Kapitel 9)

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Die nächsten Tage vergingen wie im Flug.
Diamond, Trace und ich bauten eine starke Freundschaft auf, und obwohl wir uns erst seit etwas mehr als fünf Tagen kannten, hatte ich am Sonntag Morgen das Gefühl, nie bessere Freunde gehabt zu haben. Gestern waren wir mit Alice nach Aspen gefahren, weil Diamond gemeint hatte, sie müsse mir die Umgebung vorstellen. Auf halben Weg hatten wir eine Panne, weshalb wir das Auto an den Straßenrand schoben, einen Abschleppdienst riefen und danach zu Fuß weiterliefen. Mitten durch den dichten Wald, der von schweren Tropfen bedeckt war. Trace und Diamond hatten gewettet, dass ich es nicht schaffen würde, ihn im Wettklettern auf einen großen Stein zu besiegen, sie für mich, er für sich. Jetzt schuldete er ihr einen Zehner.
Der Weg nach Aspen war langwidrig und anstrengend gewesen, aber es hatte sich gelohnt. Als wir ankamen, spendierte Trace Kaffee und Kuchen, und außerdem hatten wir unterwegs eigentlich ununterbrochen gelacht- weshalb ich auch von diesem Stein gefallen war und mir die Wange aufgeschürft hatte.
Mein schlechter Einfluss auf Diamond war ausgeartet, sie hatte sich über mich lustig gemacht, was Trace wiederrum zum Brüllen fand. Es war schön, zwei Menschen gefunden zu haben, die genauso gehirntot waren wie ich.
Müde stolperte ich die Treppe zum Frühstück nach unten, von wo mir schon der wunderbare Geruch Diamonds Kaffees entgegenstieg. Wie üblich stand Trace am Herd- ich hatte ihm beigebracht, wie man richtige Pfannkuchen machte- und Di werkelte an der Kaffeemaschine herum.
"Ah, meinte Prinzessin, sie könne auch mal aufstehen und ihren Allerwertesten runterbewegen, um uns zu helfen?", fragte Di spitz.
"Wenn ich hätte helfen sollen, hättest du mich wecken können", erwiderte ich zuckersüß. Inzwischen hatte ich keine Scheu mehr, meine Faulheit zu zeigen, denn wenn es die Beiden gestört hätte, hätten sie schon längst etwas gesagt.
"Mensch, es ist bei euch auch jeden Morgen das Gleiche!", schimpfte Trace belustigt.
"Klappe!", kam es von uns Beiden unisono.
Ich ging zur Kücheninsel, wo Diamonds Handy lag und wie wild blinkte und schaltete die Tastensperre aus. Eine neue Nachricht von Crystal. Glücklicherweise war sie so kurz, dass ich sie lesen konnte, ohne Di nach ihrem Code fragen zu müssen. "Crystal schreibt, die eine Hälfte sei für Starbucks, die andere für euer Haus."
Offenbar war noch nicht entschieden, wo das Familientreffen stattfinden sollte. Diamond goss zwei Kaffee in Tassen ab und stellte sie neben mich, dann warf sie auch einen Blick auf ihr Handy. "Was meint ihr? Ich persönlich finde Starbucks zu hektisch."
"Kommt drauf an, ob irgendwer mit dem Kaffee von Starbucks mithalten kann- und derjenige auch noch gewillt wäre, mir einen zu machen", überlegte ich laut.
Trace grunzte missbilligend. "Lake, ich bin mir ziemlich sicher, dass es nicht gesund ist, wie du das Zeug konsumierst. Ich stimme Di zu, Starbucks wäre zu hektisch. Damit steht nur noch hier."
Ich beobachtete ihn skeptisch. "Sagst du das jetzt, um mich zu nerven oder weil du wirklich nicht hinwillst?"
Er streckte mir eine Hand hin und, ich gab ihm augenverdrehend den gewünschten Teller. Während er mit einem gekonnten Hüpfer die Pfannkuchen auf den Teller schleuderte, erklärte er: "Ich will wirklich nicht hin, aber dass es dich stört ist ein sehr angenehmer Nebeneffekt. Und da du uns in den Tod nerven würdest, wenn du keinen Kaffee kriegst, werde ich Crystal bitten, einen zu machen, der ist gut."
So richtig überzeugt war ich immer noch nicht, aber ich beschloss, es drauf ankommen zu lassen. "Wenn das so ist. Und ich habe wirklich Aufenthaltszwang?"
Ich hatte die letzten Tage unzählige Male darum gebeten, abwesend sein zu dürfen, aber das erweckte in Trace und Diamond nur die sadistische Ader. Oder ich war das, jedenfalls machte ihnen meine Abneigung Spaß, denn sie schoben es auf Angst. Dass ihre Familie mich nicht annehmen würden. Das war natürlich totaler Müll, wieso sollte ich Angst haben? Ich kannte die nicht, ich hatte keinen Grund, mich davor zu fürchten, dass sie mich nicht mochten.
"Jaaa", zwitscherte Diamond, "das wird dir bestimmt Spaß machen!"
"Sicher", murmelte ich.
Trace überreichte mir den mit Pfannkuchen gefüllten Teller und deutete auf den Tisch. "Los, mach dich nützlich, deck den Tisch. Oder hast du wieder vergessen, wo die Gabeln sind?"
"Das war einmal, Trace. Ich habe ein einziges Mal vergessen, wo euer Besteck ist."
"Hm", machte Diamond wenig überzeugt, "aber ich werde nie verstehen, wieso du sie im Kühlschrank gesucht hast."

Diese Diskussion würde ich verlieren, also gab ich lieber sofort auf und fing an, den Tisch zu decken. Ich hatte das Besteck nicht im Kühlschrank gesucht, sondern nur nicht mitbekommen, dass das der Kühlschrank war, aber wenn ich das sagen würde, würden die Beiden sich nur noch mehr lustig machen.

Nach dem Essen zwang Diamond mich, etwas von den Sachen anzuziehen, die Sky und Phoenix für mich gekauft hatten. Eine weiße, lange, enge Hose und das grüne Top. Diamond wollte mich schminken und frisieren, wogegen ich mich nicht hatte wehren können, aber bevor ich sie reinließ, schmierte ich noch Concealer über die Wunden. Sie verheilten langsam, aber die Narben waren zu sehen und außerdem waren viele der Wunden noch rot.
Erst danach ließ ich meine Freundin ins Zimmer. Sie betrachtete mich und Staunen trat in ihre Augen. "Lake, du siehst umwerfend aus!"
Das glaubte ich nicht, aber ich würde ihr nicht widersprechen. Das war sowieso etwas, was man besser nicht tat, Trace hatte recht gehabt; Diamond beharrte auf ihrer Meinung. Man musste gar nicht erst anfangen, eine andere Meinung vorzubringen.
Diamond drückte mich im Bad auf den Klodeckel und sammelte Schminke aus einem Korb ein. "Ähm...", machte ich vorsichtig, "Di... ich will nicht-"
Sie unterbrach mich mal wieder: "Ja, ich weiß, Lake, du willst nicht zu sehr geschminkt werden. Genauer gesagt, du willst gar nicht, aber das lass ich nicht zu. Aber ich werd' drauf achten, versprochen."
Sie kam mit ihren Folterwerkzeugen auf mich zu und hockte sich vor mich hin. Glücklicherweise hatte ich keine Augenringe, sodass sie mir diese klebrige Masse nicht ins Gesicht kleben musste, aber Diamond meinte, ich hätte 'die perfekte Augenfarbe für Smockey-Eyes.' Ich war mir ziemlich sicher, dass ich es bereuen würde, sie je an mich drangelassen zu haben, doch jetzt würde ich das erst einmal erdulden. Nachdem ich mich geweigert hatte, sie Lippenstift auftragen zu lassen, musste ich aufstehen, damit sie besser an meine Haare kam. Diese hatte ich zuvor gewaschen und geföhnt, jetzt kämmte sie sie.
"Ich kann das auch selbst", wies ich sie vorsichtig auf meine Selbstständigkeit hin.
"Jaja, vergiss es, ich mache das. Halt einfach still und lass mich machen."
Sie legte die Bürste weg, glitt von unten durch meine Haare, um das Volumen zu verstärken. Dann nahm sie meine Haare nach oben, fasste sie zusammen und band sie zu einem unordentlichen Dutt. Als sie mich vor den Spiegel schob, kniff ich die Augen zusammen, weil ich nicht sehen wollte, wie ich aussah.
"Augen auf, du siehst megaheiß aus", befahl sie belustigt.
Im Gewissen, dass ich mich sowieso nicht würde wehren können, öffnete ich die Augen. Ungläubig sah ich mein Spiegelbild an. Das war doch nicht ich! Ich war jemand, der schwarz trug, der sich nicht um sein Aussehen bemühte und der morgens zehn Minuten im Bad brachte, Duschen eingeschlossen.
Aber im Spiegel blickte mir eine Schönheit entgegen. Hohe Wangenknochen, strahlende Augen, perfekt gebräunte Haut und eleganter Stil. Die hochgebundenen Haare gaben dem ganzen den letzten Stich.
"Wieso willst du, dass deine Familie einen falschen Eindruck von mir bekommt?", fragte ich misstrauisch.
Diamond lachte leise. "Das habe ich nicht für meine Familie getan, sondern für dich. Dieses Mädchen, das du gerade siehst, sehen Trace und ich jeden Tag. Du siehst immer so aus, aber ich wusste, dass du es nicht erkennst, wenn ich es dir nicht so zeige."
Ungläubig sah ich ihr im Spiegel in die Augen. "Du wusstest...?"
Sie nickte. "Ja, ich weiß, was du von deinem Aussehen hältst. Dieses demonstrative Egal-Sein-Lassen, diese tiefe Abneigung Mode und Shoppen gegenüber, das ist dein Abwehrmechanismus. Ich behaupte nicht, dass du es nicht wirklich hassen würdest, aber das ist deine Art, zu verbergen, was du im Spiegel siehst. Aber guck hin. Merk es dir. So siehst du jeden Tag aus. Du bist wunderschön, Lake."
Ich sah wieder auf mich. Ich sah schlank aus, ich war nicht süß. Ich war heiß. "Danke", sagte ich. Ich fand keinen Ausdruck dafür, wie unglaublich dankbar ich Diamond in diesem Augenblick war.
"Gerne", grinste sie, stolz auf ihr eigenes Werk. "Und jetzt lass uns nach unten gehen, ich höre Uriels Auto."

Relieving Lake (Die Macht Der Seelen- FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt