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"Verdammte Scheiße." Ich raufte mir durch die Haare und drehte mich wiederholt in meinem Bett um.
Wieso konnte ich jetzt verflucht nochmal nicht schlafen?

Es war doch nichts großes mehr passiert, nachdem Henning gegangen war, um seinen Freund zu suchen.
Aber dieses verflixte Gespräch ging mir nicht aus dem Kopf.

Hör' auf dein Herz und einmal nicht auf deinen Kopf.

Leichter gesagt als getan, immerhin schreit mein Kopf gerade 900 Kilometer - und zwar in Dauerschleife.
Es wären neun Stunden Autofahrt, jedes Mal, wenn ich zu ihm fahren würde. Und dann nur für ein Wochenende, lohnt sich ja eigentlich nicht wirklich.

Hamburg und Innsbruck, zwei völlig verschiedene Welten sind miteinander kollidiert.
Mein Leben war so schön, bis er kam und alle meine Prinzipien durcheinander würfelte, wie bei einem Würfelbecher.
Bald fange ich an zu arbeiten in einer Kanzlei, verdiene Geld, hab mein Studium gerade sehr erfolgreich beendet, sehe top aus.
Und was macht er? Stellt alles in Frage. Mein ganzes Leben macht puff, von einem auf den anderen Moment dreht sich alles.

Ich stelle meine Heimatstadt in Frage, das, was ich vorher so geliebt habe, reizt mich nicht mehr. Viel mehr reizt mich jetzt dieser Mann mit den wunderschönen Augen und den dunkelblonden Haaren.

Oh Gott, ich höre ich mich an wie liebeskranker Teenager - ih, wie schrecklich.
"Das muss wieder aufhören, und zwar  sofort!", sprach ich zu mir selbst und drehte mich auf den Rücken, den Blick auf die Decke gerichtet.

Was sollte man doch machen, wenn man nicht schlafen konnte?
Ach, genau.
Also holte ich mein Handy raus, steckte mir die Kopfhörer in die Ohren und legte mich auf den Rücken.

"Liebe Zuhörerin, lieber Zuhörer, ich begrüße dich ganz herzlich zu dieser Gedankenreise, bei der du ganz Du selbst sein, oder einfach mal abschalten kannst.", säuselte die Stimme durch meine Kopfhörer.
"Wenn du willst, dann schließe jetzt deine Augen. Du befindest dich in einem Garten."
Also folgte ich der Anweisung, entspannte alle meine Muskeln und machte mich schwer.
Mein Atem regelte sich, tief atmete ich ein und aus.
"Du kannst den Garten selber gestalten. Erzwinge nichts, dein Unterbewusstsein weist dir den weg.", fuhr die Stimme fort.

Ich drehte mich einmal um meine eigene Achse und sah eine riesige Insel inmitten eines Meers aus Rasen.
Auf der Insel waren verschiedene Büsche und Bäume angepflanzt, doch hauptsächlich waren dort Rosenbüsche angepflanzt.
Ich nachte einen Schritt auf die Bäume zu und schaute den Zweigen zu, wie sie vom Wind hin und her gewogen wurden.
Wie ein Baby.

"Wenn in deinem Garten eine Bank vorhanden ist, so setze dich darauf. Wenn du keine Bank aufgestellt hast, dann setze dich auf den Boden."
Also ließ ich meinen Hintern wenig sanft auf den Boden plumpsen und schloss nun auch hier die Augen.
"Du hast den Garten wahrscheinlich einer Person gewidmet, einem prägenden Ereignis oder auch nur einem Tier, welches du liebst.", flüsterte die Stimme, kaum lauter als ein Windhauch.
"Denke nicht nach. An wen erinnert dich dein Garten. Das Bild wird von ganz allein vor deinem inneren Auge auftauchen."

Vor meinem Augen tauchte das Bild enes dunkelblonden Jungen auf, der mir auf seinem Snowboard schelmisch angrinste. Unwillkürlich musste ich lächeln, unser erstes Zusammentreffen.

"Lächelst du? Dann ist es der richtig assoziierte Garten für dich. Genieße den Moment, er wird nicht ewig halten. Ich werde nun einen Moment schweigen, um dich ganz dir zu überlassen."
Also schlug mein Garten-Ich die Augen wieder auf und blickte mich noch einmal um.
Der Rand der Insel war nun vollständig von grünen Zweigen eingesäumt, während hier bei mir ausschließlich rote Rosen wuchsen.

Rosen sind doch das Zeichen für Liebe.

Als ob ich meinen Garten jetzt ihm gewidmet habe. Nicht mal in einer Meditation kann ich vor ihm fliehen, verdammter Mist! Das darf doch alles nicht wahr sein, ich dachte, das wäre Lennard.
"Und jetzt hol dich zurück aus der Traumwelt, du spannst deine Muskeln an, atmest noch einmal tief ein und aus und öffnest dann deine Augen. Du befindest dich wieder in Hier und Jetzt. Fühke dich befreit, strecke dich, recke dich, bewege dich."
Minimal verzweifelt- die Ironie war deutlich zu spüren- schlig ich die Augen auf und setzte mich kerzengerade im Bett auf. Wieso kann man nicht mal in einer gott verdammten Traumwelt nicht an ihn denken.

Schnell zupfte ich mein Handy von der Ladebuchse und gab bei Google ein:
Wie entfliehe ich vor meinen Gefühlen für einen Kerl?
Tatsächlich gab es eine Antwort bei Gute-Frage.net, die eine simple Antwort enthielt:

Gar nicht.

Erneut raufte ich mir durchs Haar, das kann doch nicht so schwierig sein. Ich habe es doch vorher auch geschafft, wieso denn jetzt nicht?

Als nächstes gab ich ein:
Entlieben und möglichst schnell.
Dieses Mal kamen viele Ergebnisse und schon wieder eins von Gute-Frage.net. Eigentlich ist das ja immer hilfreich, aber jetzt gerade gar nicht. Denn dieses Mal stand dort:

Kann man nicht und unmöglich.

Hat sich die Welt gerade gegen mich verschworen? Ich raffs nicht, es muss doch irgendwie gehen.
Aber bald löst sich das Problem ja von ganz alleine:
Ich fliege nach Hamburg zurück, er bleibt hier in Innsbruck.
Wir werden uns nie wieder sehen- glücklicherweise.
Sagt mein Kopf, oder wie Henning es getauft hat, meine Vernunft.

Ok, ich bin zu 100 % ein Kopfmensch, der eigentlich immer vernünftig denkt. Wie soll ich mich sonst als Anwältin durchs Leben schlagen? Indem ich Gefühle zeige?

Niemals.

Toll, jetzt zermatere ich mir schon um 3 Uhr morgens den Kopf über Vernunft - und den Idioten.
Sogar mit einer Meditation habe ich es versucht, aber nichts hilft.
Ruckartig drehte ich mich auf den Bauch und schrie aus vollem Halse in mein Kissen. Ist das Karma für die Aktion gestern?

Schlussendlich drehte ich mich wieder auf die Seite und blickte gegen die weiße, triste Wand, die minimal leuchtete.
Wieso muss eigentlich mein Leben immer so kompliziert sein?
Erst die Differenzen mit der Uni am Anfang und jetzt das.

Wieso kann nicht einmal alles glatt laufen? Ich lerne einen super süßen Typen kennen aus Hamburg und Umgebung, wir heiraten und zeugen ganz viele Babys, so chlichéhaft es auch sein mag, es ist mein Traum.

Ein letzter Versuch einzuschlafen startete dann aber doch:

"Im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes.
Ich glaube an Gott, den Vater, den Schöpfer des Himmels und der Erde, und an Jesus Christus, seinen eingeborenen Sohn, unsern Herrn, empfangen durch den Heiligen Geist, geboren von der Jungfrau Maria, gelitten unter Pontius Pilatus, gekreuzigt, gestorben und begraben, hinabgestiegen in das Reich des Todes, am dritten Tage auferstanden von den Toten, aufgefahren in den Himmel. Er sitzt zur Rechten Gottes, des allmächtigen Vaters. Von dort wird er kommen zu richten die Lebenden und die Toten. Ich glaube an den Heiligen Geist, die heilige katholische Kirche, Gemeinschaft der Heiligen, Vergebung der Sünden, Auferstehung der Toten und das ewige Leben. Amen. Ehre sei dem Vater und dem Sohn und dem Heiligen Geist wie im Anfang, so auch jetzt und allezeit und in Ewigkeit. Amen."

Austrian Kisses [ABGESCHLOSSEN✔]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt