13 - Formaldehydriert

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Ich schob mir Gabes Portemonnaie in die Hosentasche und ging zu dem Laden, Tony folgte mir. Im Inneren brannte Licht, als ich gegen die Tür drückte, ließ sie sich öffnen. Ich warf einen Seitenblick auf Tony, die mich ignorierte. Was auch sonst. Ich ging durch die Regalreihen und hielt Ausschau nach sterilen Handschuhen oder etwas Vergleichbarem.

„Warum habt ihr mich mitgenommen?" Blinzelnd sah ich auf. Tony bedachte mich mit einem spöttischen Blick. „Ich bezweifle, dass das Hennings Idee war."

„I-Ich..." Mein Gesicht brannte. Plötzlich waren die Hustensäfte neben uns unglaublich interessant. „Keine Ahnung."

„Ich erkenne es, wenn Leute lügen." Tony schob sich zwischen mich und das Regal, ich konnte ihr nicht ausweichen. Wollte ich auch gar nicht. „Ich hasse es, belogen zu werden."

„V-Vielleicht... Ich..." Sie roch nach Zitronenshampoo und Farbe. „Ich wollte dich nicht einfach da liegen lassen."

„Und stattdessen verfrachtest du mich in ein Auto und entführst mich. Brillante Idee."

„Äh..." Ich starrte an ihr vorbei auf eine Hustensaftflasche. Gar nicht peinlich. „Wir brauchen noch Handschuhe."

„Ziemlich lahme Ablenkung." Tony warf einen Blick auf das Regal, ihr Drachenkopftattoo schien sich zu bewegen. Ich fragte mich, wie der Drachenkörper aussah. „Hier findest du sie jedenfalls nicht."

„Stimmt."

Dieses Mal brannten sogar meine Ohren. Klasse, Tristan, wirklich super gemacht. Tony strich ihre türkisen Haare über die Schulter und ging zur Ladentheke. Ich entdeckte die Handschuhe im gegenüberliegenden Regal. Beinahe hätte ich geflucht, aber ich hielt mich zurück, nahm eine Handschuhpackung und folgte Tony. Hinter der Theke war niemand.

„Hallo?" Ich betätigte die kleine silberne Glocke neben der Kasse. „Herr Beck? Dr. Lenz aus der Gerichtsmedizin schickt mich."

„Wunderbar." Der große Alleinbetreiber der Apotheke schubste die Hintertür auf, er nahm fast den gesamten Türrahmen ein. „Wer sollte es um die Uhrzeit auch sonst sein?"

Ich zwang mich zu einem Lächeln. Einfach so tun, als wären wir nicht hier, um einen Zombie vor dem Verwesen zu retten, einfach so tun, als wäre Levi eine normale Leiche.

„Guten Morgen." Es war schwerer als erwartet. „Haben Sie Formaldehyd auf Lager?"

„Der Praktikant, richtig?" Ich nickte. „Kommt drauf an, wie viel du brauchst." Herr Beck stützte sich auf die Theke und beugte sich zu uns herab. „Fünf Liter müssten es noch sein. Aber hat die Gerichtsmedizin samstags nicht geschlossen?"

„Schon." Und das Lügen beginnt. „Dr. Lenz hat gestern eine außerplanmäßige Leiche rein bekommen, die er noch bis Montag fertig präpariert haben will."

„Eine außerplanmäßige Leiche also." Herr Beck stieß sich vom Tisch ab. „Wie viel brauchst du?"

„Einen Liter."

„Nur einen Liter für eine ganze Leiche?"

„Der... Der Bestand ist noch nicht ganz aufgebraucht." Mein Blick huschte zu Tony, die desinteressiert in Richtung Tür sah. Mist, so würde er uns nicht glauben. „Ich weiß, das klingt unsinnig, aber wenn ich Dr. Lenz das Zeug nicht besorge, wirft er mich raus."

„Der Lenz kann ein ziemliches Arschloch sein." Herr Beck rieb sich das Kinn, seine klugen kleinen Augen musterten mich. „Weil wir uns schon gesehen haben."

Er ging durch die Hintertür ins Lager. Tonys Blick nach fand sie es genauso unglaublich wie ich, dass er uns geglaubt hatte.

„Es gibt halt auch nette Menschen", raunte ich ihr zu. Sie schüttelte den Kopf.

Schlimmer Geht Immer - Tristan-Winter-Reihe IWo Geschichten leben. Entdecke jetzt