Kapitel 30)

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Diamond und Trace hatten Frühstück schon gemacht, und gleich für Will mitgedeckt. Als wir die Treppe runterkamen, trat Diamond mit neugierigem Blick auf mich zu und fragte telepathisch: >Also? Du hast eine Menge zu erzählen, Lake!<
Meine Hand schloss sich krampfhaft um Wills, der mich beruhigend zu sich zog. >Wie willst du es ihnen erklären?<, fragte er mich.
>Gibt es die Chance darauf, ihnen zu erzählen, dass wir einfach nur so miteinander rumgemacht haben?<, fragte ich zweifelnd.
>Du könntest deine Gabe einsetzen, aber ich würde es nicht empfehlen. Das sind deine Freunde, Lake. Die Beiden werden es nicht weitererzählen, wenn du ihnen die Wahrheit erzählst.<
Ja, aber ich wollte auch nicht, dass sie es wussten. Sie waren meine Freunde, aber zu allererst waren sie Menschen, und Menschen traute ich nicht. Vielleicht würden sie es weitererzählen, oder ich würde ihnen immer erzählen müssen, was ich mit Will getan hatte, oder sie sagten, dass wir nicht zusammenpassten...
>Wir können meinetwegen auch sagen, dass wir einfach eine Affäre haben<, bot Will an, als er merkte, wie unbehaglich mir bei dem Gedanken wurde, etwas über unsere Beziehung verlauten zu lassen. >Oder wir sagen einfach gar nichts. Ist deine Entscheidung.<
Schließlich gab ich mir einen Ruck und brachte hervor: "Er ist mein Seelenspiegel."
Diamonds Augen weiteten sich und Trace fing an zu hüsteln. "Was?!"
Will legte besitzergreifend einen Arm um meine Taille, als Zeichen für seine Dankbarkeit, dass ich es verraten hatte, dass ich mich nicht für ihn schämte, dass ich es zugab. "Er ist mein Seelenspiegel", wiederholte ich.
Diamond fing an, spitzbübisch zu grinsen und umarmte mich fest. "Mein Beileid!"
Trace klopfte Will auf die Schulter. "Mit Lake hast du ja eigentlich eine ganz gute Partie gemacht, aber auch nur, wenn du sie knebelst."
Ich stieß meinen Gastgeber zur Seite. "Du solltest mich besser fesseln, damit ich dich nicht mehr angreifen kann, wenn du dumme Bemerkungen machst."
>Zweideutig<, warnte Diamond, die sich ein Grinsen nur schwer verkneifen konnte. Ich verdrehte die Augen. >Gott, zweideutig? Ehrlich? Woran du immer denkst... warte; habt ihr es so getan?!<
Diamond schnappte entsetzt nach Luft. "Nein! Lake!"
Will sah verwirrt von Di zu mir und wieder zurück. "Erfahre ich den Grund dieses Schreis noch?"
"Nein!", erwiderten wir unisono. Telepathisch wandte ich an Di und feuerte noch hinterher: >Hätte ja sein können.<
Meine Freundin sah mich empört an. >Soll ich Will erzählen, dass du es gerne so tun würdest?<
Ich schenkte ihr ein arrogantes Lächeln. >Wer weiß, wer weiß, vielleicht will ich ja.< Wollte ich nicht. Aber die Wirkung verfehlte nicht. Sie schlug sich die Hand vor den Mund und rauschte in die Küche. Trace, der nichts verstand, nickte uns noch einmal beglückwüschend zu und folgte ihr. Will blieb neben mir stehen und sah mich fragend an. "Also?"
Ich grinste ihn an. "Ich glaube nicht, dass du wissen willst, worüber Di und ich uns unterhalten haben. Willst du noch essen oder direkt in die Highschool gehen? Wir müssen doch das Gerede wieder in Gang bringen."
Will sah kurz noch seinem Bruder und dessen Frau hinterher, dann zuckte er die Schultern und wandte sich ab. "Ich glaube, ich muss jetzt gerade nichts essen. Aber wenn wir beide zusammen an der Schule auftauchen, werden die denken, wir wären zusammen, was du ja unbedingt vermeiden willst."
Ich seufzte. Ich hatte Angst, dass ich ihn mit meiner Abneigung des Gestehens unserer Verbindung gegenüber verlieren könnte, aber ich hatte nicht vor, das nur deshalb zu verändern. Außerdem; wenn er es wert sein sollte, dass ich Angst darum hatte, dann würde er mich nicht wegen einer solchen Kleinigkeit hängen lassen.
"Ich habe nichts dagegen, dass jemand denkt, wir könnten zusammen sein, ich will es nur deiner Familie gegenüber nicht erwähnen", erwiderte ich so gelassen wie ich konnte. "Was die Anderen reden ist mir ziemlich gleich. Es sei denn, du überlegst es dir und ich bin dir doch peinlich."
Will zog sich seine Schuhe an und gab mir meine Lederjacke. "Ich bin stolz auf dich", entgegnete er bestimmt, nahm sich seine eigene Jacke und wartete geduldig darauf, dass ich mir die Schuhe angezogen hatte. Dann verließen wir zusammen das Haus, durchquerten den sonnenbeleuchteten Garten und schlugen den Weg in Richtung Wrickenridge ein. Will war gestern bei Uriel und Tarrynn mitgefahren, weshalb er Rica nicht hier hatte, aber es war auch in Ordnung zu laufen.
Die Straßen waren fast vollkommen leer, uns begegneten nur wenige Autos und überhaupt keine Fußgänger. Will hielt sich dicht an meiner Seite, als würde er mich beschützen wollen, während ich mich mehr entspannte. Allerdings behielt auch ich den Überblick, falls Kira beschließen sollte, mich trotz Wills Begleitung anzugreifen.
"Wie bist du eigentlich dazu gekommen, Bodyguard zu werden?", fragte ich schläfrig. Die Sonne ließ mich träge werden, ihre Wärme lähmte meinen Körper.
Wills Blick fiel auf mich. "Mein Vater war beim Militär, Vic ist FBI-Agent, Trace ist Cop, ich denke, da kommt man eben auf so einen Pfad. Außerdem fand ich die Vorstellung, Menschen zu beschützen, schon immer interessant."
Ich blickte nach unten. Ich war das Mädchen, das die meisten Personen auf meiner Schule gefährdet hatte, ich hatte in unzähligen Streits auf dem Schulhof Mitschüler schwer verletzt, hatte bei meinen Streichen kaum darauf geachtet, ob ich jemanden in Gefahr brachte und hatte im Sportunterricht ständig Kämpfe provoziert.
Will küsste meinen Scheitel. "Lake. Hör auf, dir selbst vorzuwerfen, wer du bist."
"Liegt es an diesem Seelenspiegel-Ding oder wieso kannst du praktisch meine Gedanken lesen?", fragte ich, weil ich mich nicht über dieses Thema unterhalten wollte.
Will hatte offenbar einen kürzeren Weg zur Schule gefunden, denn schon tauchte das hohe Tor wieder auf. "Kann ich nicht, ich mache mir nur genug Sorgen, um herauszufinden, wann du anfängst, dich selbst abwertend zu behandeln."
Wir blieben vor dem Tor stehen, da ich nicht wusste, ob Will große Lust hatte, darüber zu klettern, doch er zog einfach einen Schlüssel aus der Tasche und schloss es auf. "Wie zum...?", fragte ich überrascht, als er mir mit einem schelmischen Grinsen das Tor aufhielt.
"Vic hat gerne Schlüssel. Als er noch hier war, also bevor er die Rebellion aufgegeben hat, hat er sämtliche Schlüssel des Schulhauses geklaut und von ein paar durfte ich mir eine Kopie machen lassen. Ich wusste, dass der Mann irgendwann noch mal zu gebrauchen ist. Manchmal ist es direkt schade, dass er sich jetzt weitgehend an Regeln hält. Aber ich schätze, dass ist auch wieder um, wenn wir seinen Seelenspiegel gefunden haben. Dann werden wir den alten Victor vermissen, glaub mir. Als Rebelle ist er noch schwerer auszuhalten als so."
