mutter.
Ich konnte es in der Dämmerung kaum sehen, aber seine Schreie wiesen mir den Weg über die schneebedeckten Berggipfel. Von meinem Aussichtspunkt hatte ich gesehen, wie es hingefallen war und mit dem Skier unglücklich im Schnee stecken geblieben war, aber jetzt, wo ich auf seiner Höhe war, war es unmöglich, das Mädchen zu sehen.
Ich fuhr so schnell ich konnte, um das große Gebiet schneller absuchen zu können, aber ich musste aufpassen, da auch die anderen Fahrer, die von oben kommen könnten, mich in der Dunkelheit nicht sahen.
"Mami!", heulte das Mädchen aus nächster Nähe. Seine dünne Stimme drang hoch von Westen zu mir. Ich bog scharf ab, sodass Schnee aufwirbelte, und fuhr in die Richtung weiter. "Hilfe!", schrie das Mädchen.
Und dann sah ich seinen kleinen, dunklen Kopf auf der hellen Schneeoberfläche. "Ich bin gleich bei dir!", rief ich. Ich näherte mich ihr, inzwischen konnte ich mehr von ihrem Körper sehen. Die Kälte ließ mein Gesicht brennen, doch ich ignorierte es einfach und fuhr weiter.
Als ich bei ihr ankam, warf ich mich direkt auf den Boden, nahm sie in den Arm und wärmte sie. Das Mädchen schlang seine dünnen Arme um mich und ich konnte das Zittern am ganzen Körper spüren. "Wie heißt du?", fragte ich sanft.
"Anna", antwortete sie mit rotziger Kinderstimmte.
Ich legte sie vorsichtig auf meine Knie und grub im Schnee ihreren Skier aus. Er hatte sich unter einem Stein verharkt, aber ich schaffte es, ihn wegzuwälzen. Dann nahm sich sie vorsichtig auf den Arm, stand auf und brachte sie von der Fahrbahn weg.
"Wo ist deine Mutter?", fragte ich, meine Stimme mühsam sanft haltend. Ich half zwar, aber ich konnte Kinder immer noch nicht leiden. Erstens gehörte das Helfen zu meinem Job, und zweitens hätte ich sie hier nicht einfach liegen lassen können, aber ich war kein Kindermädchen. Wieso hatte die Mutter auch nicht alleine auf ihr Kind aufpassen können!
Eine moppelige Frau hielt keuchend neben mir an. "Anna!", stieß sie hervor, "Ich bin so froh, dass ich dich gefunden habe!"
Wortlos übergab ich ihr die Kleine. "Passen Sie bitte auf Ihre Tochter auf. Und außerdem schließen wir in zehn Minuten, bewegen Sie sich bitte schon mal von der Piste runter", sagte ich monoton.
Die Mutter sah mich noch nicht einmal an, sondern presste Anna gegen ihre Brust, nahm deren Skier in die Hand und fuhr an mir vorbei weiter den Berg runter. Resigniert wandte ich mich ab und sah mich auf der leeren Strecke um. Keine Menschenseele war mehr hier, also konnte ich den letzten Kontrollgang machen und nach unten.
Ohne den Anflug von Erschöpfung zu beachten, der meine Knochen schmerzen ließ, beugte ich mich nach vorne und fing an, die Piste systematisch abzusuchen. Allerdings gab es heute kaum Sachen, die liegengelassen wurde. Ich fand lediglich einen Handschuh und einen Schal, der an einem Busch hängengeblieben war.
Wenigstens etwas. MIt meinen Funden kam ich unten an, wo Saul schon die Hütte abschloss. Neben seinem Auto stand nur noch ein Motorrad. Es war Victors. Der drittälteste Sohn lehnte sich an sein Fahrzeug und beobachtete mich, als ich die Skier von meinen Füßen löste, sie Saul übergab, und meine Funde in die Tonne warf.
"Wie hast du sie gefunden?", fragte Saul, der wahrscheinlich gesehen hatte, wie ich Anna ihrer Mutter übergeben hatte. Ich schloss die Tonne ab und zuckte die Schultern. "Sie hat geschrien."
Er verdrehte die Augen. "Bei deinen Rettungsaktionen vergisst man immer wieder, dass du Menschen hasst."
"Das stimmt nicht wirklich", sagte ich und drückte ihm die Schlüssel in die Hand, "ich hasse nur kleine Kinder. Und viele alte Menschen. Und die meisten anderen Menschen auch, okay, da hast du recht. Aber ich hasse nicht alle Menschen."
Er nickte wenig überzeugt. "Klar. Morgen brauchst du nicht kommen, wir machen die Pisten nicht auf, weil ich für die Kanustaffel unten am See sein muss."
Ich verzog das Gesicht. Zwar war ich unglaublich faul, aber einen ganzen freien Tag wollte ich auch nicht haben, ich würde mich zu Tode langweilen. Trotzdem widersprach ich nicht, verabschiedete mich und ging zu Victor, der schweigend wartete.
"Ich hatte nicht damit gerechnet, dass du so gut Skifahren kannst", sagte er, ohne mich zu begrüßen.
"Auch schön, dich zu sehen", erwiderte ich spöttisch und nahm den Motorradhelm entgegen, den er mir gab. "Wo genau willst du mich zur Ohnmacht trainieren?"
Er schwang sich auf sein Motorrad und ich stieg unaufgefordert hinter ihm auf. Er trug wieder einen schwarzen Anzug, aber diesmal hing an seinem Hosenbund eine FBI-Marke. Daneben wieder die obligatorische Pistole. Ich zwang mich, sie nicht zu auffällig zu fixieren, und schlang meine Arme leicht um ihn.

Relieving Lake (Die Macht Der Seelen- FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt