Kapitel 28)

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Die Anderen sahen uns komisch an, als wir zurückkamen, aber niemand fragte, was los war. Will lief dicht bei mir, hatte seine Hand mit meiner verschränkt, aber das war inzwischen sowieso Standart. Wir gingen zurück zu Victor, der es sich inzwischen auf dem Sofa bequem gemacht hatte. Dafür, dass er FBI-Agent war, war Victor unglaublich faul, fiel mir auf.
>Weiß Victor es?<, fragte ich Will abgelenkt davon, dass der drittälteste Bruder mich misstrauisch anstarrte, als ich mich mit Will neben ihm niederließ.
>Keine Ahnung. Victor weiß vieles, aber er sagt es einem meistens nicht<, antwortete Will belustigt. >Sagst du mir eigentlich mal, was da zwischen euch läuft? Die Unterhaltungen, du hast sein Bier getrunken, nein, warte, er hat dir dein Bier gegeben! Der Victor, den ich kenne, würde niemals sein Bier für jemanden abgeben.<
Er fragte nachdrücklich, aber ohne Eifersucht. Vielleicht hatte er auch endlich verstanden, dass Victor niemals so dumm wäre, etwas mit mir anzufangen. Oder er war sich einfach sicher, dass ich, wenn ich ihn haben könnte, nichts mit seinem Bruder tun würde.
>Victor ist... eine Art bester Freund. Auf seine eigene Art und Weise.<
"Wollt ihr euch den ganzen Tag noch telepathisch unterhalten und mich aus eurer Seelenspiegel-Unterhaltung ausschließen oder redet ihr laut? Gott, mir ist so langweilig, ich könnte mir jetzt sogar Lakes Scheißstimme anhören."
Ich lächelte Victor falsch an. "Ja, wir dich auch. Woher weißt du...?"

Victor sah mich eisig an. Wahrscheinlich war das seine Art zu sagen, dass er mir Glück wünschte. Seit ich ihn kannte, hatte ich ihn noch kein einziges Mal lächeln sehen. War es eine Krankheit? Hoffentlich war die nicht ansteckend. Aber... sollten wir ihn dann nicht besser ins Krankenhaus bringen? Dann wären wir ihn auch los.
"Ich wusste es von dem Moment an, indem Will und du euch zum ersten Mal gesehen habt. Es war klar. Ich kann ja nichts dafür, dass alle Anderen so unfassbar blind sind", antwortete er kühl.
Ich boxte ihn leicht gegen den Oberarm. "Victor, du Verkuppler! Schön, dass du dir so große Mühe gegeben hast, es uns zu vermitteln. Nur weil dich nie eine haben werden will, selbst wenn du deinen Seelenspiegel finden würdest, musst du deine Übellaunigkeit übrigens nicht an uns auslassen. Es ist schon okay, es gibt viele Männer, die ewiger Single bleiben."
Victors Hand lag auf seiner Pistole. Ob das Absicht war oder eine unterbewusste Reaktion, wusste ich nicht, aber das hieß, dass ich mich besser aus dem Staub machen sollte. Doch ich konnte nicht anders, als ihn zu provozieren. Es machte einfach zu viel Spaß.
"Deine Versuche, dein Selbstmitleid zu überspielen, weil du dich selbst zurecht hasst, sind erbärmlich, Lake", gab Victor dann emotionslos zurück.
"Ich wusste nicht, dass ich meine Augen dich widerspiegeln", säuselte ich zurück. "Aber dann werde ich sie wohl entnehmen lassen, es ist nämlich grässlich, auf irgendeine Weise mit dir in Verbindung gebracht werden zu können."
Will hörte stumm zu, ein Grinsen auf dem Gesicht. Immerhin glaubte er mir jetzt, dass ich nichts mit Victor am Laufen hatte. Der erwiderte: "Das ist gut, wenn diese Augen weg sind, muss man sich vielleicht nicht zu Tode kotzen, wenn man dich sieht. Kann man den Rest auch gleich austauschen lassen?"
"Gott, wir haben einen Ernstfall, du musst sofort in die Klinik. Sag den Ärzten, er sieht sich selbst um sich herum", spottete ich halb an Will gerichtet.
"Du solltest dir ein Gehirn transplantieren lassen, denn falls du eins hast, ist das für nichts zu gebrauchen", entgegnete Victor, zunehmends genervt. Wahrscheinlich, weil ich Kontermeisterin war.
"Argh, es spricht!", feuerte ich daraufhin zu ihm. Will fing leise an zu lachen.
Victor rieb sich die Schläfen. "Du bist unglaublich kindisch, Lake."
Grinsend antwortete ich: "Ich passe mich bloß dem Umgebungsniveau an. Nichts für Ungut, Will, du kannst nichts dafür, dass du dein ganzes Leben unter Victors Einfluss standest."
Das hätte ich vielleicht nicht machen sollen. Jetzt hatte ich Will gegen mich, der im Gegensatz zu Victor auf handgreiflich werden konnte. Victor erhob sich genervt und ging davon, während Will mich auf die Couch drückte, meine Glieder mit seinen Knien festhielt und anfing mich zu kitzeln. Ich wand mich, aber ich konnte ihn nicht abwerfen, dafür war er zu schwer.
"Ich ergebe mich", kicherte ich. "Alles, was du willst!"
Will hörte für einen Moment auf und beugte sich weiter zu mir runter. "Alles?", fragte er leise.
Ich biss mir auf die Unterlippe, und er fing wieder an, mich zu kitzeln. "Alles!", versprach ich, als ich es nicht mehr aushalten konnte. Will würde sowieso nichts von mir verlangen, von dem er wusste, dass ich mein Versprechen nicht halten konnte.
"Ritzt du dich, Lake?", fragte Will, ohne vorher etwas gesagt zu haben. Mein Blick glitt zu meinen Unterarmen. Ich wollte ihn unbedingt anlügen. Ich log immer, wenn es um ein ernstes Thema ging. Vor allem Personen gegenüber, bei denen ich das Gefühl hatte, ich könnte die Wahrheit sagen. Im letzten Moment log ich immer. Aber bei Will ging es nicht. Victor oder jemand Anderes hätte ich ohne Probleme das Blaue vom Himmel erzählt, aber meinem Seelenspiegle musste ich die Wahrheit sagen.
"Ja", antwortete ich gepresst. Das war Will. Er war nicht wie Victor, er würde es mir nicht verbieten. Will tat so etwas nicht. Will war nicht so sehr auf seinen eigenen Vorteil fixiert, Will hatte wenigstens das kleinste Bisschen Verständnis für meine Situation. Hoffentlich.
"Du musst mir versprechen, dass du dich ab jetzt nur noch selbst verletzt, wenn ich dabei bin. Das betrifft alle Arten von Selbstverletzung, sowie dass du mich anrufst, wenn du einen Absturz hast. Es ist mir egal, ob es mitten in der Nacht ist oder während des Tages."
Meine Augen unschuldig aufgerissen starrte ich zu ihm hoch, doch kein Erbarmen zeichnete sich in seinem Blick ab. Er meinte das todernst. Fast alle Anderen hätten versucht, mich dazu zu zwingen, mit dem Ritzen aufzuhören. Aber Will wollte nur dabei sein. Ich hatte ihn nicht verdient. Natürlich wollte ich auf gar keinen Fall, dass er dabei war, das war etwas Intimes, das war etwas, das ich zwischen mir und meinem Körper ausfechten musste, aber ich verstand den Wert dieses Versprechens, das er mir abverlangen wollte.
"Was wenn ich es nicht verspreche? Oder wenn ich das Versprechen breche?", fragte ich offen.
Will musterte mich mal wieder. Sein Blick war von Gedanken getrübt, die ich nicht erraten konnte. Aus dem Augenwinkel sah ich, wie Victor zu uns blickte, doch ich ignorierte ihn einfach. "Das Brechen eines Versprechens zwischen Seelenspiegel löst bei der anderen Hälfte einen Alarm aus", behauptete er. "Und wenn du es nicht versprichst, werde ich dich wohl in den Wahnsinn kitzeln müssen."
Er drohte mir nicht damit, Victor zu Hilfe zu holen. Er wollte mich nicht dazu zwingen. Er bat lediglich um das Versprechen, mit der lächerlichen Drohung, er würde mich weiterkitzeln. Allerdings wollte ich auch nicht weiterhin gekitzelt werden. Ich legte den Kopf zur Seite und sah weg. Diese Entscheidung würde ich bereuen. Ich sollte unter allen Umständen das Kitzeln wählen, ihm nichts versprechen. Sonst würde ich es bitter zu stehen kommen. Diese Wahl bog keinerlei Vorteile für mich. Er würde mich nur daran hindern, meine Schmerzen zu verarbeiten, auf meine Art.
Also traute ich kaum meinen Ohren, als ich meine Stimme sagen hörte: "Ich verspreche es."
Ob es die Seelenspiegel-Verbindung war, die mich dazu trieb, das zu sagen, oder meine Gefühle für Will, aber ich hieß es nicht gut. Ich würde die Worte sofort zurücknehmen, wenn ich könnte. Aber ich hatte es gesagt. Damit war mein verdammtes Schicksal mit einer weiteren Unterschrift unterzeichnet. Jetzt hatte Will ernsthaften Eingriff auf mein Leben.
Gott, was hatte ich nur getan?
Er beugte sich zu mir runter und küsste mich sanft. Kurz und dankend. "Wirst du es deiner Familie sagen?", flüsterte ich.
Will runzelte die Stirn. "Was? Dass du depressiv bist? Nein, sicher nicht. Dass du mein Seelenspiegel bist? Willst du, dass sie es erfahren?"
Seine Augen waren warm. Er ließ mir die Wahl. Er würde nicht verraten, was ich geheimhalten wollte. "Nein", antwortete ich. Nicht, weil ich mich dafür schämte. Will zu haben war eine unglaublich große Ehre. Aber ich hatte ihn ja nicht wirklich. Das hier war nur eine Lüge, ein Trugbild, und es würde nicht lange dauern, dann würde dieses Trugbild vorüberziehen. Und dann wollte ich auf keinen Fall in dem Schlamassel stecken, dass seine Eltern und der Rest seiner Familie mich als jemand Besonderen für ihn kennengelernt hatten, der ich nicht war. Und ich wollte auf keinen Fall etwas Anderes als seine Familie in den Personen hier sehen. Das war nicht meine Familie. Das war seine. Genauso, wie das hier Traces und Diamonds Haus war und nicht meines. Wie es ihr Zuhause war, nicht meines. Ich hatte kein Zuhause außer mir. Ich war meine eigene Heimat, nur momentan wurde diese in ein anderes Staatsgebiet verlegt, bis sie wieder auf Wanderschaften gehen würde.
"Irgendwann werden sie es erfahren", meinte Will bedächtig. Irgendwann würden sie erfahren, dass das Mädchen, das zwischendurch hier geschlafen hatte, sein Seelenspiegel gewesen war. Das Mädchen, an das sie sich zu dem Zeitpunkt wahrscheinlich nicht einmal mehr erinnern konnten. Dann würde ich schon längst weg sein. Vielleicht im Krieg an der Front gestorben. Vielleicht hatte ich Selbstmord begangen. Vielleicht war mein Flugzeug abgestürzt. Vielleicht lebte ich ja auch noch und war Lieutnant in der Bundeswehr.
"Ich will es nicht an die große Glocke hängen", wich ich aus. Will sah mich verständnisvoll an. "Du traust nicht darauf, dass es hält", stellte er klar. So konnte man es auch bezeichnen. Aber dass er es herausgefunden hatte... Menschen ließen sich von meinen Lügen verwirren. Ließen sich belügen, ohne auch nur einen Gedanken daran zu verschwenden, dass ich nicht die Wahrheit sprach. Er hingegen...
