21 - Spiel mit mir!

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Ich legte mich schlafen, sobald wir zuhause waren. Ansonsten wäre ich wohl vor Erschöpfung umgefallen. Als ich wach wurde, war es dunkel und auch aus der Küche war nichts mehr zu hören. Ich warf einen Blick auf die Uhr. Kurz vor drei. Klasse. Und ich war immer noch todmüde. Wenn ich daran dachte, dass ich in nicht mal sechsundneunzig Stunden mein Leben verlieren würde, hätte ich meine Zeit vielleicht effektiver nutzen sollen als mit Schlafen. Ich drehte mich auf die andere Seite. In drei Stunden dann...

Ich riss die Augen auf.

Da saß eine Puppe auf meinem Bett. Eine zerrupfte Stoffpuppe aus dreckigem Leinenstoff, mit Wollfäden als Haar und einem grünen und einem schwarzen Knopf als Augen. Ich rutschte über das Bett von ihr weg. Ihr Mund war ein mit rotem Filzstift aufgemaltes Grinsen, der Kopf hing etwas schräg. Mein Puls beschleunigte sich. Als ich aufstand, fiel die Puppe zur Seite, aber ihre Knopfaugen beobachteten mich immer noch. Ich bekam eine Gänsehaut. Mein Blick glitt zum Fenster, es stand einen Spaltbreit offen. Meine Finger waren klamm. Die Puppe hatte sich nicht bewegt.

Vorsichtig wich ich zur Tür zurück, die Puppe wendete den Blick nicht von mir ab. Das ungute Gefühl setzte sich wie ein Klumpen in meinem Magen fest. Es ist nur eine Puppe, dachte ich, aber normalerweise tauchten Puppen nicht von allein mitten in der Nacht in fremden Zimmern auf. Der Wind schob das Fenster weiter auf, ich erwartete ein Quietschen der Scharniere, ein Knarren des Holzes, aber da war nichts. Es war vollkommen still. Ich tastete nach dem Türgriff. Der Kopf der Puppe kippte ein Stück zur Seite, ihr Grinsen wirkte obszön im schwachen Licht. Meine Kehle war wie zugeschnürt. Sie saß ganz allein auf meinem Bett.

Ich bekam den Türgriff zu fassen und floh in den Flur.

Ich schloss die Tür von außen ab, aber das Gefühl, beobachtet zu werden, verschwand nicht. Mein Blick huschte in die Küche, Levi lag mit einer Isomatte und einem Schlafsack auf dem Boden, ich konnte seine regelmäßigen Atemzüge hören. Als wäre nichts passiert und er nur ein Freund, der zu Besuch gekommen war. Ich sah zu meiner Tür zurück. Mein Nacken kribbelte. Ich schaltete das Licht an, aber dadurch wurde die Dunkelheit in den Ecken nur noch dichter. Es war nur eine Puppe, aber sie musste ja irgendwoher gekommen sein und das hieß, dass jemand in meinem Zimmer gewesen war. Zögernd wandte ich mich Gabes Zimmertür zu. Als ich anklopfte, zitterten meine Hände. Ich musste mich zwingen, nicht über die Schulter zu sehen. Es war, als hätte die Dunkelheit Augen und jedes Einzelne wäre auf mich gerichtet. Ich schwitzte. Gabe riss die Tür auf, beinahe wäre ich in den Raum gefallen.

„Alter, ist das dein Ernst?" Er war wahrscheinlich der einzige den ich kannte, der sogar in Boxershorts bedrohlich aussehen konnte, aber ein potentielles blaues Auge war mir weitem lieber als die gruselige Puppe in meinem Bett. „Zwei Mal an einem Tag? Muss ich ab sofort Geld dafür verlangen, wenn du mein Zimmer betrittst?"

Ich wollte antworten, aber ich brachte kein Wort hervor. Mir war kalt, obwohl mir der Schweiß über das Gesicht rann, Übelkeit setzte sich in meiner Kehle fest. Nicht an die Puppe denken, nicht an die Puppe denken, nicht an die Puppe denken.

„Ka- Kann ich reinkommen?"

„Sehe ich aus wie deine Mutter?" Gabe lehnte sich in den Türrahmen. „Was ist los?"

„Da ist..." Die Worte wollten mir nicht über die Lippen kommen. „Sch-Schon gut."

„Manchmal bist du ziemlich seltsam, Tris." Er kam nach draußen in den Flur, sein Blick wanderte zur angeschalteten Lampe. „Seit wann hast du Angst im Dunkeln?"

„Hab ich nicht."

Ich bekam keine Luft. Gabe verschränkte die Arme vor der Brust.

„Was soll ich machen? eine heiße Schokolade kochen und dir was vorsingen? Danach hast du aber mehr Angst als vorher, nur damit du's weißt."

Schlimmer Geht Immer - Tristan-Winter-Reihe IWo Geschichten leben. Entdecke jetzt