"Wo warst du gestern?!", schnautze Victor, als wir uns am Sonntagmorgen im Pistenhaus trafen. Trace und Diamond hatten für deren Geburtstag zwar eingekauft, aber Will und ich hatten ihnen die Einkäufe sofort abgenommen, und ihnen verboten, die Party selbst zu organisieren.
"Date. Wieso hat Victor Benedict sich bereit erklärt, bei der Organisation einer Party zu helfen?", frotzelte ich. Ich saß auf Wills Schoß, er hatte die Arme um meinen Bauch geschlungen, sein Kinn auf meine Schulter gebettet. Das Date war toll gewesen, obwohl wir nur Essen gewesen waren. Ich lehnte meinen Kopf gegen seine Brust und spähte zu Victor, der auf dem Sofa saß und die Arme vor der Brust verschrenkt hatte.
"Kannst du dich nicht einfach um deinen Kram kümmern?", fragte Victor genervt. Ich sah ihn mit schräg gelegtem Kopf an.
"Ne, Vicki, so läuft es nicht. Ich bin deine einzige Freundin, du hast mir Rede und Antwort zu stehen. Nebenbei gesagt, ist es kein Wunder, dass du nur mich hast. Hilfst du, weil du einsam bist, dir langweilig ist oder du Di lieb hast?"
Will lachte leise. Ich stützte mich mit den Ellenbogen auf meinen Knien ab und Blicke Victor herausfordernd an. Der spielte abwesend mit seiner Pistole. "Ich helfe aus Loyalität."
Will gab vor, beschäftigt zu sein, aber ich war mir ziemlich sicher, dass er genau zuhörte. "Loyalität zu wem?", forschte ich nach.
"Zu dir. Diamond hätte dich umgebracht, weil du es nicht hingekriegt hättest, ihr eine vernünftige Party zu organisieren. Und wenn du mich noch einmal Vicki nennst, machst du nachher vierzig Klimmzüge."
"Geht nicht. Frauenabend mit Diamond. Seit wann gibst du zu, wie wichtig ich dir bin?"
Victor funkelte mich aufgebracht an. "Seit ich weiß, was sich auf deinen gottverdammten Armen befindet! Scheiße, Lake, du hättest es mir sagen können! Nein, müssen!"
Entsetzen breitete sich in mir auf. "Was?", flüsterte ich. Will ließ mich los, als ich aufstand und mich auf die Wand zubewegte. Er blieb sitzen, aber Victor stand auf. Ich umschlang meine Handgelenke, presste mich an die Wand, aber Victor interessierte nicht, dass ich versuchte, mich vor ihm zu verstecken. Will war sitzen geblieben, nicht, weil er es nicht ernstnahm, sondern weil er wusste, dass ich seine Hilfe jetzt gerade nicht brauchte. Victor baute sich dicht vor mir auf, stützte die Hände neben meinem Kopf ab.
"Du. Hättest. Es. Mir. Sagen. Müssen!, skandierte er stinkwütend. "Woher weißt du?", flüsterte ich.
Victors dunkelgrauen Augen glitzerten gefährlich. "Ich war da, als ihr im Pool wart. Ich wollte eigentlich fragen, wie es um dein Auto steht. Wieso hast du es mir nicht gesagt, Miststück?!"
Wenn er mich mit Ausdrücken beleidigte, hatte es ihn tief verletzt, dass ich ihm nichts gesagt hatte. "Wieso hätte ich es dir sagen sollen?"
Victor stieß sich von der Wand am, tigerte ruhelos durch den Raum und rieb sich übers Gesicht. "Beaver!", knurrte er. "Meine beste Freundin sagt mir, wenn sie depressiv ist!"
Ich sah ihn etwas scheu an. "Scheinbar nicht?"
Will grinste, auch wenn wir über ein Thema redeten, dass für uns alle schwierig war. Victor packte meinen linken Arm und schob den Ärmel hoch. Die meisten Schnitte waren mit einer dunkelroten Kruste versehen, aber manche waren noch blutig. Victors Gesichtsausdruck schwebte zwischen aggressiv und zutiefst enttäuscht. Er presste meinen Handrücken gegen die Stirn.
"Ähm... sorry?", murmelte ich. "Nicht sorry. Wie kannst du es wagen?"
Will hielt sich die Hand vor den Mund, um nicht allzu offensichtlich zu lachen. Anscheinend fand er es lustig, wie beleidigt Victor war.
"Also hättest du erwartet, dass ich dir von allen Problemen erzähle, die ich habe? Warte; warst du nicht der Mann, der behauptet hat, ihn würde nicht interessieren, was in meinem Leben geschieht?"
"Warte, warst du nicht die Frau, die mich mit allem zugetextet hat, was ihr gerade so einfällt?", schnaubte er. Sein Griff um meinen Arm war fest, viel fester als Wills. Und er wirkte auch nicht beruhigend oder sanft, sondern drohend und grob. "Und ja, genau das erwarte ich. Du hast doch selbst gesagt, dass es mich interessiert."
Ich starrte ihn etwas ungläubig an. "Vicki... ich sage niemandem davon. Will ist der Einzige, der es weiß. Es ist nichts Besonderes, dass ich es dir nicht erzählt hab."
Seine Augen funkelten noch immer. "Beaver! Kann ich mich darauf verlassen, dass du es das nächste Mal sagst?"
"Ich soll dir das nächste Mal, wenn mir Persönlichkeitsstörungen bei mir auffallen, Bescheid sagen? Immer gerne", scherzte ich, doch ich konnte sehen, dass Victor gerade nicht in der Stimmung war, auf meine dummen Witze zu reagieren. Wenn ich mich in solchen Situationen befand, fing ich immer gerne an, mich blöd zu stellen. Bei anderen ärgerte es mich, genauso, wie, wenn jemand mir auf eine rhetorische Frage eine Antwort gab, aber unter Stress tat ich Dinge, die ich selbst nicht mochte. "Und da du zugibst, dass ich dir wichtig bin, kannst du nicht zur Feier des Tages auch die Schönheit der guten Laune entdecken?"
"War es das? Durfte ich das nicht sehen, als ich in deinem Kopf war?" Seine Stimme war immer noch zornig, aber dazu mischten Erschöpfung und Sorgen. Gleich zwei Benedicts, die sich Sorgen um mich machten. Eindeutig einer zu viel.
"Wäre möglich", gab ich vage zurück. Will stand auch endlich auf, trat neben mich und legte mir beschützend einen Arm um die Schultern, aber Victor beachtete seinen jüngeren Bruder gar nicht erst. "Müsste es nicht aufhören, seit du mit Will zusammen bist? Ich meine, seine Anwesenheit sollte dir doch helfen?"
Irgendwann würde ich mich vielleicht daran gewöhnen, wie fest diese Männer an das Seelenspiegel-Ding glaubten. Ich war noch nie eine sonderlich gläubige Person gewesen, und es fiel mir extrem schwer, mich darauf festzusetzen, dass es einen Mann gab, der mir aus allen Problemen bloß durch seine Anwesenheit helfen konnte. Was wäre, wenn ich lesbisch wäre? Dann würde Will mir ja auch nicht helfen.
"Tut sie auch", seufzte ich ehrlich. "Aber ich habe Probleme damit, einen Sinn darin zu finden, von einem Mann abhängig zu sein. Und, hey, du willst deinen Seelenspiegel noch nicht einmal finden, also halt dich da raus."
Victor sah mich an, völlig außer Fassung gebracht von meiner sturen Behauptung. "Ich will bitte was nicht?! Wie kommst du denn darauf?"
"Du siehst sie als Schwäche an; solange sie nicht hier ist, gibt es nichts, mit dem man dich erpressen kann. Deine Brüder wissen sich selbst zu helfen, Freunde hast du nicht und mich überwacht ihr. Aber was passiert, wenn sie wirklich ein zierliches, unschuldiges, nettes und hilfloses kleines Ding ist? Und im schlimmsten Fall ist sie dazu noch selbstständig; nicht stark genug, um sich zu befreien, aber nicht schwach genug, um sich von dir beschützen zu lassen. Für dich ist es besser, wenn sie in Afghanistan in einem Gefängnis sitzt, als wenn sie hier ist. Erstens, weil du weiter den kalten Cop raushängen lassen kannst, ohne dich drum zu kümmern, wen du verletzt, zweitens, weil du weiterhin mit jedem möglichen Typen Streit anfangen kannst, ohne dir um sie Sorgen machen zu müssen, und drittens, weil es auch für sie da besser ist. Also sag mir nicht, wie ich mich in Wills Gegenwart zu fühlen hab!"
Will sah Victor stumm und fragend an, aber ich ließ keine Unsicherheit in meinen Blick. Mit dieser Behauptung würde ich mehr Antwort erhalten, als wenn ich eine Frage stellen würde. Victor stierte mich noch immer so an, als ob ich von allen guten Geistern verlassen wäre.
"Du liegst total falsch", sagte er dann steif.
Ich grinste. Das Gespräch hatte wieder einen guten Kurs eingenommen; weg von mir, weiter zu ihm. "Ach ja? Der Victor, der sich holt, was er will, ist der, der seinen Seelenspiegel im Gefängnis lässt. Nenn mir einen guten Grund dafür, dass du sie nicht holst."
Ich hatte ihn noch nie sprachlos gesehen. Es war eine schöne Erfahrung. "Schön, das wir übereinstimmen. Und ich heiße Lake."
Victor schüttelte den Kopf, als wolle er eine lästige Fliege verkneifen. Überraschenderweise fühlte ich mich viel wohler, wenn ich mich mit ihm stritt, als wenn es Will war, obwohl er mir auf eine schräge Weise wichtig war. Solange ich für Victor noch von Nutzen war, würde er mich nicht wegwerfen, und momentan war ich eine Verbindung zu Trissa. Und der Seelenspiegel seines Lieblingsbruders. Gelassen, als wäre nichts gewesen, fläzte ich mich aufs Sofa, schob den Ärmel wieder über meinen Arm und warf einen Blick auf die Einkäufe.
"Okay, die Party. Wollten wir jetzt das Starbucks oder eine Disco mieten?" Will setzte sich auf die Lehne, Victor aber blieb stehen, mit dem Rücken an der Wand. "Über das da reden wir noch, Beaver", schnaubte er mit einem kurzen Blick auf meinen verdeckten Unterarm. "Und ich sage dir, dass Starbucks eine Schnapsidee ist."
"Ist es nicht!", protestierte ich. Meine Liebe zu Starbucks war riesig, alt und mächtig- und jetzt auch noch beleidigt. "Starbucks kann gar keine Schnapsidee sein!"
Victor würdigte mich nicht einmal einer Antwort, sondern widmete sich seinem Laptop, der offen auf dem Tisch stand. Ich beugte mich vor, nahm die Einladungen, die Diamond aus einem mir unerfindlichen Grund noch nicht verschickt hatte, und ging sie durch. Benedicts, Benedicts, Benedicts, und hier waren noch Freunde. "Kommen irgendwelche Verwandten?", fragte ich abgelenkt.
"Ja", antwortete Will, der sich über meine Schulter beugte und mitsah. "Sie sollten in einer Stunde oder so am Flughafen ankommen. Di wollte sie abholen. Besser, du machst dir da keine Feinde. Vielleicht verstehst du dich mit Misty, Angel oder Summer. Misty ist Diamonds Nichte, die anderen beiden sind ihre Freundinnen. Alles Savants."
Ich runzelte die Stirn unsicher. "Ich verstehe mich also mit ihnen, ja? Wegen meiner Gabe oder wegen ihnen?"
Will stupste mich an. "Du bist zu negativ. Aber ja, wegen deiner Gabe. Misty ist eher... ruhig besaitet, Angel ist zwar frech, aber... halt sie. Und Summer wird dich nicht mögen. Aber wenn dir zu langweilig wird, kannst du sie immernoch mit deiner Gabe von dir überzeugen."
Wenig überzeugt nickte ich. "Ich komme am Besten einfach gar nicht. Lauter Savants, die ich nicht kennen will, Leute, dich mich nicht mögen, und einfach zu viele Menschen. Diamond und ich feiern ihren Geburtstag dann später sowieso nochmal privat. Das wird schon. Äh... Geschenk. Shit. Vicki, was hast du für sie?"
Victor blickte von seinem Bildschirm hoch. "Di bringt dich um, wenn du nicht kommst. Trace wollte von uns Geld, für ein eigenes Auto oder so. Weiß nicht."
Meine Angst, von Di umgebracht zu werden, war beschränkt, aber ich sagte nichts. Lust, in ein Auto zu investieren, hatte ich auch nicht besonders, weshalb ich aufstand, Will die Karten in die Hand drückte und zu Victor lief. "Mach mal Platz", befahl ich.
Victor rührte sich keinen Zentimeter. Genervt schnappte ich mir seinen Laptop, setzte mich auf den Tisch und legte mir den Laptop auf die Beine. Nachdenklich hielt ich meine Finger über die Tastatur und starrte gegen die Wand, in der Hoffnung, mir würde auf einmal ein Geistesblitz kommen. Ratlos ließ ich den Blick über den Raum schweifen, bis er am Bildschirm hängen blieb. Aufgerufen waren Seiten zu Discos, die man mieten könnte, aber das war es nicht, das mich interessierte. Der Hintergrund war pechschwarz. Und mein Gehirn, das irgendwie seltsam funktionierte, hatte endlich eine Idee.
"Danke, Victor", murmelte ich und tippte Kapverdische Inseln ein. Meine Mutter war einmal da gewesen, und sie meinte, sie hätte nie einen schöneren Urlaubsort gesehen. Die äußeren Inseln hätten wenig Tourismus, dafür aber sowohl Berge als auch Strand. Victor sah mir über die Schulter.
"Du willst ihr einen Urlaub schenken?", fragte er zweifelnd. "Von welchem Geld?"
Ich sah ihn genervt an. "Von deinem. Von meinem natürlich, du Idiot. Weißt du, ich verdiene was bei meiner Arbeit. Vielleicht nicht so viel wie du, aber immerhin. Und wenn nicht, gibt es immernoch das Konto meines Vaters."
"Wieso benutzt du das Geld deines Vaters, oder deines, dann nicht, um die ein Fahrzeug anzuschaffen?!"
Ich stöhnte auf. "Victor! Hör auf, mich mit dem Scheißauto zu nerven! Ich lasse mir mein Motorrad nachschicken oder so. Ich werde kein Geld dafür ausgeben, solange ich es nicht brauche! Ihr lasst mich ja sowieso nicht eine Minute aus den Augen, stell dir vor, was alles passieren könnte, wenn ich ein eigenes Fahrzeug besäße!"
Will richtete sich auf und kam zu uns gelaufen. Unsere Wanderschaft duch den Raum wurde also fortgesetzt. "Du kommst mit mir zur Party. Hast du ein Kleid?"
Ich gab Victor den Rechner, damit er den Urlaub buchte, und sah Will spöttisch an. "Was denkst du denn? Natürlich nicht. Und ich werde auch keines tragen. Di ist meine beste Freundin, aber nicht mal sie ist mir ein Kleid wert. Ich werde ihren Verwandten nicht vorspielen, ich sei eine andere, als ich wirklich bin. Im Kleid ist man total eingeschrenkt; man kann nicht klettern, nicht rennen, nicht kämpfen, nicht wirklich sitzen, nicht Fahrradfahren, keinen Sport machen und auch nicht wirklich laufen. Ich kann aber versuchen, nicht nur Schwarz zu tragen, wenn dich das aufmuntert."
Will lachte. "Ja, natürlich. Victor, kommst du alleine?"
Ich beobachtete meinen Trainer aus dem Augenwinkel. Der beschäftigte sich mit seinem Laptop, und hoffentlich auch damit, mir mein Geschenk für Di zu besorgen. Victor hielt es nicht für nötig, sich in seiner Arbeit zu unterbrechen oder auch nur aufzusehen, sondern antwortete abwesend: "Ja. Wieso, was denkst du denn?"
"Donna?", grinste ich.
Victors Kopf fuhr hoch. "Du hast mir nichts erzählt, ich muss dir auch nichts erzählen."
Er war echt beleidigt. Belustigt zog ich meine Beine an und setzte mich im Schneidersitz auf den Tisch. "Ich kann auch sie fragen. Ich denke, mit der richtigen Überzeugungskraft kann ich sie auf meine Seite ziehen."
Victor wirkte, als wäre er am Ende seiner Nerven, und ich grinste schadenfroh. "Zed hat's dir erzählt, oder? Sonst weiß es niemand. Donna hat geholfen, einen Fall aufzuklären, wir sind ausgegangen, ich habe mich nicht drauf eingelassen und Schluss. Ich bringe Zed um."
Wirklich übel nehmen, dass er etwas ausgelassen hatte, konnte ich es ihm nicht. Hätte wahrscheinlich jeder Mensch mit vernünftigem Verstand. Selbst ich. Zufrieden sah ich zu den Einkäufen. "Okay. Vicki, du buchst eine Disco, ich kümmere mich um die Musik und Will macht den Rest."
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Relieving Lake (Die Macht Der Seelen- FF)
Fanfiction|| "Du bist mir wichtiger als das meiste andere und ich liebe das. Du bist depressiv, und das gehört zu dir, zu der Person, in die ich mich verliebe. Ich werde niemals einfach gehen. Und es würde mich niemals zerstören, mit dir zusammen zu sein. Es...