Eine Woche war seit dem Familientreffen vergangen und ich zweifelte ernsthaft an meiner Entscheidung, Trauzeugin für meine Schwester zu sein. Denn diese rannte gerade völlig verzweifelt auf der Suche nach ihrem Ring durch unser Haus in Hamburg, wo wir uns gerade fertig machten. "Leo, hast du meinen Ring gesehen? Den, den ich zum 18. bekommen habe?" Ich wollte mit dem Kopf schütteln, aber die Friseurin hielt meinen Kopf in einer Art Klemme fest. "Nein, habe ich nicht. Den hast du doch immer in deiner Nachttischschublade oder auf dem Tisch zuletzt gehabt. Guck doch mal da." Knapp eine Minute später hörte ich ein triumphierendes "Hab ihn!" und meine kleine Schwester stolperte in ihrem Brautkleid wieder zur Tür rein.
Nach gefühlten Stunden stand ich auch wieder vom Stuhl auf und betrachtete meine Steckfrisur. Ein eingeflochtener Bauernzopf führte zu meinem Hinterkopf und war dort kunstvoll irgendwie eingedreht und mit Tonnen von Haarspray fixiert worden. Alles in allem war diese Frisur aber sein Geld wert. Immerhin.
Wartete nur noch mein Kleid. So sehr ich Kleider hasste, dieses war wunderschön. Ein peachfarbenes Kleid, oben eng, unten einen weiten Roch, schmiegte sich heute an meinen Körper und schwarze High-Heels verlängerten meine eh schon langen Beine. Alles in allem fand ich mich wunderschön.
"Hey, stiehl mir nicht die Schau, meine wunderschöne, große Schwester." Meine Schwester trat grinsend hinter mich und musterte mich von oben bis unten im Spiegel. "Hey du Braut, ich stehle dir nicht die Schau, guck dich an. Dieses Kleid und die Haare. Lena, Tim wird es lieben." Sie nickte lächelnd.
"Auf in den Kampf, auch meine Hochzeit genannt."
Eine Pferdekutsche wartete vor unserem Haus, wo Lena und ich einstiegen. Die Fahrt zur Kirche dauerte nicht lange und so stiegen wir schon wenig später vor der Kirche wieder aus. Mein Vater trocknete sich schon die Tränen, als er uns beide sah. "Meine Mädchen sind so wunderschön. Wann seid ihr bitte so erwachsen geworden?", fragte er und holte eine Taschentuch heraus. Lenas Antwort bekam ich nicht mehr mit, denn ich huschte schnell in die Kirche und stellte mich zu Tim und seinem Trauzeugen nach vorne.
Die Musik erklang und alle drehten sich um - zu meiner wunderschönen Schwester, die so grazil auf ihren hohen Schuhen mit meinem Vater den langen Kirchgang entlang schritt. Unwillkürlich lächelte ich, als auch ihrem Zwilling fast die Augen aus dem Kopf fielen, Das war ja mal so was von süß. Tims Augen glänzten auch verdächtig, als er Lena an die Hand nahm und von meinem Vater noch ein "Pass gut auf sie auf" mit auf den Weg gab und sich dann zu meiner Mutter setzte.
Nach der Begrüßung setzte ich mich zu meinem Bruder und Caro in die erste Reihe. Der Messe folgte ich nur mit halben Ohr. Eher dachte ich daran, ob ich überhaupt irgendwann mal heiraten werde. Und wen denn überhaupt? Mein Herz war in Österreich. Und es wird auch nicht so schnell wiederkommen, denn Moritz hatte mich gefangen, von der Begegnung am Flughafen an bis heute hin.
Das hatte ich mir aber leider erst zu spät eingestanden. Das mit uns war besonders. Er war mein Gegenpol und mein Gegenstück. Eigentlich entsprach er genau meinen Vorstellungen eines Traummannes.
Meines Traummannes. Und wer verkackt es auf ganzer Linie?
Ich wurde aus meinen trübseligen Gedanken gerissen, als irgendjemand das Wort "Trauzeugen" sagte und mein Einsatz gefragt war. Träge stand ich auf und erledigte meinen Job bei der Eheschließung, inklusive falschem, erzwungenem Lächeln. Danach kam noch die Kommunion und schon war meine Schwester entbunden vom Singleleben.
Ich gratulierte ihr beim Auszug als erste und stellte mich dann zu Lennard und Caro hin. Gerade gratulierten Henning und Sarah dem Paar und stellten sich dann zu uns.
"Caro, ich fahr dann bei euch mit zum Saal, oder?" Sie überlegte kurz. "Sorry, wir sind mit Henning und Sarah zusammen gekommen und im Auto ist kein Platz mehr. Du findest schon eine Mitfahrgelegenheit."Eine Person, die gerade Lena gratulierte, erhielt aber sofort meine volle Aufmerksamkeit, auch wenn Caro mich noch zutextete. Diese Statur und diese Haare erinnerten mich an jemanden. Aber an wen nur?
Plötzlich drehte sich diese Person und ich konnte sein Seitenprofil mustern.
Mein Herz setzte gerade aus. Das konnte nicht sein. Das durfte nicht sein. Das konnte einfach nicht. Ich bilde mir das nur ein. Er ist es nicht, das ist ein Trugbild meiner selbst, das aus Sehnsucht produziert worden ist. Sofort drehte ich mich wieder zu meinen Freunden um und atmete tief durch. Er ist es nicht, das bilde ich mir nur ein. Er ist es nicht.
"Sagt mir bitte, dass ihr beim Gratulieren eine andere Person seht." Meine eigene Stimme klang angestrengt und fremd. Doch leider bekam ich nur Kopfschütteln von allen.
Fuck my life.
"Ich glaube, ich muss mich nochmal... was aus meinem Auto holen." Völlig überfordert stolperte ich von meinen Freunden weg. Einfach irgendwo hin, wo ich meine Gedanken sortieren konnte. Moritz war hier.
Aussie-Moritz.Darauf war ich nicht vorbereitet. Ganz und gar nicht. Denn wie auch? Er kannte Lena doch gar nicht, geschweige denn Tim. Was zur Hölle hatte er also hier zu suchen?
Reflexartig schloss ich meine Augen. Eigentlich wollte ich dem Ganzen jetzt schon entfliehen. Schlimmer konnte es eh nicht mehr kommen. Sauerstoff flutete meine Lungen bei einem tiefen Atemzug.
Verkrampft trat ich dann aber doch den Rückweg zu meinen Freunden an. Bei denen jetzt leider auch Moritz stand und sich herzlich lachend unterhielt.
Als ich schon fast mein Ziel erreicht hatte - am weitesten weg von ihm- blickte er zu mir hin. Doch ich ignorierte ihn und stolzierte weiter zu meinem Bruder. "Lasst uns aufbrechen.", verkündete just in diesem Moment Tim und stieg mit Lena in die Kutsche. "Bei wem fährst du jetzt mit Leo?", wandte sich Lennard an mich und schaute mich fragend an. "Bei Mama und Papa. Wir sehen uns gleich wieder." Zum Abschied hob ich winkend die Hand und verschwand dann schnell zu Mama und Papa.
"Liebes, du siehst aus, als hättest du ein Gespenst gesehen."
Habe ich auch Mama, habe ich auch. Leider kann man mein Gespenst aber nicht wie in Ghostbusters mit einem frisierten Staubsauger aufsaugen.
"Nein Mama, alles in Ordnung, bin nur etwas durch den Wind. Die Hochzeit und so, verstehst du?"
"Natürlich. Aber mach dir keinen Kopf, du siehst hinreißend aus Süße." "Danke Mama, das bedeutet mir viel, das von dir zu hören."Meine Mutter war zwar eine sehr sehr liebende und gütige Frau, sie schmiss aber nicht gerade mit Komplimenten zur Figur und zum Aussehen um sich. Umso mehr konnte man sich also freuen, wenn man eines ihrer rar gesähten Kritiken abbekam.
"Ich weisss Schätzchen. Aber du bist ja schließlich auch meine Tochter, du musst schön sein." Das Lachen verriet ihre Ironie. Beinahe hätte ich ihr tatsächlich geglaubt."Die Damen, wir sind da."
DU LIEST GERADE
Austrian Kisses [ABGESCHLOSSEN✔]
Teen FictionNachdem die junge Anwältin Leo ihr Studium beendet hat belohnt sie sich dafür mit einem Skiurlaub, zusammen mit ihrer Schwester. Zunächst läuft alles wie geplant, doch dann wendet sich das Blatt und alles geht schief. Fast alles. Denn nichts ist so...