Ich rannte so schnell wie mich meine Beine tragen konnten. Dabei musste ich darauf achten, dass der Koffer durch mich bedeckt blieb, sonst würden sie ihn und damit auch mich sehen. Ich hörte Pistolenschüsse und ging hinter einer Palette in Deckung. Ich musste tief einatmen um weiter rennen zu können.
Die Schüsse zerstörten mehrere Paletten und ließen die Türme umfallen. Eine Palette riss mich zu Boden und schlug mir den Koffer aus der Hand. Der war jetzt sichtbar und die Männer rannten in die Richtung. Ich rappelte mich wieder auf und rannte ebenfalls darauf zu. Ich hatte einen leichten Vorsprung und erreichte ihn als Erste, hob ihn auf und rannte weiter.
Schon wieder fielen Schüsse und einer streifte mein Bein. Ich unterdrückte einen Schrei und humpelte geduckt weiter. Das Ende der Halle war nicht mehr weit entfernt. Mit letzter Kraft erreichte ich die riesige Schiebetür. Wohin jetzt? Ich sah, wie sich unser Van näherte und mit lautem Quietschen vor mir drehte. Die Türen wurden aufgerissen und Liam streckte mir seine Hand entgegen. Ich nahm sie und er zog mich rein.
Hinter mir konnte ich die Männer irgendwelche Befehle rufen hören und dann wie mehrere Automotoren aufheulten und uns folgten. Liam verriegelte hastig die Van Tür und rief Lexi zu, sie solle schneller fahren. Das tat sie und der Van raste durch die anbrechende Nacht. Ich zog mir die Maske und das Nachtsichtgerät von meinem Gesicht und verschnaufte. Scheinbar waren wir unseren Verfolgern entwischt. Wir wurden langsamer und hielten hinter ein paar Bäumen abseits von der Hauptstraße.
„Das war ganz schön knapp, aber ich glaube wir haben sie abgehängt!", sagte Rowan, die neben mir saß. Ich drehte mich zur anderen Seite und sah zu Liam.
„Was machst du denn überhaupt hier?", fragte ich ihn.
„Alexa und Rowan haben mich angerufen und gesagt, dass ihr Signal zu dir abgebrochen ist", erwiderte er.
Erstaunt sah ich ihn an: „Und dann bist du gekommen, weil du dir Sorgen gemacht hast?"
„Nein", sagte er mit nachdenklicher Miene.
„Oh mein Gott du blutest!", unterbrach Rowan unser Gespräch. Ich sah an mir runter und tatsächlich, da wo mich die Kugel gestreift hatte, war ein grosser roter Fleck im Anzug. Erst jetzt wurde mir der Schmerz in meinem Bein bewußt und ich fing an zu zittern. Lexi schnitt vorsichtig den Anzug auf und legte die Stelle frei. Sie säuberte und nähte dann die Wunde. Um von den unerträglichen Schmerzen im Bein abzulenken, drückte ich mir die Fingernägel in meine Handflächen.
„Bitte mach was! Irgendwas!", presste ich hervor. Lexi gab mir eine Spritze und ich fiel in Ohnmacht.
Als ich aufwachte war es wieder hell. Ich lag auf einem ungewöhnlich weichen Krankenhausbett allein in einem kargen Raum mit einem riesigen Flachbildschirm an der Wand. Liam stand mit dem Rücken zu mir. Ich setzte mich auf und Liam drehte sich um.
„Du bist wach", stellte er fest.
„Ja bin ich. Was ist passiert? Ich weiß nur noch, dass du mir in den Van geholfen hast!"
Er erzählte mir noch mal alles und gab zu sich vielleicht doch Sorgen gemacht zu haben: „Naja, du bist ja schon irgendwie meine kleine Schwester, wenn auch nur halb und ich habe schließlich eine gewisse Verantwortung für dich!"
Das war mit Abstand das Netteste was er je zu mir gesagt hatte. Ich hievte mich mühsam aus dem Bett und umarmte ihn. Damit hat er nicht gerechnet, denn sein Körper spannte sich kurz an aber schließlich legte auch er seine Arme um mich.
„Es tut mir leid. Alles tut mir leid. Ich wollte nicht so gemein zu dir sein, aber ich bin es einfach nicht gewöhnt noch jemanden im Haus zu haben. Eigentlich bist du auch gar nicht so schlimm, wie ich dachte!", gestand er mir.
„Für mich ist es doch auch alles neu und anders!", sagte ich.
Plötzlich klopfte es an der Tür.
Liam riss sich von mir los und trat ein paar Schritte zurück. Rowan und Lexi standen im Türrahmen.
„Dürfen wir rein kommen?", fragte mich Rowan.
„Klar, kommt rein! Wie geht's euch?", fragte ich zurück.
„Wie es uns geht? Wie geht es dir? Du wurdest angeschossen! Ist ja nicht so, dass das voll normal wäre!", sagte Lexi leicht aufgebracht, „Uns geht es aber ganz gut, danke der Nachfrage!"
„Mir geht's auch gut. Die Kugel hat mich zum Glück nur gestreift. Tut trotzdem noch ein bisschen weh aber egal! Aber nun sagt schon!"
„Was?", fragte jetzt Liam, der sich wieder an mein Bett gestellt hatte.
„Naja, was war im Koffer drin? Ihr habt ihn doch noch oder? Bitte sagt mir, ihr habt ihn noch! Sonst wäre es alles um sonst gewesen!", sagte ich leicht panisch.
Sie erzählten mir, dass in dem Koffer tatsächlich das Gift war. Ich war außer mir vor Freude. Würde mein Bein nicht so schmerzen, würde ich durchs ganze Zimmer hüpfen.
Dann kam die Ärztin rein und die drei mussten das Zimmer verlassen.
Sie klärte mich auf, dass die Wunde schon sehr gut aussieht und wohl schnell verheilen würde. Nur eine kleine Narbe würde mich ewig an meinen ersten Einsatz bei HECTA 35 erinnern.Ich verließ das Zimmer und fuhr mit Liam im Fahrstuhl nach oben. Im Fahrstuhl lief leise Musik, die mich an Zuhause erinnerte. Ich möchte mich wieder in mein Bett legen und zwei Tage durchschlafen. Ich war extrem müde, was komisch war, da ich anscheinend genug Stunden geschlafen hätte. Das war zumindest, was die Ärztin gesagt hatte. Es machte Bing und die Türen öffneten sich. Liam, der durchgängig meine Stütze war, schob mich leicht aus dem Fahrstuhl. Um uns herum waren überall Bäume.
„Beech Fork State Park", sagte Liam.
„Was?", fragte ich verwundert.
„Wir sind im Beech Fork State Park oder auch BFS Park, wie ich ihn nenne. Das ist etwa eine halbe Stunde nach Hause, aber HECTA hat Tunnel unter Huntington erbaut, von denen aus es möglich ist hierher zu kommen. HECTA 35 ist ausschließlich unter der Erde", erklärte er mir, aber ich schaute ihn noch immer verwundert an.
„Aber ist es nicht viel zu einfach in HECTA 35 reinzukommen, wenn es in einem Stadtpark ist? ", fragte ich ihn also.
„Eine Art Sicherheitsbarriere wurde um und herum erstellt. Deswegen sehen wir zwar die anderen Leute aber sie nicht uns und den Fahrstuhl sehen sie auch nicht. Wollen wir uns ein Taxi holen und nach Hause fahren. Ich glaube Scott vermisst dich schon! ", erläuterte er mir. Meinen Vater und Fiona hatte ich die ganze Zeit total vergessen. Ich war so begeistert von HECTA gewesen, dass ich überhaupt nicht an meinen Vater gedacht hatte: „Wie lange sind wir denn schon weg und was sagen wir unseren Eltern?"
„Ein Wochenende. Wir waren bei einem Footballspiel in Charleston. HECTA hat bereits Kontakt mit ihnen aufgenommen und ich habe auch angerufen", sagte Liam,„ich hab dich mitgenommen, weil ich dich besser kennenlernen wollte, ok?"
„Warum machst du das für mich?",fragte ich.
„Das ist doch jetzt unwichtig, lass uns einfach gehen", schlug er vor.
Ich nickte nur und wir machten uns auf den Weg.
DU LIEST GERADE
-HECTA 35- Agentin wider Willen
AdventureNeue Stadt, neue Familie, neues Leben. Die siebzehnjährige Bree Sheppard muss umziehen. Schuld daran ist ihr Vater, der Wissenschaftler ist und eine neue Frau hat, Fiona. Sie müssen aus der Großstadt New York zu Fiona und ihrem Sohn Liam nach Huntin...