2 - Wirst du mich auslachen?

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„Hey!"

Ich stürmte durch die Tür zum Obduktionssaal und knallte sie hinter mir zu, mein Puls raste. Ich hörte seine nackten Füße auf die Fliesen klatschten. Er rief mir irgendetwas nach, aber ich ignorierte es, rannte den Flur runter und durch die Eingangstür. Kalte Märzluft schlug mir entgegen. Ich kramte in meiner Hosentasche, verlor ein Taschentuch und meinen Haustürschlüssel, fand den Eingangsschlüssel und rammte ihn ins Schloss. Meine Hände zitterten so stark, dass ich ihn kaum herumdrehen konnte.

„Shit, was soll das?" Von Innen hämmerte der Zombie gegen die Tür, ich machte einen Satz zurück. „Lass mich raus!"

Ich schauderte. Ich hatte meine Jacke drinnen liegen gelassen. Die Tür wackelte.

„Mach die Tür auf!"

Ich machte ein paar Schritte zurück auf den düsteren Parkplatz, nur am anderen Ende der Parkfläche flackerte eine Straßenlaterne. Mir fiel ein, dass hier draußen genauso gut Zombies sein konnten wie da drinnen. Mist, was, wenn ich mitten in einer Zombieapokalypse gelandet und der einzige Überlebende war? Ein paar Meter weiter auf dem Parkplatz konnte ich einen Wagen erkennen, sonst nichts.

Okay, jetzt denken wir mal in Ruhe nach. Es gab keine Zombies, wenn man mal von ein paar Idioten absah, bei denen das als Normalzustand durchging. Das Klopfen war verschwunden. Vielleicht machte mich die Gerichtsmedizin wirklich irre. Wurde Zeit, dass dieses Praktikum vorbei war.

Ob es tatsächlich schon so weit sein konnte, dass ich mir nackte Personen in einem Sektionssaal einbildete, war die nächste Frage.

Ich rieb mir den Nacken. Das konnte kein Zombie sein. Vielleicht wollte mir Annika einen Streich spielen, hatte jemanden bezahlt, der sich in der Kühlkammer versteckte, um mir einen Schrecken einzujagen. Manche würden es garantiert freiwillig machen, wenn sie dann ein bisschen mit ihnen rummachte. Ich überlegte, sie anzurufen und nachzufragen, aber wenn sie es nicht gewesen war...

„Buh!"

Ich sprang einen gefühlten Meter in die Luft, ich bekam eine Ganzkörpergänsehaut. Noch ein Zombie, schoss es mir durch den Kopf, bevor ich Gabriel Hennings Lachen erkannte.

Wohlgemerkt ein ziemlich fieses Lachen.

„Sehr lustig, Henning." Ich bedachte ihn mit einem bösen Blick und versuchte, das bisschen Würde, das ich noch hatte, zusammenzuhalten. „Wirklich. Unglaublich lustig."

„Finde ich auch."

Er lachte immer noch. Mein Blick huschte zur Tür. Kein Geräusch. Vielleicht lauerte uns der Zombie schon hier draußen auf.

„Halt die Klappe, Gabe."

„Was ist los?" Er musterte mich abschätzig. „Hat dich eine Leiche angegriffen?"

Ich schauderte.

„So ungefähr."

„Nicht dein Ernst." Gabe verschränkte die Arme vor der Brust. Hätte ich ihn nicht so gut gekannt, hätte ich wahrscheinlich mit einer nahenden Prügelei gerechnet. „Langsam drehst du echt am Rad."

„Ich weiß, aber..." Ich unterbrach mich. „Wirst du mich auslachen?"

Gabe Grinsen erinnerte mich an einen Serienmörder, aber das war normal - Gabe sah entweder fies aus oder als wollte er jemanden verprügeln, dazwischen gab es nicht viel.

„Ich werde es versuchen, versprochen."

„Vielen Dank auch." Wir waren befreundet, seitdem er mich im Kindergarten kopfüber in eine Sandburg gesteckt und ich ihn als Revanche in den Ententeich geschubst hatte. Wenn mir irgendjemand glauben würde, dann er. „Da war ein..." Vielleicht würde er mich auch einfach auslachen. „Shit, da ist ein Zombie in der Autopsie."

„Ein Zombie." Gabe schnaubte amüsiert. „Verarschen kann ich mich selbst, Tristan."

„Ich verarsche dich nicht." Bei dem Gedanken daran, dass dieser Tote in der Gerichtsmedizin saß, mit den ganzen Messern und Scheren und Sägen und Skalpellen, brach mir der Schweiß aus. „Da ist jemand drin."

„Und was soll ich jetzt machen? Ihn vertreiben?"

„Zum Beispiel."

Eigentlich war es ein Scherz gewesen, aber Gabe zuckte mit den Schultern und ging zu dem Wagen. In der Dunkelheit hatte ich seinen angerosteten 300E nicht erkannt. Er zog den Kofferraum auf, das Quietschen bereitete mir eine Gänsehaut.

„Was zur Hölle treibst du da?"

Ich sah mich um, aber der Parkplatz war leer. In der Nähe von Gabes uralten Mercedes fühlte ich mich immer wie ein Mörder, der gerade eine Leiche aus dem Kofferraum zerrte.

„Wonach sieht's denn aus?" Gabe tauchte aus dem Kofferraum auf und schwenkte eine Brechstange. „Ich beschützte den kleinen Tristan vor den großen bösen Zombies."

„Fick dich."

„Nein, danke, das kann ruhig jemand anders erledigen. Vorzugsweise eine Brünette mit großen Titten. Apropos, ist die Kleine, mit der du hier arbeitest, gerade zu haben?"

„Wie alt bist du noch gleich?"

„Älter als du." Er tätschelte mir den Kopf. Ich schlug nach ihm. „Na dann los, zeig mir deinen Zombie."

Mein Blick wanderte zur Eingangstür der Gerichtsmedizin, die etwas außerhalb zwischen Berlin und Potsdam mitten in der Pampa lag. Hier draußen kam mir der Gedanke an Zombies mit jeder Sekunde unwahrscheinlicher vor. Hier gab es nur Studenten, ein paar Leichen und Dr. Lenz, keine wandelnden Toten.

Meine Jacke musste ich trotzdem holen, für März war es eindeutig zu kalt.

„Von mir aus."

Ich hob den Haustürschlüssel und das Taschentuch vom Boden auf. Gabe verschränkte die Arme vor der Brust. Mit der Brechstange in der Hand und seiner Boxerstatue wirkte er sogar auf mich bedrohlich. Ich wollte die Tür aufschließen, wollte ich wirklich, aber etwas in mir sträubte sich dagegen.

„Da sagen die Leute immer, Studenten seien so schlau, aber Türen aufschließen ist zu schwer." Gabe schubste mich zur Seite. „Lass mich mal ran."

„Warte, da..."

Er ignorierte mich. Mit einer Hand schloss er die Tür auf, in der anderen hielt er die Brechstange. Das leise Klicken des Schlosses kam mir unnatürlich laut vor. Gabe stieß die Tür auf und ging mit erhobener Brechstange in den Flur. Er machte sich nicht die Mühe, auch nur den Anschein von Vorsicht zu erwecken.

„Komm raus, Zombielein, wo immer du auch bist!"

Die Dunkelheit verschlang ihn und ich bekam eine Gänsehaut. Einen Moment lang überlegte ich, draußen zu warten, aber so wie ich Gabe kannte würde er auf die brillante Idee kommen, jede einzelne Kühlkammer zu öffnen um zu gucken, was darin war, und das würde an mir hängen bleiben.

Ich schlüpfte durch die Tür. Der Flur war viel zu dunkel, ich konnte Gabe nicht sehen, aber seine schweren Stahlkappenstiefel auf den Fliesen hören. Der Geruch von Formaldehyd stach mir in die Nase, ich tastete nach dem Lichtschalter. Irgendwo musste er sein, irgendwo hier an der Wand...

Ich fand ihn im selben Moment, in dem jemand „hey" schrie, und sah gerade noch, wie Gabe dem Zombie mit voller Wucht die Brechstange über den Kopf zog.

Schlimmer Geht Immer - Tristan-Winter-Reihe IWo Geschichten leben. Entdecke jetzt