Dank meines guten Timings kamen wir noch während der Unterrichtszeit an, sodass wir warten mussten, bis die Schüler zu einer Pause rausgelassen wurden. Will zog mich zu einer Bank, die im Schatten einiger Bäume stand und wir setzten uns hin, mit dem Blick auf den Eingang des Gebäudes.
"Was war eigentlich mit Mira?", fragte ich zögerlich. "Sie wirkte nicht so, als würde sie akzeptieren, dass eure Beziehung vorbei ist."
Über Wills Gesicht zog ein Schatten. "Mach dir keine Sorgen um sie. Meine Beziehung zu ihr stammte noch aus meiner Ausbildungszeit zum Bodyguard. Sie hatte gute Verbindungen zu einem reichen Typen, der einen Personenschützer für seine Zwillinge brauchte. Mira hat mir damals angeboten, mich zu vermitteln, wenn ich etwas mit ihr anfangen würde, um ihren Ex eifersüchtig zu machen. Es ging gut, der Typ zog mich ernsthaft in Erwägung und ich mochte sie. Irgendwann hat sie mitbekommen, dass ihr Ex wirklich nicht mehr an ihr interessiert war. Sie meinte, weil ich meinen Job nicht gemacht hatte, würde sie den Typen überreden, mir ein schlechtes Image zu verschaffen. In der Nacht schlief ich mit ihr. Und am nächsten Morgen... war sie anders. Wieder das Mädchen, das ich mochte, das mir helfen wollte, einen Klienten zu kriegen. Es ging lange gut, sie verliebte sich ernsthaft, aber ich hatte keine Gefühle für sie. Nicht, nachdem sie mir so gedroht hatte. Zwei Monate später zog ich den Schlussstrich, aber sie wollte es nicht einsehen. Bis heute nicht."
Ich hatte meine Hände miteinander verschränkt und krallte mich an mir fest. Will wirkte, als würde es ihm wehtun, mich so verletzlich zu sehen, aber ich konnte nicht lächeln und so tun, als ob es mir gut ginge. Nicht, weil er schon Freundinnen gehabt hatte, das war klar gewesen. Weil ich wusste, dass ich mit Mira niemals würde mithalten können.
"Wie kommt es, dass du noch nie eine Beziehung hattest?", fragte Will sanft. Ich zuckte die Achseln. "Ich wollte nicht. Die Jungs waren immer meine besten Freunde, nichts weiter."
Seine Hand legte sich auf Wange und drehte mein Gesicht zu sich. "Und ich? Bin ich auch nur ein bester Freund?"
Die Frage war ernst gemeint. Seine blaugrünen Augen sahen mich offen und fragend an. Ich biss mir störrisch auf die Unterlippe. Mein Gewissen rang mit meinem rationalen Denken. Mein Gewissen wollte ihn nicht verletzen, wollte ihm die Wahrheit sagen, aber Letzteres wollte, dass meine Gefühle kontrollierbar blieben. Jetzt war es also der Entscheidungsmoment. Würde ich zugeben, was ich fühlte, und alle meine Erfahrungen auf den Mond schießen, oder würde ich Will verletzen? Aber wie sehr konnte ich ihn mit einer Abfuhr schon verletzen? Für mich wäre es auf jeden Fall besser, ihn anzulügen. Er war bloß ein guter Freund. Was auch sonst?
Verzweifelt flüsterte ich: "Bist du nicht."
Ich hatte in meinem Leben sehr viele schlechte Entscheidungen getroffen. Seit ich nach Denver gezogen war, hatte ich noch schlechtere getroffen. Und diese Entscheidung jetzt würde mir irgendwann bitter zu stehen kommen, vielleicht war sie die schlimmste überhaupt, seit ich meine Mutter hatte sterben lassen. Die entsetzliche Angst, die mein Herz umschloss, die Schuldgefühle und der Hass, der jetzt schon aufblühte, Hass auf mich selbst, machten deutlich, dass ich mich anders hätte entscheiden sollen.
Wills Augen aber leuchteten auf. Der leichte Anflug von Schmerz, der sich auf seine Züge geschlichten hatte, verschwand. Seine Hand wanderte in meinen Nacken und er zog mich zu sich rüber, bis ich auf seinem Schoß saß, breitbeinig, ihm zugewandt. Will presste seine weichen Lippen auf meine und ich schloss die Augen. Obwohl ich genau wusste, dass ich gerade einen riesigen Fehler begangen hatte, konnte das das Glücksgefühl nicht ausmerzen, dass sich in mir breit machte, als seine zu Anfang wilden Küsse sanfter wurden. Ich vergrub meine Hände in seinen Haaren und rückte näher an ihn heran. Egal, was ab jetzt passieren sollte, egal, wie sehr ich verletzt werden würde, diesen Kuss, ob er nun eine Lüge von Wills Seite aus war oder nicht, ihn würde ich mir in guten Erinnerungen behalten. Will, der mir meinen Freiraum ließ, obwohl ich sein Seelenspiegel war, küsste ziemlich dominant. Obwohl ich Dank meines Platzes auf seinem Schoß über ihm schwebte, lenkte er. Und ich ließ ihn.
Immer, wenn er sich löste, bekam ich Angst, dass ich etwas falsch gemacht hatte, aber wenn sein Mund sich wieder auf meinem befand, löschte es meine Zweifel aus. Will hielt meinen Kopf dicht an seinen gedrückt, seine andere Hand lag auf meiner Hüfte und presste meinen Körper an seinen.
Als es klingelte, fuhren wir von einander weg. Ich setzte mich abrupt zurück neben ihn auf die Bank und fuhr mir nervös durchs Haar. Meine Lippen fühlten sich heiß an, ich wusste, sie waren feuerrot. Will grinste unverbesserlich.
"Du weißt nicht, wie häufig ich mir das schon ausgemalt hatte", sagte er rau.
"Was? Auf dem Schulhof vor minderjährigen Kindern rummachen?", fragte ich sarkastisch.
Will warf einen Blick auf unsere Umgebung, aber dann sah er wieder ausschließlich mich an. "Hier ist niemand, und außerdem, nein. Nur das mit dir Rummachen."
Er strich mit dem Daumen leicht über meine geschwollenen Lippen. Ich sah ihn schweigend an, bis plötzlich die Türen aufgingen und die Schüler auf den Hof strömten. Er nahm seine Hand zu sich, nicht ohne mir vorher einen bedauernden Blick zu schenken. Die Masse teilte sich, bevor uns jemand erreichen konnte, und eine Gasse entstand. Als der Strom der rauskommenden Schüler langsam verebbte, stand ich auf.
"Welcher Zehntklässler hat behauptet, er hätte mich mit Victor Benedict streiten sehen?", brüllte ich. Sofort verstummten die Gespräche und rund 1000 Augenpaare richteten sich auf mich. Will stand hinter mir auf und stellte sich dicht hinter mich, seine Schulter schützend an meiner.
>Was wird das?<, fragte er irritiert. >Denkst du wirklich, so kriegst du ihn? Und was willst du dann überhaupt tun?<
Ich schenkte ihm ein süßliches Lächeln, antwortete aber nicht. Stattdessen stemmte ich die Hände in die Hüften und musterte die Schüler. "Also? Kein Freiwilliger?" Jetzt musste ich nicht mehr schreien, die Aufmerksamkeit gehörte sowieso schon mir. Plötzlich kam Regung in die rechte Seite und zwei von Zeds Freunden stießen einen mittelgroßen Typen auf die freie Fläche vor mir. Er hatte braune Haare, gewöhnliche braune Augen und ein Allerwelts-Gesicht.
"Er war's", sagte einer von Zeds Freunden kühl. Ich grinste ihn an. "Danke", sagte ich gedehnt und ging auf den Typen zu. Will blieb zurück, aber ich spürte seinen wachsamen Blick, der aufpasste, dass mir nichts geschah. Das, was ich jetzt tat, würde er nicht gutheißen. Er war immerhin Bodyguard. Vielleicht verlor ich ihn durch die folgende Aktion. Aber wenn ich mich in einer Beziehung am Riemen reißen musste, damit er mich akzeptierte, war das nicht richtig für mich.
"Wie heißt du?", fragte ich den Typen vor mir.
Seine großen Augen sahen mich schüchtern an. "A-a-adam", antwortete er stotternd.
Ich nickte und studierte sein Gesicht eingehend, damit ich ihn wiedererkennen würde, wenn ich ihn noch einmal träfe, selbst wenn sein Gesicht so gewöhnlich war. "Und wieso erzählst du Lügen über mich?", fragte ich weiter.
Normalerweise war es mir egal, was die Menschen von mir dachten, aber das war ich sowohl Will als auch Victor schuldig. Will, weil Menschen aus einem Streit häufig eine Beziehung machten, und Victor, weil ich genau wusste, dass der keinesfalls mit mir in Verbindung gebracht werden wollte. Vor allem nicht in einem Streit. Dafür hatte er sein Image viel zu sehr beschützt.
Adams Augen weiteten sich noch weiter, wenn das überhaupt möglich war. "Habe ich nicht", stotterte er. "Ich habe es gesehen..."
Ich verengte meine Augen. "Hast du, ja? Hast du Beweise?" Stumm schüttelte Adam den Kopf. "Dann würde ich dir raten, nie wieder etwas Unwahres über mich zu erzählen", drohte ich. "Weil ich dann sehr, sehr schnell ausraste. Verstanden?"
Adam nickte schwach. Ich klopfte ihm auf die Schultern und lächelte ihn kumpelhaft an. "Dann ist ja alles gut. Willst du nicht sagen, dass es eine Lüge war, was du erzählt hast? Nur zur Versicherung, dass niemand mir das Falsche erzählen könnte und ich dich doch noch verprügel, nur aus Versehen?"
Eine Schweißperle rann Adam übers Gesicht, dann drehte er sich stolpernd um, zu der Menge und sagte leise: "Es war eine Lüge. Ich habe sie nicht mit Victor streiten sehen."
"Lauter, Adam, man versteht dich doch nicht!", spottete ich. "Deswegen wollen wir doch nicht so ein Risiko eingehen!"
Zitternd erhob Adam die Stimme und sagte laut genug, dass alle es hören konnten: "Es war eine Lüge, dass ich sie und Victor habe streiten sehen. Es tut mir leid."
Zufrieden drückte ich einmal so zu, dass seine Schulter wehtun musste, um ihn zu warnen, und machte auf dem Absatz kehrt. Wills Miene war undurchdringlich, als ich bei ihm ankam, was wahrscheinlich kein gutes Zeichen war, aber ich ignorierte das. Eigentlich sollte man meinen, dass ich wegen meiner Depressionen netter zu Anderen wäre, weil ich wusste, wie es war, wenn man unglücklich war. Aber das ging nicht. Dazu war ich zu selbstsüchtig. Diese Art grausamer Machtdemonstrationen waren etwas, was mich am Leben erhielt, sie waren die Droge für mich, die dafür sorgte, dass ich nicht vollkommen abstürzte.
Jemand hielt meine Hand fest. Ich wirbelte herum, die freie Hand zur Faust geballt vor dem Gesicht, doch dann erkannte ich einen von Zeds Freunden. Langsam ließ ich die Faust sinken, wandte meine Hand aber aus seinem festen Griff.
"Was gibt's?", fragte ich abweisend.
"Ich bin Sean, ich hab' dein Handy für Zed repariert. Demnach habe ich deine Nummer", verkündete der Junge. Aha. Von wegen, seine Freunde wollten meine Nummer; sie hatten sie bereits. Will, der zuhörte, verspannte sich sichtlich. Entweder, es war der Beschützerinstinkt eines Bodyguards, oder es gefiel ihm trotz meiner Aktion nicht, dass Sean an meinen Sachen gewesen war.
"Und du hältst es nicht für lebensgefährlich, mir auch noch zu sagen, dass du in meinen Privatssachen rumgepfuscht hast? Du hast gehört, was ich dem Typen gerade angedroht habe. Glaub mir, ich mache meine Drohungen immer wahr."
Sean wies auf die Narben an meinen Fingerknöcheln. "Das glaube ich dir sofort. Bist du am Samstag bei dem Fußballspiel?"
Zed kam zu uns, gefolgt vom Rest seiner Truppe. "Lake, hör nicht auf ihn. Sean ist der oberste Aufreißer. Der Typ wird krank, wenn er nicht jede Woche mindestens eine im Bett hatte, ich möchte nicht, dass du auch noch zu einem seiner Opfer wirst."
Sean warf seinem Freund einen aufgebrachten Blick zu, aber ich grinste nur höhnisch. "Weiß ich, Zeddie. Wie viele von euch haben jetzt eigentlich meine Nummer? Zed, hättest du mich vorwarnen können, dass du mein Handy an deinen schwanzgesteuerten Kumpel lieferst?"
Zed schnaubte wegen seines Spitznamens und antwortete: "Alle. Ich dachte nur, es wäre nicht klug, dir das vor Will zu sagen. Und nächstes Mal denke ich bestimmt daran. Kommst du zum Fußballspiel oder nicht?"
>Lake... wie wichtig ist es dir, dass niemand etwas von uns erfährt?<, fragte Will in meinem Kopf. Selbst seine telepathische Stimme zitterte vor unterdrückter Wut. Ich wandte den Kopf und sah seine geballten Fäuste, seine verengten Augen, die Linie, die seinen Mund darstellte. Schnell wandte ich den Blick wieder ab und lenkte meine Aufmerksamkeit zurück zu Zed und seinen Freunden, die mich interessiert ansahen.
"Ich dachte immer, Badboys würden Goodgirls mögen?", spottete ich. "Klar bin ich da. Ich lasse es mir nicht entgehen, euch auszulachen."
Sean wirkte ziemlich zufrieden, und ein anderer Freund, ein Afroamerikaner, erwiderte: "Liegt daran, dass wir zu wenig böse Mädchen haben. Und das merke ich mir, du wirst es sein, die am Ende ausgelacht wird, da kannst du Gift drauf nehmen. Ich bin übrigens Dylan."
>Lake, jetzt. Eine Entscheidung, wenn ich bitten darf<, fauchte Will in meinem Kopf.
>Was ist denn?<, fragte ich verwirrt. Ich hatte damit gerechnet, dass er mich dafür rügte, wie ich mit Adam umgesprungen war. Ich hatte erwartet, dass er mich verabscheuenswert finden würde. Aber das, was kam, diese offensichtliche Eifersucht, er wollte mich als sein Gebiet makieren... was war bloß los?
>Tut mir leid, aber ich sehe mir nicht an, wie diese Halbstarken mit dir flirten<, antwortete er gepresst. >Ich weiß, es ist auch deine Entscheidung, aber ich bin kurz davor, denen eine Lektion zu erteilen.<
>Tu was du nicht lassen kannst, aber sei dir vorher sicher, dass das auch ist, was du willst. Ich möchte nicht auf dich angesprochen werden, wenn du mit mir schlussgemacht hast, ja?<
Will trat neben mich, nahm meine Hand und funkelte Zeds Freunde an. "Wir müssen gehen."
Dylan wechselte einen Blick mit einem anderen Jungen, dem zweiten Afroamerikaner. Dann gab es noch einen Weißen, abgesehen von Sean, und Zed. "Wohin? Kann Lake nicht hier bleiben?"
"Tut mir leid, meine Freundin und ich wollten uns heute einen gemeinsamen freien Tag nehmen", erwiderte Will bestimmt. Zeds Augen weiteten sich und er sah mich fragend an, doch ich verzog keine Miene.
Sean hingegen verengte die Augen. "Zed, du sagtest, sie ist noch zu haben."
Bevor Zed etwas zu seiner Verteidigung vorbringen konnte, entgegnete Will kühl: "Da hat mein kleiner Bruder etwas verpasst. Und auch wenn ihr die großen Aufreißer seid, ihr wisst, dass man kein Benedict-Mädchen anrührt. Haben wir uns verstanden?"
>Benedict-Mädchen ist das Synonym für unsere Seelenspiegel<, sagte Zed plötzlich in meinem Kopf. >Habt ihr mir etwas zu beichten?<
>Kannst du die Klappe halten?<, fragte ich unwirsch. Zed hob nur eine Augenbraue, statt sich zu einer Antwort herabzulassen. >Haben wir. Du wirst es niemandem erzählen, verstanden? Nicht Sky, nicht deiner Familie, niemandem. Und was hat das mit den Benedict-Mädchen auf sich?<
Sean hob kapitulierend die Hände. "Wissen wir."
>Als Phee und Sky in einem Kaufhaus mal doof angequatscht wurden, haben Yves und ich am nächsten Morgen den Typen vor der halben Stadt eine Lektion erteilt. Dass keines unserer Mädchen je wieder von einem anderen Typen als uns angemacht werden wird und so. Jedenfalls haben sie's verstanden.<
Will nickte zufrieden und drehte sich mit mir an der Hand um. Ich war aber mit meiner Unterhaltung zu Zed noch nicht fertig, und fragte: >Wie habt ihr es ihnen klargemacht?<
"Zum Fußballspiel kommst du aber trotzdem, oder?", rief Sean mutig hinter mir her.
"Klar!", antwortete ich sofort, ohne mich umzuwenden.
>Ich für meinen Teil hätte sie ja geschlagen, aber Yves ist da anders. Er hat die halbe Nacht daran gesessen, Geheimnisse von denen auszugraben. Er hat ihnen gedroht, sie 18 Jahre hinter Gitter zu bringen. Natürlich hatten die keine Geheimnisse, die so weitreichend waren, aber Yves ist ein Computergenie. Wir haben sie nie wieder gesehen.<
Will und ich verließen das Schulgelände in stummer Übereinkunft. Als er das Tor abgeschlossen hatte, drehte er sich zu mir um. "Alles gut?", fragte ich nervös. Vielleicht hatte er mich auch nur vor diesen Spielern schützen wollen. Vielleicht nahm er es mir doch übel.
"Es würde mir besser gehen, wenn ich Sean verprügelt hätte, aber ja", antwortete er nach einigem Zögern. Trotzdem entspannte ich mich noch nicht, sondern sah ihn scheu an. Ich wollte nicht, dass mein Herz gebrochen wurde. Das würde es. Weil ich verdammt nochmal zugegeben hatte, dass er mir etwas bedeutete.
"Bist du wütend wegen Adam?", fragte ich schließlich vorsichtig.
Will fuhr sich durch die Haare. "Meinst du, weil du ihn tyrannisiert, ihm gedroht oder ihn blamiert hast?"
Tyrannisiert, ich bitte dich. Ich konnte noch viel schlimmer sein. Und die Blamage war wohl gewesen, dass er sofort klein beigegeben hatte, als ich von ihm verlangte, die Wahrheit als Lüge darzustellen. Und dafür konnte ich kaum was.
"Alles?", fragte ich konziliant.
Wills strafende Miene wurde von einem selbstironischen Grinsen ausgelöscht. "Ehrlich? Ich wusste, dass du irgendetwas Derartiges bringen würdest. Das bist halt du. Ich heiße es nicht gut, aber wenn ich wütend wäre, wäre ich dazwischen gegangen. Was ich übrigens hätte tun sollen; meine Familie, wir sind die Guten."
Genervt sah ich ihn an. "Fazit?"
Er rückte näher, drückte mir einen schnellen Kuss auf den Mund und schlang seinen Arm um meine Taille. "Fazit ist, dass ich dich liebe. Was übrigens komplett gegen das oberste Benedict-Gesetz geht: Keine bösen Mädchen."
"Sexisten", knurrte ich, aber er lachte bloß und ging, den Arm fest um meine Taille geschlungen, mit mir davon. Dass ich dich liebe.

Relieving Lake (Die Macht Der Seelen- FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt