Müde schreckte ich aus einem Traum hoch - ein Albtraum.
Die Lawine, wie sie uns beide begräbt und uns beide sterben lässt.
Schon wieder. Mist.Die Augen reibend setzte ich mich aufrecht im Bett hin und schaute mich um: Das hübsche, große, immer frisch geputzte Zimmer wird mir fehlen, erst in einem Jahr werde ich es hoffentlich wiedersehen - hoffentlich.
Das breite Fenster, durch das man dunkle Wolken erkennen konnte, war frisch geputzt worden.
Heute würde die Sonne es also nicht schaffen, die Natur ins helle zu verwandeln - genau wie meine Laune, die jetzt schon im Keller war.
Und das nicht nur wegen dem Abschied vom Hotelzimmer.Danach rappelte ich mich auf und trat ins Bad. Verdammt, wie sah ich denn bitte aus? Wie Struwelpeter, so wirre Haare und Augenringe...
Deshalb machte ich mich ausgiebig fertig, schminkte mich und zog mir Jenas und ein Shirt an. Dazu kombiniert meine Nikes und ein Hoodie mit Reißverschluss - perfekt.
Trotzdem tapste ich schlecht gelaunt die Treppen zum Speisesaal runter. War es hier immer schon so farblos oder hat die Wand ihre Farbe verloren? Ich wusste es nicht.
Alles wirkte so eintönig, langweilig, farblos - wie mein zukünftiges Leben ohne ihn und die Freunde. Ausgenommen Caro, die sehe ich bald oft genug daheim in Hamburg.Lustlos tapste ich zum Buffet und lud mir den Teller voll mit Essen. Doch nicht mal das schmeckte. Das Ei war zu weich, die Milch zu milchig und der Käse zu käsig.
Toll, dieser scheiß Abschied raubt mir gerade meine Lebenslust und meine gute Laune.
Und das nur wegen ihm.Instagram gab auch nichts spannendes her, genau wie Snapchat oder Facebook. Oh man, der Tag fängt super an und wird wahrscheinlich noch "besser" werden. Am besten verpasse ich noch meinen Flug oder mein Koffer geht verloren, das wäre dann der Supergau.
Gedankenverloren rührte ich nun bestimmt schon tausend Runden in meinem Kaffee rum und starrte dabei missmutig aus dem Fenster des großen Hotels, direkt auf die schneebedeckten Berge Österreichs. Wie gerne würde ich noch hundertmal die Piste runtercruisen, Rennen fahren oder verrückte Stunts in das riesige Kissen machen. Oder einfach noch ein bisschen Zeit mit den neu gewonnenen Freunden verbringen. Oder noch einmal komplett neu beginnen.
Hätte ich doch nur dieses Jahr ausgelassen und wäre in ein anderes Skigebiet gefaren."Guten Morgen Schwester.", flötete mein offenbar gut gelaunter Bruder und klopfte mir auf die Schulter.
Verübeln konnte man es ihm nicht, er hat hier eine Freundin gefunden, die er aufrichtig liebt. Sie zieht zu ihm nach Hamburg und beide schweben auf Wolke 7.Und wo schwebe ich? Aktuell emotionsmässig auf Wolke minus fünftausend, aber das geht vorbei.
Hoffentlich.Irgendwann werde ich einfach einen besseren Mann kennenlernen, der nahe bei mir wohnt und den ich anrufen kann, und er dann vorbei kommt. Mit dem ich nicht den größten Teil über Skype chatten muss.
Vielleicht, ja vielleicht irgendwann einmal werde ich auch mal Glück mit der Liebe haben."Schwesterchen, warum weinst du?", ertönte plötzlich eine besorgte Stimme hinter mir.
Ich weine?
Tatsächlich spürte ich einige Tränen meine Wangen runterkullern. "Es ist nichts." Doch sein Blick verriet mir, dass er mir nicht richtig zu glauben schien. Oh je, jetzt konmte ich mir was anhören..."Ich habe dir doch gesagt, du kannst immer mit mir reden? Ist es wegen Moritz? Dem Österreicher? Deinem Lover?" Ja, war es wegen ihm?
"Eigentlich habe ich nur daran gedacht, was ich bald verliere, wenn ich mich jetzt verabschiede: die Berge, den Schnee, die Freunde, all' das Schöne verlieren wir dann."
"Du hast recht. Aber vielleicht haben wir ja bald einen Grund, hierher zurückzukehrern."
"Verpiss dich mit deinen Anspielungen, ich bin nicht in Stimmung für den Mist."
"Man, du bist ja echt mies drauf. Ich meinte wegen Caro, ihre Familie wohnt hier, schon vergessen?"
"Nein man.", grummelte ich. "Sorry. Es ist gerade nicht alles Friede-Freude-Eierkuchen wie bei dir."
Kurzfristig nahm ich einen Schluck von dem mittlerweile kalten Kaffee.
"Stimmt, du trennst dich von deiner großen Liebe."Der bekommt gleich den Kaffee auf sein weißes Shirt.
"Freundchen, noch so'n Wort und du fängst dir welche. Und du weißt, dass das sogar Dir wehtut", drohte ich ihm unter zusammengebissenen Zähnen.
"Ist ja gut." Beschwichtigend hob er seine Hände in die Luft und machte eine unschuldige Miene.
Arschloch."Wie viel Zeit bleibt uns noch bis zum Flughafen?"
"Junge, das hört sich an, als wärst du tot krank. Knappe drei Stunden, dann geht unser Flug, also knapp eine Stunde, bis wir fahren.""Ich will mich noch von ihm verabschieden." Plötzlich sprang ich auf und griff nach meiner Handtasche und Jacke. "In ner Stunde bin ich wieder da." Danach rannte ich raus. Immer weiter, durch die Straßen Inmsbrucks, bis ich schließlich vor seinem Haus stand.
Verdammt, was tat ich hier?
Bevor mich der Mut verließ, drückte ich die Klingel und atmete tief durch.Der Summer ertönte und ich stürmte fast rennend in den Aufzug. Wieso fühlte es sich bloss so an, als würde der Aufzug extra langsam fahren. Immer wieder blickte ich auf meine Armbanduhr und dann wieder in den Spiegel. Verdammt, wieso dauert denn das so lange?
Mit einem Pling sprangen die Aufzugtüren auf und ich stand inmitten seine Flurs.
Seines Flurs.
"Wer ist denn da?", klang seine Stimme aus der Küche. Er klang traurig, fast schon niedergeschlagen.
Er fühlt wohl wie ich.Mit leisen Schritten bewegte ich mich in Richtung Küche, blieb aber im Türrahmen stehen.
"Hallo Moritz."Diese einfachen zwei Wörter reichten aus, um ihn in seiner Bewegung innehalten zu lassen und sich mit großen Augen zu mir umzudrehen.
Er sah, um ehrlich zu sein, wirklich richtig scheiße aus: dunkle Schatten unter den blauen Augen, die Haare verstrubbelt, die Schultern hingen runter, die Jogginghose war dreckig und hatte Löcher. Auf einem Bein stand er da also vor mir und blickte mich nur an. "Bist du es wirklich?"
"Ja, ich stehe hier leibhaftig vor Dir."
Dann herrschte eine lange Zeit Schweigen, in der ich nur im Türrahmen lehnte und er nur wie hypnotisiert dastand und mich aus großen Augen anglotzte.
"Ähm, ich wollte mich von Dir verabschieden", brach ich schließlich das Schweigen. "Du gehst?"
"Ja, ich muss zurück nach Hause. Heute noch. Flieger geht um 12:00."
Plötzlich verwandelte sich seine Miene, man konnte keine Gefühlsregung mehr erkennen, nur noch Kälte. "Gute Reise."
Er wand sich von mir ab, wieder seinem Essen zu.So nicht mein Freund.
Also machte ich ein paar Schritte auf ihn zu, zog seinen Kopf zu mir hin und zwang ihn, mich anzuschauen.
"Wir sehen uns lange Zeit nicht, vielleicht nie wieder, also kann ich beruhigt das hier tun." Mit Druck dahinter drückte ich meine Lippen auf seine. Erstaunt von meiner Aktion zuckte er kurz zusammen, erwiderte aber dennoch.
Und verdammt, in diesem Kuss steckten so viele Emotionen, wie Liebe, Sehnsucht oder Trauer - für mich verbotene Emotionen, nicht für mich bestimmt oder von mir gewollt.
Damals.Atemlos lösten wir uns voneinander und blickten tief in die Augen des jeweiligen Gegenübers. Das Meerblau seiner Augen hatte einen traurigen Ton an sich, jegliches Strahlen war aus ihnen rausgewichen, er kannte wohl schon die Antwort auf die Frage:
"Hat dir der Kuss was bedeutet?"Doch meine Antwort fiel diesmal anders aus, als an Sylvester:
"Ja, das hat er. Sogar sehr, sehr viel, um ehrlich zu sein."
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Spätabendliches Kapitel für euch.
Das ist noch nicht das Ende, sei es euch gesagt.✌
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Austrian Kisses [ABGESCHLOSSEN✔]
Teen FictionNachdem die junge Anwältin Leo ihr Studium beendet hat belohnt sie sich dafür mit einem Skiurlaub, zusammen mit ihrer Schwester. Zunächst läuft alles wie geplant, doch dann wendet sich das Blatt und alles geht schief. Fast alles. Denn nichts ist so...