"Es wird halten", sagte er. "Egal, ob du daran glaubst oder nicht. Es wird mit Sicherheit halten, und in dreißig Jahren bist du vielleicht ausgebildeter Bodyguard und übernimmst mit mir zusammen Aufträge, oder du bist erfolgreiche Skifahrerin. Oder du bist eine Sekretärin."
Den letzten Satz sagte er nicht neckend, als wolle er mir beweisen, dass es ihm egal war, was für einen Weg ich einschlug. Dass ich seinetwegen alles werden könnte, was ich wollte, dass er mich trotzdem irgendwann lieben würde. "Ausgebildeter Bodyguard wäre geil", schmunzelte ich.
Will küsste mich kurz. "Wenn du das möchtest, wirst du es."
"Du solltest deinen Job aufgeben und Therapeut werden", frotzelte ich, aber seine Worte gaben mir wirklich einen leisen Hoffnungsschimmer. Wie konnte ich nur mit so jemandem wie ihm beschenkt sein? Es gab so viele tolle Frauen da draußen, und ich kriegte ihn.
Will grinste. "Bedaure, ich bin ziemlich zufrieden mit meinem Leben. Allerdings brauche ich ein Haus, weit weg von meinen Brüdern. Mit Pool und irgendetwas zum Klettern für dich."
Ich schnaubte. "Du weißt seit etwa einer halben Stunde, dass ich dein Seelenspiegel bin, und jetzt denkst du schon übers Zusammenziehen nach?"
"Ich denke seit Dienstag übers Zusammenziehen nach", erwiderte er mit einem unschuldigen Lächeln.
"Es tut mir echt wahnsinnig leid, dass ich euch aus eurer Flirt-Welt reißen muss, aber die Anderen warten", sagte plötzlich Xav, der neben unserer Couch stand. Will erhob sich elegant von mir und streckte mir die Hand entgegen, um mir aufzuhelfen, die ich ebenso elegant ignorierte. Xav sah mich mit leisem Spott an.
"Deine Haare sehen aus, als hättest du einen Elektroschock erlitten, Lake", sagte er grinsend.
Ich klopfte ihm auf die Schulter und sagte gespielt mitleidig: "Ich wollte nur nicht, dass du dich alleine fühlst."
Will zog mich von seinem Bruder weg, wahrscheinlich aus Mitleid mit dem. Xav sah mir schmollend hinterher, bis Crystal sich ein Herz nahm und ihrem Freund zur emotionalen Hilfe eilte. Will sah mich unterdess fragend an.
"Was ist heute nur mit dir los? Du ärgerst ja immer gerne, aber heute fallen dir auch laufend Sprüche ein, die du dringend loswerden musst, oder?"
Ich setzte meinen Hundeblick auf und sah ihn unschuldig an. "Familientreffen sind einfach der beste Zeitpunkt dafür; lauter Menschen, die Opfer meiner Kreativität und des Internets werden können. Sei lieber froh, dass du momentan noch außen vor gelassen wirst, weil du mein Seelenspiegel bist."
"Vergiss es. Lass bitte den Hundeblick, es sei denn, du willst, dass meine Familie gleich auf ziemlich rüde Art erfährt, dass du mein Seelenspiegel bist."
Ich zwang mich dazu, meine schmollende Unterlippe verschwinden zu lassen und lehnte mich stattdessen mit verschränkten Armen gegen die Wand. "Wenn das so schon anfängt, war das auf jeden Fall eine mordsschlechte Idee. Schon wird mir ein Gesichtsausdruck verboten."
Will stützte sich mit einer Hand neben mir am Türrahmen ab. "Dabei bleibt's, versprochen. Ich steh nicht drauf, meiner Freundin Dinge zu verbieten. Du bist ein freier Mensch, du gehörst mir nicht. Ich bin manchmal nur etwas... explosiv. Aber weniger als meine Brüder, insofern hast du ein Schwein gehabt. Victors Seelenspiegel wird wahrscheinlich nur rumkommandiert, Phoenix muss immer auspassen, dass Yves nicht irgendetwas in Brand steckt und Sky muss sich damit herumschlagen, dass Zed denkt, sie wäre als Mädchen für Mode und gutes Aussehen zuständig."
Neckend sagte ich: "Ja, mit dir habe ich echt einen richtigen Prachtkerl erwischt."
"Was soll das denn heißen? Höre ich da Ironie? Ich bin ein Prachtkerl", foppte er leise.
"Aber absolut. Und Zed guckt."
Will stieß sich so unauffällig wie möglich von der Wand ab und schlenderte mit mir weiter zu seinem Bruder. "Wie geht's?", fragte Will lässig.
"Meine Freunde wollen deine Nummer", wandte Zed sich an mich. Seinen Bruder ignorierte er ziemlich gekonnt, aber ich konnte es noch besser. Ich runzelte die Stirn. "Wieso das denn? Kannst du mir das Video schicken, falls ich einen Beweis gegen McGonagall brauche?"
>Lake?<, fragte Will scheinheilig.
Ich verdrehte die Augen. Er war ja nicht dabei gewesen. Sondern im Gefängnis. Wegen mir. >Ich bin in Zeds Schule eingebrochen- während der Schulzeit- und habe mich mit der Direktorin gestritten. Er hat's gefilmt, sie hat mich geschlagen und ich brauche ein Druckmittel. Und was Zeds Freunde wollen, weiß ich auch nicht.<
Zed zuckte die Schultern. "Du hast Eindruck hinterlassen. Die ganze Schule hat über dich gesprochen. Niemand spricht so mit der Thompson, und dann auch noch eine Frau... meine Freunde stehen auf die Badgirl-Masche. Übrigens gibt es Gerüchte, dass du dich in einem Café direkt danach mit Vic gestritten hast. Ein Zehntklässler soll es angeblich gesehen haben. Niemand weiß genau, was er gesehen hat, weil er nicht viel spricht, aber immerhin ist das Gerücht bei uns angekommen. Aber naja, die reden ja auch ständig über dich und Will."
Ich presste die Lippen aufeinander. Natürlich war ich es gewohnt, dass man über mich sprach, aber meistens war ich anwesend. Oder auf der Schule, sodass ich die Gerüchte wenigstens zu Ohren bekam.
"Ich schätze, ich muss euch Montag nochmal besuchen", sagte ich ausdruckslos.
Zed wirkte verwirrt. "Wieso das?"
"Weil ich erstens wissen will, was genau sie reden, zweitens diesem Zehntklässler eine reinhauen muss und drittens wissen will, was sie als Nächstes so reden. Wie heißt der Typ?"
Zed hob die Hände kapitulierend. "Tut mir leid, aber es wäre echt grob fahrlässig, dir das zu sagen. Ich passe. Kannst ja sehen, was du aus Sky rauskriegst. Kriegen meine Freunde deine Nummer jetzt oder nicht?"
Ich schnaubte. "Sicher nicht. Sie sehen mich Montag vermutlich sowieso, aber ich werde ihnen meine Nummer nicht aushändigen, ich stehe nicht so auf Möchtegern-Badboys mit zu viel Geld."
Zed zog die Augenbrauen zusammen und ich fügte hinzu: "Dich zähle ich nicht dazu. Du hast das Geld von Yves."
Bevor er mich schlagen konnte, eilte ich davon, um den nächsten Bruder zu ärgern. Der gerade Yves war. Ich wechselte einen schnellen Blick mit Will, der ja gerade noch erwähnte, dass Yves explosiv war.
"Yves?", trällerte ich. Sein Kopf fuhr herum und er sah mich überrascht an.
"Lake. Was ist?"
Ich verzog das Gesicht. "Eigentlich nichts, ich will dich nur ärgern, mir fällt gerade aber nichts ein."
Yves verdrehte die Augen. "War eigentlich klar, wenn es von dir kommt. Komm, geh jemand Anderes ärgern, ich habe gerade keine Lust. Wann wirst du eigentlich erwachsen?"
Ich dachte kurz nach und fasste dann einen Entschluss. "Ich glaube, das ist mein Endstadium. Immernoch besser, als wenn man mit 18 so tut, als sei man allwissend und der Herr der Welt, nicht wahr, Yves? Übrigens hätte meine Brandstiftung glatt von dir kommen können, wie ich gehört habe? Macht es mit der Gabe genauso viel Spaß wie so?"
Yves heftete seine dunklen Augen auf mich. "Willst du herausfinden, ob es mir Spaß macht, dich zu verbrennen?"
Ich grinste provozierend. "Ganz schön blutrünstige Gedanken für jemanden, der so erwachsen und reif ist wie du, oder?"
Yves funkelte mich zornig an, als er merkte, wozu ich ihn trieb. Ich schätzte, dass gehörte auch zu meiner Gabe. Leute provozieren, beziehungsweise meine Art auf sie zu übertragen. Dazu gehörten auch Wut, kindisches Benehmen und Rachsucht.
"Lake, geh weg und beeinflusse jemand Anderes", forderte er mich mit zwanghaft freundlicher Stimme auf.
Ich lehnte mich gegen die Kücheninsel. "Das haben mir heute schon ziemlich viele gesagt. Und ehrlich gesagt macht es gerade Spaß, dich zu nerven. Vielleicht könntest du dann auch Victor Feuer untern Arsch setzen, dass er mir endlich 'ne Pistole beschafft, damit ich mich verteidigen kann, hm?"
Yves hielt sich mühsam ruhig. "Wo ist deine Erziehung gescheitert, Lake?"
Ich zuckte die Schultern. "Vermutlich beim Tod meiner Mutter."
Es tat zwar weh, so leichtfertig darüber zu reden, aber Yves Zusammenzucken, genau die Reaktion, die ich mir erhofft hatte, machte es wett. "Es... sorry", murmelte er beschämt.
"Hey, alles gut", grinste ich. "Ich wollte nur dieses Gesicht sehen. Wenn die Schuldgefühle zu schlimm werden, kannst du zu Will gehen, der macht 'ne Klinik auf. Victor ist auch schon Patient."
"Das habe ich gehört, Lake!", herrschte Victor von seinem Standort aus zu mir rüber, an dem er sich mit Saul und Phoenix unterhielt.
"Genau so war es auch gedacht", erwiderte ich mit einem Strahlen, dessen Verlogenheit hoffentlich deutlich zu sehen war. "Um dir zu beweisen, dass ich ein von Grund auf aufrichtiger Mensch bin."
Will rieb sich übers Gesicht. "Wie kann man an einem einzigen Tag nur so unglaublich viel Mist von sich geben?", fragte er baff.
"Ich fange ganz früh damit an", erwiderte ich sofort. Yves murmelte etwas von wegen, er würde sich eine Therapie ernsthaft überlegen, wenn er mich noch einmal sehen müsse, und wanderte davon. Ich grinste zufrieden.
"Damit ist mein Nervbedürfnis für einen Tag gestillt", behauptete ich. Will lächelte einfach nur.


Die Anderen gingen erst spät am Abend, aber Will blieb. Diamond und Trace waren schon im Bett, als wir uns auf mein Zimmer schlichen. Hinter mir zog ich die Tür zu und sah mich in meinem Zimmer um, froh, endlich hier zu sein. Will hatte sich schon auf mein Bett gelegt und beobachtete mich.
"Wo schläfst du?", fragte ich zögerlich.
"Im Bett", antwortete er selbstbewusst. "Hast du 'ne Ersatzzahnbürste?"
Ich nickte. "Glaub schon, die war im Schrank, als ich eingezogen bin."
Wir putzten Zähne, ich wusch mir die Schminke von meinen Armen und ließ zu, dass Will sich meine Wunden ansah. Entsetzen stand in seinem Gesicht, aber er sprach nicht. Er strich sanft über die Ränder der blutigen Schnitte, betrachtete die hellen Narben und bestand darauf, sich auch die an meinen Rippen anzusehen. Sein Blick war traurig, als er den Kopf hob und mir in die Augen sah, aber darin war kein Vorwurf, keine Abscheu, kein Unverständnis.
Stumm zog ich mir meine Jeans aus, schlüpfte in meine kurze Sporthose, die ich zum Schlafen immer trug und in das weite Shirt und ließ mich ins Bett fallen. Will machte das Licht im Bad aus und kam nur mit Boxershorts bekleidet hinterher. Ich lag auf der Seite, eine Hand mit seiner verschränkt, die andere unterm Kopf, während er mit seiner freien Hand über meine Wange streichelte.
"Ich habe Angst", flüsterte er schließlich.
"Wovor?", flüsterte ich zurück. Hier, im Dunklen, konnte ich ihn nur schemenhaft ausmachen, aber seine hellen Augen funkelten.
"Ich will dich nicht verlieren, Lake", murmelte er. Ich rückte näher an ihn heran und bettete meinen Kopf auf seinem Arm. Wills Kopf lag Zentimeter von meinem entfernt. Selbst in der Dunkelheit konnte ich sein Sixpack sehen, das Aufgrund der zurückgeschobenen Decke deutlich sichtbar war.
"Du solltest das beenden, bevor ich wichtig für dich werden kann", hauchte ich. "Es ist nicht gut, etwas für einen Depressiven zu empfinden, Will. Entweder, du merkst, dass du es nicht kannst, oder du kannst wirklich etwas für mich empfinden und es zerstört dich. Beende es jetzt, geh und ich ziehe aus. Ich finde auch eine andere Unterkunft."
Er ging nicht darauf ein, sondern fragte nur: "Das hier ist für dich nicht mehr als eine Unterkunft?"
"Es ist Diamond und Traces Haus, nicht meines", erwiderte ich vage. Aber auch wenn es meines wäre, ich würde mich hier nicht Zuhause fühlen. Ich hatte mich zuletzt in dem Haus Zuhause gefühlt, indem ich mit meiner Mutter und meinem Vater gelebt hatte. Danach war alles nur ein Schlafplatz gewesen.
Will strich mir eine Haarsträhne hinters Ohr. "Wir finden einen Ort, an dem du dich Zuhause fühlst."
Ich lächelte gezwungen, obwohl er es nicht sehen konnte. Das würden wir nicht. Wahrscheinlich war er, wenn ich morgen aufwachen würde, schon längst weg. Und wenn nicht, dann würde er mich wann anders verlassen. Aber der Tag, an dem ich feststellen würde, dass ich Will verloren hatte- oder nie gehabt hatte- würde kommen. Und es würde mir das Herz brechen.
Da ich jetzt gerade nicht darüber nachdenken wollte, beugte ich mich zu ihm hinüber und küsste ihn. Will schlang seine Arme um mich und zog mich mit einem Ruck auf sich. Seine Küsse fühlten sich unglaublich gut an. Warm, liebevoll, und doch nicht zu sanft.
Irgendwann lösten wir uns voneinander, ich rollte mich wieder auf meine Seite, doch er küsste sanft über meine Kiefer. "Lake?", wisperte er kaum hörbar an meinem Kinn.
"Hm?", machte ich, die Augen schon geschlossen.
"Du bist mir wichtiger als das meiste andere und ich liebe das. Du bist depressiv, und das gehört zu dir, zu der Person, in die ich mich verliebe. Ich werde niemals einfach gehen. Und es würde mich niemals zerstören, mit dir zusammenzusein. Es setzt mich im wahrsten Sinne des Wortes zusammen."








Relieving Lake (Die Macht Der Seelen- FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt