Ich nahm mehrere Schritte auf einmal, als ich die Treppe runter zu der U-Bahn von HECTA hetzte. Dabei versuchte ich mich so wenig wie möglich in meinem Kleid zu verheddern. Ich stieg in eine Kapsel, setzte mich auf eine Bank an der einen Seite und gab meinen Zielort auf dem Tablet ein. Die Kapsel schoss los. Ich hörte nur meinen schnellen Atem, ansonsten war es leise, fast unheimlich leise. Ich dachte nach. An mein derzeitiges Leben. Vor einer Woche noch, hätte ich gesagt, alles ist perfekt und jetzt lief es bei mir scheiße, obwohl es wahrscheinlich viele Leute gibt denen es noch schlechter geht.
Zum Beispiel meiner besten Freundin aus New York, Alice. Ihre Mutter ist ohne einen für sie ersichtlichen Grund vor einem Monat abgehauen. Natürlich hat sich Alice deswegen Vorwürfe gemacht und als wäre das nicht schon genug gewesen, hat ihr Vater es auch nicht ohne seine Frau ausgehalten. Er fing an Tabletten zu nehmen und starb eine Woche später an einer Überdosis. Daraufhin musste sie zu ihrer Großtante nach Minnesota ziehen. Wir nannten sie immer die verrückte alte Katzenlady, was bei mindestens zehn Katzen gar nicht so untertrieben war. Ich bat meinen Vater Alice besuchen zu können und er willigte ein, mich für ein Wochenende zu ihr zu schicken. In dieser Zeit tranken wir Kakao mit Marshmallows, guckten alte Filme und hörten traurige Musik. Als ich wieder zurückfliegen musste, weinten wir beide und ich versprach ihr sie sobald wie möglich wieder zu besuchen. Ich hatte ihr versprochen alles wird wieder gut.
Ein Satz den man einfach nur sagt damit sich alle besser fühlen. Zu dem Zeitpunkt hatte ich diesen Satz ernst gemeint und das gleiche hoffte ich für mich. Ich hatte gerade meinen Bruder im Stich gelassen, den ich gerade mal seit einem halben Jahr kannte.
Ich kam mit der Hoffnung nach West Virginia, neue Freunde zu finden und endlich eine richtige Familie zu haben. Dabei hatte Fiona echt viel beigetragen. Sie war echt super. Dann hatte ich auch noch Clary, Alec, Maddie, Lexi, Rowan und Shawn. Genau den hatte ich heute enttäuscht. Ich hatte mich selber so gefreut und war jetzt selber daran Schuld, dass wir heute Abend nicht tanzen konnten. Trotzdem war ich gerade auf dem Weg zur Schule. Warum eigentlich? Er war wahrscheinlich eh nicht mehr da.
„Huntington High School", dröhnte es in genau diesem Moment aus den Lautsprechern.
Ich hetzte die Treppen wieder hoch und kam auf der Rückseite der Schulbibliothek raus. Diese war ungefähr fünf Minuten von der Turnhalle entfernt. Als ich an die Vorderseite der Bibliothek trat, sah ich vom Weiten schon die Lichter meiner Schule, Musik war keine zu hören. Ich rannte los und nahm eine Abkürzung hinten um die Schule, da dort die Turnhalle war in der der Ball stattfand. Stolpernd lief ich durch die Gänge. Ich riss die Tür auf und sah weiter hinten noch unseren Vertrauenslehrer Mr. Tremblay, der gerade rote Plastikbecher aufsammelte. Ansonsten war die Halle leer. Ich ging mit schnellen Schritten auf ihn zu und meine Schuhe hallten.
„Mrs. Sheppard! Was kann ich für sie tun? Hatten sie Spaß auf dem Ball?", fragte er mich.
„Ich hätte bestimmt Spaß gehabt, wenn ich hier gewesen wäre!"
„Und das waren sie nicht? Das ist aber schade, bei so einem tollen Kleid!"
Ich lächelte: „Danke...sie können mir wirklich helfen! Wissen sie zufällig ob Mr. Rayment noch hier ist?"
„Shawn Rayment? Ich glaube er ist vor fünf Minuten gegangen. Es sah aus als hätte er auf jemanden gewartet und wenn ich ihren Gesichtsausdruck richtig deute, gehe ich davon aus das dieser jemand sie waren. Wenn sie Glück haben ist er vielleicht noch draußen. Sie sollten sich wirklich auf den Weg machen, wir sehen uns dann ja Montag!"
„Danke Mr. Tremblay und bis Montag!", rief ich schon laufend. Ich lief an den Umkleiden vorbei und rannte beim Abbiegen direkt in Hayes rein, der genauso wie Mr. Tremblay eine große Tüte in der Hand hatte.
„Na Bree? Hast du auch Aufräum-Dienst?", fragte er mich mit einem fiesen Grinsen im Gesicht.
„Nein Hayes habe ich nicht. Ich muss jetzt auch weiter!"
Ich hatte mich schon umgedreht und wollte weiter als er etwas sagte, was mich total aus der Fassung brachte: „Hast du dich doch dazu entschieden für deinen Bruder da zu sein? Ist schon ganz schön hart seinen eigenen Bruder im Stich zu lassen. Das hätte ich nicht von dir erwartet!"
„Das geht dich gar nichts an!", fauchte ich zurück und wollte wieder los als mir etwas auffiel. Woher wusste er das? Ich hatte es niemandem erzählt. Warum auch, es war keine Aktion auf die man Stolz sein konnte. Ich wandte mich ihm wieder zu, doch er war weg. Wie so ein Spion in einem Actionfilm. Ich hasste diese Leute, wie machen die das? Als ich nochmal um die Ecke lief, war er trotzdem weg. Ich öffnete die Flügeltür nach draußen und rannte zum Parkplatz.
Außer Atem und mit schweren Beinen kam ich auf diesem an und sah gerade noch wie das einzige Auto auf diesem Parkplatz die Scheinwerfer anmachte und losfuhr.
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-HECTA 35- Agentin wider Willen
AdventureNeue Stadt, neue Familie, neues Leben. Die siebzehnjährige Bree Sheppard muss umziehen. Schuld daran ist ihr Vater, der Wissenschaftler ist und eine neue Frau hat, Fiona. Sie müssen aus der Großstadt New York zu Fiona und ihrem Sohn Liam nach Huntin...