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"Hä? Und wieso dramatisierst du das jetzt so?" Er schaute mich fassungslos an, die Augen geweitet, den Mund leicht geöffnet.
"Weil ich jetzt nicht mehr Snowboard fahren kann, verdammter Mist."

Das ist seine einzige Sorge? Dass er nicht mehr Snowboarden kann?!

"Gut, du hättest auch tot sein können, aber stimmt, wenn man nicht mal snowboarden kann, dann ist das natürlich viel schlimmer als TOT sein!", gab ich ironisch von mir und verschränkte die Arme vor der Brust.
Wut brodelte langsam in mir auf, meine Hand ballte sich automatisch zu einer Faust zusammen.
"Ja, aber es ist ein fucking gebrochener Knöchel. Die paar Kratzer stecke ich weg, aber das ist einfach nur totaler Mist."
"Ach komm schon, sind nur drei bis vier Wochen mit Krücken, danach kannst du wieder durchstarten."

Er brummte nur irgendetwas unverständliches vor sich hin, was wohl nicht für meine Ohren gemacht war. "Was hast du denen eigentlich erzählt, dass sie dich zu mir lassen?"
Ein schelmisches Grinsen trat in mein Gesicht. "Ich hab denen erzählt, dass wir zusammen sind."

Etwas flackerte in seiner Miene auf, etwas, was ich nicht ganz deuten konnte, doch dann grinste er wieder sein Grinsen."Das hast du nicht getan"
"Wohl doch, zumindest haben die mir das geglaubt. Ich bin gut im Lügen." Gespielt bitchig schmiss ich meine Haare über die Schulter und schaute arrogant drein.

Doch irgendwie kam das bei ihm nicht so witzig an, er verzog keine Miene. Kein Lächeln, nicht mal die kleinste Andeutung von irgendwas.
"Was bist du denn jetzt so ernst? Immerhin leben wir beide noch."
"Hmpf, na ob das hier besser ist?"
"Es ist nur ein Gips, man! Ist ja nicht so, dass die dir gleich das ganze Bein abgeschnitten hätten. Oder du nie wieder laufen könntest, reg dich mal ab!" Wieder trat die Kälte in seine Augen, die ich fast noch nie gesehen hatte an ihm. "Aber es versaut mir meine ganzen Pläne. Für Sylvester. Für den Urlaub. Mit dir."

Mit mir? Er hatte Pläne mit mir?
Ok, guter Witz.

"Tja, dann musst du deine Pläne umstrukturieren, also halb so wild." Meine Neugierde war plötzlich wieder da - und zwar voll da. "Was hattest du denn überhaupt geplant?"
Doch er winkte nur ab. "Ist nicht mehr wichtig, sind eh alle im Arsch."
"Ach quatsch, denk dir einfach neue aus und sei spontan", versuchte ich ihn aufzumuntern.
"Sei spontan, dass ich nicht lache. Geht das mit diesem blauen, hässlichen Ding an meinem Fuss überhaupt?"
"Du tust gerade so, als wärst du querschnittgelähmt und das für immer, aber du musst nur Krücken benutzen, also chill mal deinen Keks."

Langsam regte ich mich schon auf, dass er das alles so dramatisiert. Hallo? Sein Knöchel ist gebrochen und er macht daraus einen Wirbelbruch, also bitte. Der soll mal die Pferde im Stall lassen.
Hach, Baby, bald bin ich wieder bei dir.

"Ja, aber Krücken sind schlimm genug. Morgen ist Sylvester und ich kann die vorletzte Nacht des Jahres nicht mal zu Hause sein, sondern liege im verdammten Krankenhaus."
"Es ist nur eine Nacht, sei froh, dass ich dich daraus gefischt habe, sonst wärst du jetzt irgendwo, aber nicht mehr auf der Erde."

Damit stand ich auf und drehte mich um. "Du kannst mir ja schreiben, wenn du dich nicht mehr wie eine Drama-Queen benimmst, sondern wie ein erwachsener Mann. Tschüss, bis irgendwann mal. Ach ja und merk dir eins: Nichts ist so schlecht, dass es nicht auch irgendwie gut ist."
Mit diesen Worten verließ ich sein Zimmer und stapfte den langen Krankenhausflur entlang.

Draußen dämmerte es bereits, als ich aus dem Krankenhaus trat. Wie sollte ich jetzt zurück ins Hotel kommen?
Ok, die paar hundert Meter konnte ich auch noch laufen. Auch wenn ich nur Jeans, Hoodie und Stiefeletten trug.

Total kontrovers zu meiner vermiesten Tageslaune war dann auch noch die strahlende Abendsonne. Toll, ein Tag im Arsch. Morgen ist Sylvester und ich wollte sie mit der liebsten Person in meinem Leben verbringen: Lena, oder Lennard, aber beide waren zu Hause.

Dachte ich jedenfalls, bis ich missmutig in die Eingangshalle meines Hotel ging und prompt gegen eine harte Brust stieß.
Verdammt, kann heute noch mehr schief gehen?

"Tut mir leid, ich habe Sie nicht gesehen", murmelte ich und trat einen Schritt zurück.
Und genau diese Aktion ließ mein Herz für einen kurzen Moment aussetzen.
Das kann nicht real sein. ER kann nicht real sein. Unmöglich.

"Hey Schwesterherz. Na, freust du dich?", grinste er aus diesen großen, blauen Augen. "Natürlich freue ich mich. Was machst du hier?" Stürmisch umarmte ich ihn und drückte ihn fest an mich. Nie wieder lasse ich ihn gehen.
Naja, vorerst.

Er strich mir beruhigend über den Rücken. "Dich überraschen, nachdem Lena wieder zu Hause angekommen ist und du noch hier bist, dachte ich mir, ich gönne mir mal einen Urlaub.
Und da du jetzt allein bist, dachte ich mir so: Mach doch deine große Schwester mal wieder glücklich."
"Du bist so doof." Ich grinste in seinen grünen Parker hinein.
"Gehen wir heute noch auf die Piste?"
"Klar, gerne." Das kleine Abenteuer von heute ließ ich erstmal außen vor.
"Hast du hier ein Zimmer bekommen?" Er überlegte kurz. "Hab das von Lena doch noch irgendwie bekommen. Glück gehabt."
Ich trat wieder einen Schritt zurück und grinste meinen durchtriebenen Bruder an. "Hast du wieder am Telefon geflirtet, bis du es geschafft hast?" Er grinste verschmitzt.
Dieser Idiot. Aber mein Idiot.
"Könnte schon sein." Dafür bekam er einen Schlag gegen den Oberarm, welchen er sich auch gleich rieb.
"Du verdammt starkes Biest. Wieso trainierst du nur so viel?"
"Weil ich geil bin." Ich warf meine Haare zurück und schnappte mir sein Snowboard.
"Los jetzt, oder willst du hier Wurzeln schlagen?"

Grinsend folgte er mir in den Aufzug hoch zu unseren Zimmern.
"Ich ziehe mich schnell un und dann gehen wir ein bisschen abendlich auf die Piste. Da fällt mir ein, heute ist ja auch noch lange Nacht in Innsbruck."
"Perfekt. Ich verschwinde. Wir treffen uns gleich wieder. In zehn , ich wiederhole, zehn Minuten."
"Ist ja gut. Hab's gecheckt." Damit schloss ich mein Zimmer auf und schnappte mir zum zweiten Mal an diesem Tag meine Skihose und meine Jacke.
Noch einen kurzen Zopf gemacht und die Wimpern getuscht und schon war ich fertig. Zeitgleich mit Lennard öffnete ich die Tür.
"Auf geht's Schwesterchen. Auf eine lange Nacht auf der Piste."
"Fehlt nur noch das Bier hier gerade."

Im Lift fiel mir dann wieder unsere Bier-Challenge von vor ein paar Jahren ein.
"Weißt du noch, die Idee mit dem Bier auf der Piste von uns beiden?"
"Ja klar. Wie könnte ich das je vergessen, wie wir mit unseren beiden Bierflasche zusammengeknallt sind."
"Stimmt. Man, ich hätte gewonnen, wenn du nicht in mich gefahren wärst, aber nein, du knallst ja volle Kanne in mich rein."
"Hättest du eh nicht. Ich bin der King der auf-Ex-Trinker."
"Das Trinktalent haben wir beide geerbt, also Klappe.", widersprach ich und lehnte mich zurück, um Innsbruck bei Nacht zu genießen.

"Ist immer wieder schön hier, oder?", murmelte er plötzlich neben mir.
"Jap ist es. Los, mach den Bügel hoch, wir müssen raus hier."
Also klappten wir beide den Bügel hoch und ließen uns aus dem Lift auf die Piste fallen.
Lennard lenkte mich einfach immer so gut ab, echte Geschwisterpower eben.

Austrian Kisses [ABGESCHLOSSEN✔]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt