10.

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Ich zögerte mit meiner Antwort. Immerhin hat mir hier er gerade angeboten, das Date quasi noch zu verlängern und mit ihm noch mehr Zeit zu verbringen. Andererseits bedeutete das aber auch, dass das echt niedlich von ihm war und so was noch kein Junge vor mir gemacht hat. Und dann auch noch extra für mich, bestimmt macht er sich einen ungeheuer großen Aufwand - und das sollte er definitiv nicht. "Wenn es Dir keine allzu großen Umstände bereitet, dann natürlich liebend gerne." Ein übergroßes Strahlen zierte jetzt sein Gesicht. "Sehr gut. Folge mir."

Also betraten wir beide zusammen eine kleine Lobby, die der meines Hotels glich, und dann den Fahrstuhl nach ganz oben. Als sich die Türen öffneten, klappte mir erst mal die Kinnlade herunter. Wie viel Geld besaß seine Familie bitte? Der ganze Flur war geschmückt mit Gemälden und Bildern, eine weiß lackierte Kommode säumte eine Wand, doch geradeaus war das atemberaubendste, was ich jemals gesehen hatte. Magisch angezogen davon lief ich darauf zu, den Flur entlang, Moritz ignorierend. Die verglaste Flurfront war zu schön anzusehen. In Trance legte ich meine Hand auf die Glasscheibe und schaute über Innsbruck hinweg. Tiefes Einatmen und Ausatmen folgte und ich schloss die Augen. Das letzte Mal, als ich so etwas gesehen hatte, war mit einem traurigen Ereignis assoziiert. Das Bild von meinem Opa erschien vor meinen Augen und lächelte mich warm an. Ungewollt, aber dennoch traurig, lächelte ich zurück.
Ich vermisse dich, Opa. Genau wie dich, Oma.

"Kommst du?" Ich schlug die Augen wieder auf und drehte mich zu Moritz um, der vollgepackt mit Decken und Kissen vor mir stand. "Soll ich Dir helfen?", bot ich an. "Wenn Du magst." Er reichte mir sehr viele Kissen, sage und schreibe drei, und ging dann voraus in den Fahrstuhl, wo er den obersten Knopf doppelt drückte.

Dann traten wir heraus auf das Dach des Hauses. Hier lag überall Schnee, doch der Strandkorb, auf den Moritz jetzt zusteuerte, war frei von den weißen Flocken. "Mach's Dir gemütlich." Er grinste und klopfte neben sich. Also schnappte ich mir eine türkise, flauschige Decke und gesellte mich zu ihm. "Tee?" Er hielt mir lächelnd eine volle Tasse hin. "Danke, aber woher hast du den denn? Du hättest Dir nicht so viel Mühe, nur wegen mir, machen müssen, für mich hätte es auch nur ein Stuhl getan. Hauptsache Sterne." "Die findest du hier reichlich, glaub ich mal. Guck da, eine Sternschnuppe. Das heißt, du darfst dir was wünschen." Verträumt deutete er mit dem Figer in den Sternenhimmel.

Was wünsche ich mir denn? Nein, los komm Gehirn, streng dich an, du haat doch bestimmt irgendwelche Wünsche parat. Ich bin nicht wunschlos glücklich, das weiss ich. Ah, ok, ich weiß es. Ich wünsche mir...
"Fertig?" Ich nickte und trank einen Schluck des heißen Tees. Rote-Früche-Tee, meine Lieblingssorte, woher wusste er das denn bitte?

"Du, oder ihr, hast oder habt ein echt schönes Penthouse. Also das, was ich bis jetzt davon gesehen habe, ist jedenfalls wunderschön."
"Dankeschön. Hat meine Familie selber eingerichtet, und viel Zeit investiert - und viel Geld, wenn du verstehst, was ich mein'."
"Natürlich. In meiner Wohnung sieht es nicht so nobel aus wie hier. Ich meine, hier ist sogar eine Dachterasse, ein Whirlpool.. Wer wohnt hier drin?" "Meine Eltern und früher mein Bruder und ich, jetzt aber nur noch meine Eltern." Irritiert blickte ich ihn an. "Du hast noch Grschwister?" "Jap, einen Bruder, Janneck, ein Jahr älter als ich. Sieht im Prinzip genau so aus wie ich."
"Genau so gut?" Bevor ich es verhindern konnte, hatten diese Worte meinen Mund verlassen. Verdammt, nicht gut.

"Ja, genau so gut wie ich." Das Grinsen aus seiner Stimme konnte man förmlich raushören. Oh man, dass mein Mund doch immer schneller war als mein Kopf.
Zun Glück sah er die leichte Röte, die mir meine glühenden Wangen verrieten, nicht sehen.
"Aber jetzt Du Wieso hast du eben so abwesend aus dem Fenster geguckt?" "Das letzte Mal, als ich sowas gesehen habe, da sind meine Opa und Oma gestorben. Ein betrunkener Autofahrer ist in ihr Auto gekracht. Sie haben es nur noch ins Krankenhaus geschafft, dann sind beide verstorben."
"Oh nein." Er hielt sich due Hand vor den Mund. "Das tut mir leid. Muss schwer für dich gewesen sein, gleich beide zu verlieren, oder?"
"Es war die Hölle.", antwortete ich kurz. Wenn ich noch mehr erzählen würde, dann müsste ich weinen. Meine Grosseltern waren eben mein Ein und Alles gewesen, bis sie mir auf grausame Weise genommen wurden.

"Mein Cousin sagt übrigens, dass ich dich gleich hier behalten soll. Dumm, oder?" Was soll diese Anmerkung denn jetzt? Ich verstehs nicht. Dementsprechend irritiert guckte ich auch drein, hier bestand definitiv Erklärungsbedarf.
"Na, laut ihm bin ich gerade viel ausgeglichener und glücklicher. Manchmal frage ich mich echt, ob wir beide überhaupt verwandt sind, wir sehen so grundverschieden aus und sind es auch."
Er soll wegen mir ausgeglichener und glücklicher sein? Haha, der beste Witz aller Zeiten. Niemals, ich meine, wir kennen uns nicht mal richtig.

"Das Problem kenne ich. Mein Bruder und meine Schwester sind Zwillinge und können nicht unterschiedlicher sein. Sie ist eher genütlich, er der Adrenalinjunkie wie ich. Sie ist schon verlobt, glaube ich jedenfalls, er ist ein kleiner Badboy an seiner Uni. Er ist blond, sie brünett. Manchmal frage ich mich echt, wie Mama und Papa das hinbekommen haben. Nahezu eineiige Zwillinge doch so anders." "Das heißt, ihr seid alle so, in eurer Familie, außer deine Schwester?" "Nein, niemand außer mein Brüderchen und ich. Meine Eltern sind solche Schisser wie Lena. 'Bei euch beiden ist echt was schief gelaufen' sagt Mama zum Beispiel immer." Ich trank erneut einen Schluck aus meiner Tasse. Obwohl ich hier die ganze Zeit von meiner Heimat erzählte, fühlte ich gar kein Heimweh oder Sehnsucht. Eher im Gegenteil, ich fühlte mich gerade so richtig wohl - aber das lag wohl an der Athmosphäre und nicht an Moritz.

"Wie lange bleibst du eigentlich hier bei uns im schönen Österreich?" "Ich hab' 12 Tage Urlaub gebucht, also noch bis zum 5.1. Jetzt sind es nur noch 8 Tage, dann bin ich schon wieder daheim in Hamburg."
"Und nur noch drei Tage, dann ist schon wieder ein Jahr vorbei und ein neues Jahr beginnt."
"Ein neues, krasses Jahr voller Spannungen und Verpflichtungen." Ich seufzte bei den Gedanken daran. Das würde anstrengend werden, jetzt war ich endgültig erwachsen.

"Wir bleiben aber in Kontakt, oder? Die Entfernung soll uns nicht trennen, das wäre zu schade."
"Was soll die Frage denn jetzt Moritz, ich denke schon, dass wir Freunde bleiben können, auch wenn wir weit auseinander wohnen."
Obwohl das Wort Freunde aus meinem Mund irgendwie komisch klang und mein Gehirn sich weigerte, jenes böse Wort auszusprechen. Aber wieso? Und wieso sollten wir nicht befreundet bleiben? Es gibt Telefon, Skype, WhatsApp und wie sie alle heißen.

Aber mit dieser Vermutung lag ich so falsch wie ein Mensch, der das Louvre in den USA vermutet - also komplett daneben.

Austrian Kisses [ABGESCHLOSSEN✔]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt