15.

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"Ich kann dich tragen, oder zumindest versuchen. Das pack' ich schon."
"Ich bin dir zu schwer."
"Quatsch. Es ist ja nur eine Abfahrt, sieh, da vorne-" Ich deutete in die Ferne. "Dort fängt die Piste an und dann ist es auch nicht mehr weit zur Hütte." Er nickte, aber man sah ihm an, dass er immer noch nicht so ganz überzeugt war. "Komm, steh auf."
Also befestigte ich meine Füße wieder an meinen Skiern und ließ ihn auf meinen Rücken hopsen, so gut es eben mit einem Bein geht.

"Bin ich dir wirklich nicht zu schwer?", fragte er besorgt. "Nein man, und jetzt lass uns fahren."
Ok, er war doch zu schwer, aber wir mussten hier weg, mit der nächsten Lawine sind wir nämlich beide hilflos und somit tod.

Seine Skier nahm er in die Hand, während er sich krampfhaft an mir festklammerte. "Du musst mal mehr Körperspannung trainieren", stöhnte ich zu dem Kartoffelsack an meinem Rücken. "Tschuldigung, bin eben auch nur ein Mann."
"Wer hat gestern noch behauptet, dass er Hulk ist?", gab ich bissig von mir.
Er murmelte irgendein Schimpfwort, was ich nur mit einem "Soll ich dich fallen lassen?" kommentierte und siehe da, der Herr konnte auch schweigen.

Man konnte schon den weißen Schnee der Piste vor mir erkennen, sodass ich erleichtert aufatmete. Wir waren gerettet - oder zumindest ausserhalb der Gefahrenzone.

Das Gefühl, welches ich spürte, als ich wieder den weißen Schnee der Piste unter den Skier hatte und keine Bäume mehr vor mir war unbeschreiblich. Unbeschreiblich gut.

"Moritz, wir haben es geschafft", jubelte ich und strahlte bis über beide Ohren.
"Wenn ich könnte, würde ich Freudensprünge machen.", kam es trocken von meinem Rücken.
"Und da vorne ist die Hütte." Das kleine Holzhäuschen erstrahlte praktisch leuchtend vor meinen Augen und zog mich magisch an.
"Jetzt müssen wir nur noch heil hier runter kommen", murmelte ich und setzte mich in Bewegung.

Im Pflug presste ich die Ski in den Schnee und verhinderte somit, dass wir beide zu viel Tempo aufnahmen und wohlmöglich jetzt noch auf die Schnauze flogen.

Die braune Hütte rückte immer näher in mein Blickfeld und umso näher sie kam, desto freudiger wurde ich. Meine Kraft ließ langsam nach, der Kartoffelsack auf meinem Rücken wurde aber auch nicht umbedingt leichter. Fast schon drohte ich mich mitsamt ihn in den Schnee zu werfen, die schwarzen Punkte in meinem Blickfeld wurden immer mehr.

"Wir haben es geschafft." Erleichtert atmete ich tief ein und aus. Mein Rücken wurde endlich entlastet und so streckte ich mich erst mal komplett durch, ehe ich mein Handy rausnahm und einen Telefonanruf tätigte.

"Danke fürs Retten", murmelte er, als ich mich zu ihm in den Schnee fallen ließ. "Keine Ursache, sei froh, dass wir beide noch leben."
"Ja, das kann man wirklich sein. Wie kommen wir jetzt ins Tal?" Ich hielt mein Handy hoch. "Bergwacht. Eben gerade angerufen." Er nickte und sah dann wieder in die Richtung, aus der wir gerade gekommen sind.
"Wir sind schon blöd gewesen. Lawinengefahrgebiet." Er schüttelte den Kopf. "Wie dumm war ich eigentlich?"
"Sehr, sehr dumm, aber das waren wir beide." Von weitem näherte sich ein Geräusch, ein Schlitten oder ähnliches.

"Was erzählen wir denen?"
"Skiunfall. Ich hab mich blöd abgelegt. Upps, da ist es also passiert."
"Also eine Lüge."
"Wenn wir denen die Wahrheit sagen, dann sind wir dran." Darauf wusste ich keine Antwort mehr, er hatte ja recht. Also blieb mir, der jungen Anwältin, nicht anderes übrig als zu lügen. Vor dem Gesetz. Was ein Einstieg in das Berufsleben.

Ein Schneemobil oder etwas in der Art hielt vor uns an. "Hallo ihr zwei. Seid ihr die Verletzten?"
"Nur er, vermutlich Knöchel gebrochen, ein paar Platzwunden, Kratzer ubd Hämatome.", antwortete ich wahrheitsgemäß.
"Na junger Mann, wie heißen Sie denn?", fragte unser bärtiger, etwas älterer 'Chauffeur'.
"Moritz", antwortete dieser kurz angebunden.
Was war denn jetzt los?

"Na gut Moritz setz dich hinter mich und halt dich gut an mir fest." Also half ich ihm wieder auf, sodass er sich auf das Schneemobil setzen konnte.

"Ich ruf dich an", rief er mir noch hinterher, und ließ mich dann einfach so stehen.
Ok, ich hab dir ja gerade nur dein scheiß Leben gerettet? Lapalie, ich weiß.

Irgendetwas vibrierte in meiner Hand, doch ich ignorierte es. Stattdessen starrte ich fassungslos dorthin, wo Moritz eben noch war.
Einfach weg! Ohne ein 'Danke' oder so.
A

rschloch.

Fassungslos und minimal verwirrt bahnte ich mir dann den Weg zum Hotel zurück. Wieso war er jetzt wieder so? So distanziert und kühl? Ich hatte ihn gerade sein beschissenes Leben gerettet. Der soll gefälligst dankbar sein - oder zumindest sowas in der Art.
Wütend pfefferte ich deshalb meine Skiklamotten in irgendeine Ecke meines Hotelzimmers. Danach zog ich mir andere Kleidung an und bestellte mir ein Taxi zum Krankenhaus.
So kommt der mir nicht davon.
So nicht.

In Jeans und Hoddie saß ich nun im Wartezimmer. Moritz wurde immernoch behandelt. Ich hätte nicht hier sein müssen, nein, genau genommen hätte ich nicht mal einen Gedanken an den Wichser verschwenden müssen, nach der Aktion heute.

Aber irgendwie zog mich mein Körper magisch zu ihm hin - leider.

Einen Freund unterstützt man eben, auch wenn er mal kack Aktionen brachte.

Also saß ich nun hier, auf dem kalten Plastik des Krankenhauses und wartete darauf, dass er gehen durfte.
Oder es zumindest versuchte.

"Miss?" Ein Arzt in einem weißen Kittel baute sich vor mir auf.
"Ihrem Freund geht es den Umständen entsprechend gut, er ist stabil. Wir müssen Ihnen aber mitteilen, dass wir ihn noch über Nacht hierbehalten wollen, um ihn zu untersuchen." Ich nickte, nicht wissend, was ich darauf antworten sollte außer: "Kanm ich zu ihm?"
"Selbstverständlich. Zimmer 184"

Dankend stand ich auf und lief den Flur entlang, bis ich vor einer unscheinbaren, weißen Tür stehenblieb.
Noch einmal atmete ich tief ein und wieder aus, um dann meine Hand auf die Türklinke zu legen und dort zu verharren.

Ihn geht es den Unständen ensprechend gut.
Was soll das heißen?
Vor meinem geistigen Auge tauchten schreckliche Bilder auf, von all diesen Menschen aus dessen Körpern tausende Schläuche rauszukommen schienen.
Von den Menschen, die dort liegen, als wären sie nicht sie selbst, sondern im Delirium zwischen Himmel und Erde.
Vov den Menschen, die an eine Herz-Lungen-Maschine angeschlossen wurden.
Von den Menschen, die nur noch Zuschauer in ihrem eigenen Leben sind.

Was denke ich da eigentlich? Moritz war bei vollem Bewusstsein, er hat sogar noch mit mir geredet. Der ist zäh.

Also holte ich nochmal tief Luft und drückte die Klinke runter. Mit leichtem Druck stemmte ich mich gegen die massive Holztür.
Zu meiner linken Seite stand ein breiter Schrank, dieses Mal in eidottergelb - nicht so hübsch meiner Meinung nach.
Mein Weg führte mich auf eine Fensterfront zu, wohlmöglich sogar mit Balkon.
Das "Highlight" im Zimmer war definitiv das coole, graue Krankenhausbett. Die darin verborgene Person hatte mir den Rücken zugedreht, also bemerkte mich nicht sofort.

Erst, als ich einen Stuhl heranzog und mich darauf plumpsen ließ, drehte er sich um.
"Hey Leo." Er strahlte mich aus seinen blauen Augen an. "Hey. Übrigens sexy Verband da um deinen Kopf. Da stehen die Mädels drauf." Ich zwinkerte ihm kurz zu, doch er schüttelte nur den Kopf, setzte dann aber wieder seine lächelnde Maske auf. "Wie geht's dir?"
Jetzt war sein strahlendes Lächeln wie weggewischt, seine Miene zeugte von Emotionslosigkeit.

"Willst du es wissen?" Ich nickte nur, meiner Stimme traute ich nicht mehr.
"Na dann sieh her." Er schlug die Decke beiseite.

Austrian Kisses [ABGESCHLOSSEN✔]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt